Adele will nicht. Die Sängerin ist nur einer von vielen Musikstars, die nicht an der Krönungsfeier von König Charles III. auftreten wollen. Konkrete Gründe werden wenige genannt, liegen aber auf der Hand.

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«Snubbing the King» – «Den König brüskieren» – titelte jüngst das US-Magazin Rolling Stone. Im Artikel wird untersucht, weshalb ein erstaunlich grosser Anteil der angefragten Künstler einen Auftritt an der Inthronisierung von König Charles III. dankend ablehnte.
Laut mehreren Quellen sollen unter anderem Adele, Harry Styles, Elton John, Ed Sheeran, Robbie Williams und die Spice Girls alle einen Auftritt am ‹Coronation Concert› anlässlich der Thronfeier von Charles am 6. und 7. Mai 2023 abgesagt haben. Als Gründe für die Absage werden gerne Terminkollisionen genannt, doch die Vermutung liegt nahe, dass ein allgemeiner Unwille im Raum steht.
Dies war mitnichten immer so. Noch im Juni 2022 fehlte es im Rahmen der Feierlichkeiten zum Platinum Jubilee der Queen keinesfalls an grossen Namen. Und in vergangenen Jahrzehnten mochten Weltstars gerne auch für Charles (damals noch Prince Charles) auftreten, etwa an den zahlreichen Galaabenden für seine wohltätige Organisation The Prince's Trust. An einer solchen Veranstaltung anno 1997 küsste Geri Halliwell Prince Charles auf die Wange – ein klarer Verstoss gegen königliches Protokoll und Etikette. Der Mini-Skandal landete auf den Titelseiten der Zeitungen und ging in die Geschichte der Popkultur ein. Heute aber mag Ginger Spice den König nicht küssen. Vielmehr lehnten die Spice Girls eine Teilnahme vollumfänglich ab. Was ist passiert?

Das war einmal.Bild: EPA
Anno 1997 war New Labour an der Macht, Cool Britannia und Britpop waren die Schlagworte und eine freche, sexy britische Populärkultur ein globaler Exportschlager. Auch die Royals passten da irgendwie rein – als zwar altmödige, aber durchaus ikonische Aushängeschilder. Heute, nach etlichen Jahren Tory-Misswirtschaft und akutem Brexit-Blues, ist die Feierlaune längst verflogen. Vielmehr gerät die Institution Monarchie als solche zunehmend unter Druck.
Queen Elizabeth II. gönnte man den Status als geliebte Grossmutter der Nation; schliesslich wurde der massiv grösste Teil der Bevölkerung nach ihrer Thronbesteigung 1952 geboren. Deshalb gingen letztes Jahr die Feierlichkeiten zu ihrem 70. Thronjubiläum noch in Ordnung. Charles hingegen steht am Anfang seiner Regentschaft und sieht die Toleranz (geschweige denn die Beliebtheit) seiner selbst und anderer Exponenten seiner Familie schwinden. Die Fassade von Zeremoniell und Pomp ist längst zerbröckelt. «Heutzutage wollen wir Bescheid wissen, was für Menschen das wirklich sind», erklärt Schriftsteller Michael Cragg die Gemütslage der Bevölkerung, «und die Version der königlichen Familie, die wir kürzlich durch Prinz Harrys Buch und den Umgang mit dem Prinz-Andrew-Skandal kennengelernt haben, zeigt uns: Die Realität ist grauenhaft».

Illustre Gesellschaft: Melania Trump, Prince Andrew, Gwendolyn Beck und Jeffrey Epstein, anno 2000. Bild: Archive Photos
Die Anschuldigungen bezüglich der Beziehung von Prinz Andrew zu Jeffrey Epstein und einer angeblichen sexuellen Beziehung zu einem von Epsteins Opfern sind noch frisch in den Köpfen der Menschen. Das Drama um Harrys und Meghans Netflix-Serie und Harrys Memoiren ist noch brandaktuell. Im Jahr 2023 bei einer königlichen Veranstaltung aufzutreten, hiesse für einen Künstler oder eine Künstlerin, sich mit etlichen eklatanten Skandalen in Verbindung zu bringen.
«Ich weiss nicht, was eine Verbindung mit ihm [Charles] einem Künstler wirklich bringen sollte», zitiert Rolling Stone eine Leiterin eines führenden britischen Musik-PR-Unternehmens, «die Königin war für manche Leute fabelhaft und glamourös. Charles nicht – es gibt kein Vermächtnis von ihm, mit dem sich jemand verbinden möchte, [...] es sei denn, er wäre ein überzeugter Anhänger der Monarchie». Doch solche gibt es in der jüngeren Generation kaum noch. Vielmehr sieht eine Mehrheit der Millennials und Gen-Z das Königshaus als Relikt aus der Vergangenheit, das seinen Reichtum und seine Stellung den historisch ausbeuterischen Kolonialstrukturen verdankt.

Tottenham's finest: Adele.Bild: keystone
Im Ausland wird dies allzu oft übersehen. Britishness wird gerne als deckungsgleich mit der Monarchie verstanden. Dabei werden die facettenreichen Aspekte aktueller britischer Kultur übersehen und der allgegenwärtige Einfluss des Klassensystems unterschätzt. Nimmt man im Ausland Adele, zum Beispiel, schlicht als ‹Engländerin› wahr, sehen Einheimische in ihr das stolze Büezer-Girl aus Tottenham, einer der ethnisch vielfältigsten Gegenden Grossbritanniens. Somit ist keine unmittelbare kulturelle Nähe zum Königshaus vorhanden.
Kommt hinzu, dass Charles' Krönung in einem Jahr stattfindet, in dem die Lebenshaltungskosten-Krise im Vereinigten Königreich einen gefährlichen Höhepunkt erreicht hat. Eine aufwändige Thronfeier mit viel Pomp kommt beim finanziell arg gebeutelten Steuerzahler denkbar schlecht an.

«A right royal headache» würde man so etwas auf Englisch nennen.Bild: keystone
Somit dürfte König Charles' Krönungsfeier ein PR-Drahtseilakt werden. Es gilt, Tradition zu würdigen und den Repräsentationsstatus der Monarchie zu rechtfertigen, gleichzeitig aber nicht zu sehr pompös zu wirken, um die dürftige Lage grosser Teile der Bevölkerung anzuerkennen. Was dies für die Show-Acts bedeutet, wird sich noch herausstellen. Aktuell bestätigt sind: Kylie und Dannii Minogue, Motown-Altstar Lionel Richie, Musical-Komponist Andrew Lloyd Webber, Take That (aber minus ihres prominentesten Bandmitglieds – wie eingangs erwähnt) sowie X-Factor-Finalist Olly Murs.
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Die 70 grossartigsten Bilder der Queen
quelle: ap / pa
«Every stinking time» – König Charles' Fülli macht ihm Mühe
Video: watson
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