Ein Mann singt von seinem besten Freund. Und der ist kein anderer als Winnetou. Gemeinsam wollen sie Brücken schlagen, «wir zwei, ich und du, Winnetou».
Will sich mit dieser Szene etwa einer an die Sommerloch-Debatte 2022 ranschmeissen? Nein. Österreichs grosser Depressions-Regisseur Ulrich Seidl hat sie bereits Anfang 2018 gedreht. In Rimini. Im Winter in Rimini. Allein das Wort Rimini klingt schon nach Schlager. Und ein wenig nach Ballermann. Massentourismus im Partymodus. 15 Kilometer Strand, Sonnenbrand und genügend Gäste, um 1200 Hotels zu füllen.
Ulrich Seidl hat sich in seinem Spielfilm «Rimini» für die andere Seite des ältesten Badeortes an der Adria entschieden: für die Nebensaison, in der nur noch ein paar österreichische und deutsche Witwen die Stadt bevölkern. Und Richie Bravo (Michael Thomas), der Mann, der nicht nur Winnetou, sondern vor allem jenes Gefühl namens Liebe besingt. Und die Sehnsucht. Und das Fernweh, das alle nach Rimini getrieben hat.
Richies Schlager schlagen ein in die Herzen der einsamen Frauen. Im Nebenjob ist er ein erfolgreicher Witwentröster, ein Callboy für seine alternden Groupies, die Auswahl an Reizwäsche seiner Kundinnen ist erstaunlich. Und wenn das auch nicht reicht, vermietet er sein Haus an Fans mit den lebensgrossen Richie-Bravo-Postern und dem bisschen Glitzer-Schnickschnack, der ihm von früher geblieben ist, und haust in einem geschlossenen Hotel.
In Österreich haust derweil Richies Vater im Pflegeheim. Unverdrossen übt er Hitlergrüsse und suhlt sich in Schuberts «Winterreise». Sein Zimmer hat er mit den Geweihen von Selbstgeschossenem geschmückt. An Wänden und Türen kleben lustige Fototapeten. Wenn Richie gar kein Geld mehr hat, versucht er, den Vater zu beklauen.
Willkommen in der totalen Tristesse. Wo die Körper welk, die Witze schlecht und die Neonröhren eiskalt sind und Richie in Etablissements mit Namen wie «007 Dancing» auftritt. Willkommen in einem österreichischen Film also, denn niemand kann die schaurige Schäbigkeit des Abgetakelten so lustvoll und mit Schmäh versetzt darstellen wie Österreich. Ob Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Wolf Haas oder Ulrich Seidl, der lauter Filme dreht über die Abgründe, die der Mensch sich selber schaufelt.
Die Menschen in «Rimini» sind derart bedürftig, aber auch durchtrieben, dass es zugleich sehr tragisch und hochkomisch ist, ihnen bei ihrem Lebenskampf zuzusehen. Es gibt Perversionen, Überraschungen und Erlösungen, und alles vor der spektakulär traurigen Kulisse der erst nebligen, dann verschneiten Stadt am Meer.
Michael Thomas als Richie Bravo gleicht einem halbverwesten Mammut, wenn er schuldbewusst durch den Schneesand stapft, auf der Bühne und im Bett kratzt er noch ein paar Glimmerreste seiner früheren Grösse zusammen – und funktioniert.
Hans-Michael Rehberg (er spielt Richies Vater) verbrachte seine letzten Lebenstage auf Seidls Dreh. Er wollte die Rolle von einem, der unverbesserlich dem Tod entgegengeht, so sehr, dass er Seidl nach einer ersten Absage um ein weiteres Vorsprechen bat. Alle wussten, dass es sein letzter Auftritt sein würde. Vor der Kamera vollbrachte er ein Wunder. Dann starb er. Richie und seine Frauen (darunter Inge Maux, die in «Wolkenbruch» Mottis Mutter spielte) sind crazy, grotesk, unterhaltsam, melancholisch. Richies Vater, dem Rehbergs Wissen um den baldigen Tod in jeder Sekunde ins Gesicht geschrieben steht, ist eine gewaltige Erschütterung.
Schlager sind in «Rimini» übrigens nicht nur die Sahne, mit der sich der oft staubtrockene Gugelhopf der Gegenwart besser ertragen lässt. Aus Schlagern lässt sich lernen. Richie Bravo jedenfalls erkennt in den fremden Männern «mit braunen Augen und mit schwarzem Haar», die Udo Jürgens in «Griechischer Wein» besingt, den syrischen Freund seiner Tochter wieder. Da wird eine Brücke gebaut. Wie bei Winnetou.
«Rimini» läuft ab dem 6. Oktober im Kino. «Sparta» hat noch kein Startdatum.