Es ist ein Tag wie jeder andere im fantasie-strotzenden Universum der Marvel-Filme: Ein magischer Hammer ruft nach einer Frau. Sie hat Krebs, doch die Kraft des Hammers verspricht Linderung. Und eine Schlaufe der Verwandlung, in der sich die verrücktesten Träume erfüllen.
Denn die Frau, die eigentlich Astrophysikerin ist, verwandelt sich in die hammerschwingende, muskelbepackte Heldin Mighty Thor. Sie begegnet erneut der Liebe ihres Lebens, dem Donnergott Thor (die geschlechterübergreifende Thorverdoppelung geht wie genau?), und erlebt ein intergalaktisches Abenteuer gegen einen entsetzlich bösen Bösewicht, dem nur Nietzsche applaudieren würde.
Im Kostüm von Thor steckt Natalie Portman. Die Frau für restlos alles. Die Frau mit dem grössten und wärmsten Lachen von Hollywood neben Julia Roberts. 41 Jahre ist sie jetzt alt, mit 12 stand sie zum ersten Mal vor der Kamera, schon da wurde gekämpft, geschossen, getötet. Portman spielte die zwölfjährige Mathilda in «Léon» von Luc Besson, die nach der Ausrottung ihrer ganzen Familie mit eisiger Entschlossenheit vom Profikiller Léon das Handwerk des Tötens lernt. «I want love or death. That’s it», ist Mathildas Leitmotiv. Was für ein Entrée.
Natalie Portman kommt 1981 als Neta-Lee Hershlag in Jerusalem zur Welt, viele ihrer Vorfahren sind während des Zweiten Weltkriegs in KZs ermordet worden. Als sie drei Jahre alt ist, wandert die Familie nach Amerika aus. Ihr Vater ist Arzt, ein sogenannter Fruchtbarkeitsspezialist, wenn sie in der Schule gefragt wird, was sein Job sei, sagt sie: «Er hilft Frauen, schwanger zu werden.»
Mit sechs beginnt sie Theater zu spielen, als sie elf Jahre alt ist, wird sie in einer Pizzeria auf Long Island von einem Modelscout der Kosmetikfirma Revlon angesprochen, doch sie hat keine Lust Revlon's Next Topmodel zu werden, sie will spielen. Ein Jahr später geht sie zum Casting von «Léon» und besiegt 2000 Mitbewerberinnen. Sie nennt sich jetzt Natalie Portman, ihre amerikanische Grossmutter hiess Portman.
Ab da entfaltet sich eine Karriere ohne Pausen und ohne Krisen. Natalie Portman scheint wie ein Engel aus lauter Perfektion über Hollywood zu schweben. Oder wie etwas sehr viel Handfesteres. Thor eben. Als sie einmal gefragt wird, welche Songzeile ihre Verfassung am besten beschreiben würde, sagt sie: «Richtig, richtig obszöner Hip-Hop», und «warte, bis du meinen Schwanz siehst!» Er muss ziemlich gross sein. Zwischen vielen Rollen kratzt sie sich noch die Zeit für ein Harvard-Studium in Psychologie zusammen. Mit 22 macht sie ihren Abschluss.
Als sie in «Star Wars» Queen Amidala spielt, beneidet sie die Männer um die physische Seite ihres Jobs. Um das Krafttraining, den Schwertkampf, die Stunts. Vor «Thor: Love and Thunder» hat sie genau dies endlich gekriegt, hat sie sich Muskelmasse antrainiert und angespachtelt. Nicht so wie Filmpartner Chris Hemsworth natürlich. «Er ass ungefähr jede halbe Stunde ein kleines Tier», sagt sie, als Veganerin musste sie sich die Proteine anderweitig zuführen. Und ja, das Training sei «voller Schmerz» gewesen.
Sie hat sich dies schon einmal angetan, allerdings mit weniger nicht mehr zu Essen als normal, und ganz anderen Trainingseinheiten, denn nichts an ihr durfte damals massiv sein. Als schizoide, sich selbst verstümmelnde Ballerina im Ballett-Psychothriller «Black Swan» von Darren Aronofsky (neben «The Red Shoes» der beste Ballettwahnfilm aller bisherigen Zeiten, sorry, Nerdwissen) gewinnt sie 2011 endlich ihren Oscar.
Verdient gehabt hätte sie ihn auch schon vorher. Und nachher. Denn die Liste ihrer grössten Rollen, die aus unzähligen herausstechen, reisst nicht ab. Unvergessen etwa ist sie neben Jude Law und Julia Roberts als Stripperin Alice in Mike Nichols melancholischem Partnertauschreigen «Closer» (2004, von Mike Nichols). Oder in Pablo Larraíns «Jackie» (2016) – als Jackie Kennedy, die nach der Erschiessung ihres Gatten im blutverspritzten rosa Deux-Pièces ins Weisse Haus zurückkehrt und sich kühl kalkulierend hinter die Architektur des Mythos John F. Kennedy macht.
Natalie Portman beherrscht die grossen Gesten des Hammerschwingens und des Wahnsinns. Das Motiv der scheinbar harmlosen Beauty, die sich zur Kampfmaschine entwickelt, zieht sich von «Léon» über «V for Venedetta» (eine grelle, von den Wachowskis geschriebene Persiflage auf Nazideutschland) bis zu «Thor». Und Jackie Kennedys Halsstarrigkeit fand sich auch schon in «The Other Boleyn Girl» in der blutjungen Anne Boleyn, die an Henry VIII. verschachert wird, sich zur Hofintrigantin entwickelt und schliesslich geköpft wird.
In «Thor» finden sich übrigens in den ersten Minuten ein paar schreckhafte Blumenwesen, die wie ein ferner Gruss aus Portmans Netflix-Hit «Annihilation» von Alex Garland (2018) wirken: Da musste sie als Zellforscherin die tumorös wuchernde Welt hinter dem sogenannten «Schimmer» untersuchen. In «Thor» trägt sie als Astrophysikerin den Tumor in sich. Doch zum Glück auch den Hammer mit sich.
Nathalie Portman the perfect girl.