Es geht jetzt wieder los mit der Glorifizierung von George Miller. Die Nerdgemeinde nennt ihn «Gott», die «New York Times» «Prophet» und über alledem wird vergessen, dass er zwischen «Mad Max: Fury Road» (2015) und «Furiosa: A Mad Max Saga» (Jetztzeit) den absoluten Schrottbuster «Three Thousand Years of Longing» verantwortet hat. Jenen Film, in dem sich eine bröselige Akademikerin ernsthaft in einen Flaschengeist verliebt. Zwei der coolsten Stars unserer Zeit, nämlich Tilda Swinton und Idris Elba, wurden da gründlich zermalmt in einem debilen Wagenrennen aus Esoterik und Kitsch.
ABER: Nun zeigt Miller wieder seine Kernkompetenz, seinen neuen «Western auf Rädern», wie die Franzosen vor 45 Jahren seinen ersten «Mad Max»-Film genannt hätten. Miller sagte dies vor wenigen Tagen in Cannes, «Furiosa», Millers fünfte «Mad Max»-Folge (jetzt ganz ohne Mad Max), feierte dort Premiere. Miller erzählte auch, wie er aufgewachsen sei, in einer winzigen Provinzstadt in Queensland, wo es nichts gegeben habe als «die Schule, Schulbücher, Comics und das Kino als säkulare Kathedrale». Und wie er und sein Bruder ihre ganze Freizeit damit verbracht hätten, das Gelesene und Geschaute nachzubauen. Und genau dies sei auch heute noch seine Arbeit als Filmemacher.
Das Drehbuch zu «Furiosa» ist schon ein paar Jahre alt, genauso alt wie jenes zu «Fury Road», denn es erzählt die Vorgeschichte zu dieser und es war während des ganzen «Fury Road»-Drehs dazu da, den Schauspielerinnen und Schauspielern ein erzählerisches Rückgrat zu geben, ihre «Backstory». Sie brauchen dies, um zu wissen, woher ihre Figuren kommen und wieso sie sind, wer sie sind, und schliesslich musste Charlize Theron damals wissen, wieso ihre Furiosa in einer Zeit vor der gefilmten Zeit einmal ihren Arm verloren hatte.
1300 Menschen haben acht Monate lang in Australien gedreht, 264 davon waren Stuntfrauen und -männer, sowas muss man im Jahr von «The Fall Guy» jetzt immer betonen, auch wenn dieser nicht der erhoffte Erfolg geworden ist, aber er hat immerhin zu einer Welle der Wertschätzung geführt. «Es ist unfassbar, wie sicher unser Dreh war», sagte Anya Taylor-Joy in Cannes, und das ist schön, denn glauben kann man dies nun echt nicht.
Nicht einmal drei Monate nach dem Start von «Dune: Part Two» sind wir also schon wieder in der fahlen Wüste der Dystopie. Und statt «Spice» und Wasser sind jetzt die umkämpften Rohstoffe Öl, Wasser und Frauen. Alle drei braucht es, damit ein klimakollabiertes Australien überleben kann.
Und wie in «Dune» gibt es unter den einander bekämpfenden Parteien eine, die aussieht wie abseits des Tageslichts lebende Engerlinge. In «Dune» sind das die Harkonnen. Im «Mad Max»-Universum sind das der Warlord Immortan Joe und seine Warboys, deren Lebensziel die Selbstopferung ist. In beiden Welten gibt es Kinder, die dazu auserwählt sind, die Risse der Welt zu kitten. In «Dune» wird eines dieser Kinder zu Anya Taylor-Joy. In «Furiosa» auch.
Eine ganze Stunde lang tritt Taylor-Joy, diese schon beinahe ausserirdisch faszinierende Mischung aus Primaballerina und Insekt, gar nicht auf. Eine Stunde lang gehört unsere Aufmerksamkeit Alyla Browne, die beim Dreh zwölf Jahre alt war. Was für eine verdammte Naturgewalt dieses Mädchen doch ist! Ihre Furiosa wächst dort auf, wohin Therons Furiosa zurückwill, im Grünen Land, einem matriarchal bewirtschafteten Paradiesgarten.
Doch eines Tages wird sie von einer zotteligen, hygienisch zweifelhaften Bikerbande geraubt. Und obwohl sie den Benzinschlauch des Entführerbikes mit blossen Zähnen durchbeisst, und obwohl ihre Mutter, eine ungemein fähige Amazone, sie zu befreien versucht, gibt es kein Entkommen. Erst wird Furiosa zum Käfigvogel von Bikerboss Dementus (Chris Hemsworth). Einem Psychopathen, der ihre Mutter schlachtet, sich als Ben Hur verkleidet und seine Brutalitäten immer auf dem Höhepunkt einer komischen Selbstinszenierung verrichtet.
Dass man vor Schreck (über sich selbst) lacht, ist bekannt, dass Lachen in Erschrecken umschlägt, ist ultrafies und absolut verunsichernd. Chris Hemsworth kann das gut. In Thor lauert offenbar auch ein gutes Stück Joker. Als Furiosa endlich geschlechtsreif ist, verkauft er sie ungerührt an Immortan Joe. Sie soll in seinem Harem für Nachwuchs sorgen.
Doch Furiosa (jetzt von Taylor-Joy gespielt) taucht ab, mischt sich unter die Mechaniker von Immortans Zitadelle, und weil sie so zähzart, todesmutig und geschickt ist, macht sie sich unverzichtbar und damit unangreifbar. Und endlich gehört sie zur Crew, die mit Monstertrucks und irrem Lärm durch die Wüste braust, und mit den entsetzlichsten (und stets mechanischen) Methoden Menschen von ihren Leben (oder Armen) trennt.
Das ist erneut eine ganz grosse, röhrende, dröhnende, krachende Punkoper, die kreativste Resteverwertung einer Zivilisation, die mal unsere war, und Jenny Beavan, die für ihre Kostüme in «Fury Road» einen ihrer drei Oscars gewonnen hat, darf ruhig wieder einen kriegen. «Make it cool or I'll kill you» soll Miller vor «Fury Road» zu seinem Ausstatter Colin Gibson gesagt haben – was sich Gibson wohl auch jetzt wieder zu Herzen genommen hat.
Furiosa hat on the road nur noch ein Ziel: Dementus und Rache. Grauenhafte, fantasievolle, lebenslange Rache. Schliesslich hat er ihr Mutter und Kindheit geraubt. Und trotzdem gibt es zwischen den beiden eine perverse Art väterlich-töchterlicher Seelenverwandtschaft. Die Abgründe, in die Miller seine Figuren stösst, sind unergründlich.
«Fury Road» erzählte von drei Tagen im Leben einer Rächerin. «Furiosa» erzählt von den achtzehn Jahren davor. Weshalb Miller den Stoff auch eine «Saga» nennt. Und trotzdem bleibt von «Fury Road» mehr im Gedächtnis, was über die furiose Action hinausgeht: mehr Schmerz, mehr Kraft, auch mehr Melancholie angesichts eines rabiat abgewürgten glücklicheren Lebens. Gut möglich, dass die reifere Charlize Theron dies besser zu reflektieren und zu verinnerlichen wusste.
Anya Taylor-Joy spielt den jungen, reinen, weissglühenden Hass. Und der ist so allesfressend und weltversengend wie ihre riesigen Augen. Sie leuchten auch nach dem Kinobesuch noch grell und bedrohlich durch die Nacht.
Ob die Trucks von «Furiosa» die Würmer von «Dune» in der sandigsten Saison der Kinogeschichte einholen können, wird spannend. Ein Kampf der Giganten wird es allemal. Anya Taylor-Joy verdient an beiden.
«Furiosa: A Mad Max Saga» läuft ab dem 23. Mai im Kino.
Geile Zeit für Sci-Fi Fans wie mich: Bald kommen auch noch neue Star Wars und Alien Serien/Filme