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«Kalbermatten» von Andreas Thiel: Demokratie ist, wenn alle doof sind

Kalbermatten von Andreas Thiel
In einer richtig derben Komödie dürfen Dragqueens natürlich nicht fehlen. Szene aus «Kalbermatten».Bild: MovieBiz

Demokratie ist, wenn alle doof sind. Eine Exkursion nach Einsiedeln zu Andreas Thiels Film

Drehbuchautor und Filmproduzent Andreas Thiel will mit «Kalbermatten» ganz gross durchstarten. Ist das grössenwahnsinnig oder realistisch?
09.01.2025, 15:0809.01.2025, 15:55
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Auf nach Einsiedeln also. Zur Sicherheit mit einer kleinen Flasche Schnaps in der Tasche, wer weiss, ob wir die nötig haben. Wir fahren nämlich zur «Vorpremiere mit VIP-Gästen von ‹Kalbermatten› (u. a. Andreas Thiel)». VIPs in Einsiedeln! Da fällt einem doch direkt nur Alice Weidel ein. Aber die muss an diesem Mittwochabend gewiss den grossen X-Talk mit Elon Musk vom Donnerstag vorbereiten. Ob ihre Frau kommt? Die ist ja schliesslich aus dem Filmgeschäft. Produktionsleiterin. Allerdings nicht von «Kalbermatten», dem ersten Film von, aber nicht mit Andreas Thiel. Und wer könnte noch kommen? Der Abt des Klosters? Eine Sportlerin aus der Gegend, etwa Wendy Holdener?

Das Kino Cineboxx liegt auf der anderen Seite von Einsiedeln, nicht auf der Klosterseite, der Weg führt über vereiste Trottoirs und an Schindelhäusern vorbei. Und dann erhebt sich die Schanze gespenstisch aus dem Dunkel, sie gleicht einem Dom aus Schnee, imposant, ungewöhnlich. Die Cineboxx daneben ist eine gemütliche neue Schachtel, im hellen Foyer gibt es Popcorn, Pizza, und Pepita, ein guter Ort für eine gute Zeit, einmal im Monat ist Frauenabend, ein junger Mann trägt eine beeindruckende Elvis-Gedenk-Tolle, niemand trägt einen Thiel-Gedenk-Iro.

Einsiedeln, Schanze bei Nacht, 8.1.2025
Die nächtliche Einsiedler Schanze.bild: watson

Früher, als Kabarettist, hielt «Andi» eine abgehobene Arroganz im Stil (auch politisch) von Lisa Eckhart für lustig. Jetzt, als Filmemacher, gibt er sich leutselig, aber nicht geläutert. Sein Fall aus der Gunst der Öffentlichkeit, der 2014 nach einem «Weltwoche»-Artikel von Thiel, in dem er den Koran attackierte, und einer von beiden Seiten her völlig entgleisten Sendung mit Roger Schawinski begann, sei nicht sein Fehler.

Die Komödie «Kalbermatten» hat er in der Nähe von Einsiedeln gedreht, 6 Millionen Franken (von privaten Investoren und in Form von Sachspenden) habe sie gekostet, das ist enorm viel, Schweizer Filme kosten im Schnitt unter 3 Millionen. Er hat dafür keine Subventionen beantragt, darauf ist er stolz, «Subventionen» und «subventionierte Kultur» sind für ihn genauso Schimpfwörter wie «impfen», «Staat» und «Steuern», Subventionierte sind systemtreue Schafe. Dass er selbst als Kabarettist nur gross werden konnte, weil ihm subventionierte Bühnen Auftrittsmöglichkeiten gaben, ist vernachlässigbar.

Trailer zu «Kalbermatten»

Und so stellt er sich zusammen mit einem einheimischen Schauspieler, dem seine Familie begeistert zujubelt, vor die Leinwand und sagt als Erstes über seinen Film: «Är isch nid subventioniert, ihr häit nume müesse z'Kinobillet zahle!» Kein einziger heimlicher Zwangsfranken sei da von Steuergeldern abgezweigt worden. Und deshalb sei «Kalbermatten» auch viel wilder und mutiger als alles, was sich sonst so Schweizer Film nenne.

Das Publikum ist cool. Ländlich, praktisch, freundlich, viel Funktionsmode. Sie füllen das Kino etwa zu zwei Dritteln. Menschen, die sich für VIPs halten oder als solche behandelt werden, sind weit und breit nicht erkennbar, «u. a. Andreas Thiel» bleibt der einzige. Alle schauen verwirrt, als er sagt: «Dr Ufbou vom Dräibuech isch sehr nach Lubitsch.» Ernst Lubitsch («To Be or Not to Be») also, einer der grössten Regisseure der Filmgeschichte. Man muss dazu sagen, dass Thiel aktuell von einem eigentümlichen Grössenwahn beseelt ist, er ist sich sicher, dass «Kalbermatten» nur der erste von vielen «Kalbermatten»-artigen Filmen ist und dass er damit grosse, auch internationale Erfolge einfahren werde.

Einsiedeln, Cineboxx, »Kalbermatten» mit Andreas Thiel, 8.1.2025
Andreas Thiel (links) an der VIP-Vorpremiere in Einsiedeln.bild: watson

Und dann geht es also los, das wilde, mutige Meisterwerk über das gallische Dorf Kalbermatten inmitten der Schweiz, das sich verschuldet hat und fusioniert werden soll. Logisch will das Dorf seine Autonomie behalten, aber das geht nur mit sehr viel Geld – und woher kriegt man das? Natürlich, indem man die fucking Behörden austrickst. Also das böse Bundesbern, indem man anbietet, ein Ausschaffungszentrum zu bauen, und dann die UNO, weil man plötzlich Wege findet, sich als besonders feministisches Projekt zu verkaufen. Alles ist voller Titten- und Füdli-Witze, es herrscht eine konstante Fasnachts-Atmosphäre mit viel angewandtem Gendergaga, und wenn irgendwo eine Hosennaht von hinten zu sehen ist, muss sie reissen.

Andreas Thiel, Schweizer Kabarettist und Satiriker, links, und Bundesrat Ueli Maurer, rechts, lachen wahrend der Jubilaeumsfeier 100 Jahre SVP Kanton Bern, am Samstag, 10. Maerz 2018 in Schuepfen. (KE ...
2018 feierte Thiel mit Ueli Maurer 100 Jahre SVP.Bild: KEYSTONE

Die Frauen von Kalbermatten finden die Mehrheitsentscheide ihrer Männer bei Gemeindeversammlungen derart blöd, dass sie mit einer List, die an die griechische Komödie «Lysistrata» erinnert, den Männern zwar nicht den Sex, aber das Männerstimmrecht verweigern. Und ein paar Geflüchtete aus allen Weltgegenden, die aber alle den gleichen Dialekt sprechen, streiten sich über die richtige Ernährung jenseits von Cervelat und wissen im Gegensatz zu den Einheimischen nicht, wo Mekka wirklich liegt. Demokratie ist, wenn restlos alle richtig doof sind.

Thiel wollte einen Erfolgsfilm machen. Etwas Mainstreamtaugliches. Deshalb ist der Film auch nicht wirklich böse. Er ist nur auf eine sehr derbe, altbackene Art klischiert und erinnert an Dorftheater vor der Jahrtausendwende. Nur wäre da nie jemand auf die Idee gekommen, von einem internationalen Erfolg zu träumen. Nach zwei Stunden fühle ich mich, als hätte ich meinen Kopf wieder und wieder in einen Sack voller Sägespäne gesteckt. Dabei habe ich den Schnaps nicht angerührt. Und war da nicht mal von Lubitsch die Rede?

Kalbermatten von Andreas Thiel
Achtung, der Mann in der Baggerschaufel hat einen harten Ödipuskomplex. Szene aus «Kalbermatten».Bild: MovieBiz

Ernst Lubitsch war ein absoluter Präzisionstechniker in Sachen Dramaturgie und Witz, Auslassung und Andeutung, da wurde kein Sekundenbruchteil vertan. Andreas Thiel, der sich gegenüber von Steuern, Staat und Subventionen gerne als Anarchist bezeichnet – eine Selbstdefinition, die er übrigens mit seinem grossen Berater und Koproduzenten von «Kalbermatten», dem Basler Jurist David Dürr (dem Vater von FDP-Politiker Baschi Dürr), teilt –, ist es nicht. Er ist ein Chaot mit Spass an wirr erzählten Schenkelklopfer-Pointen, die ins Nichts führen. Und die beim Publikum erstaunlich selten ankommen.

Einsiedeln lacht vor allem, wenn es sein Haus, seinen Nachbarn, seine Kuh im Film sieht. Der Herr hinter uns platzt fast vor Stolz über die Darstellungskunst seiner Tiere, «die Chüe sind oisi!». Er hat recht. Sie sind fantastisch, die Chüe.

«Kalbermatten» läuft in ausgewählten Kinos.

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148 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schlaf
09.01.2025 15:22registriert Oktober 2019
Er hat dafür keine Subventionen beantragt, darauf ist er stolz, «Subventionen» und «subventionierte Kultur» sind für ihn genau so Schimpfwörter wie «impfen», «Staat» und «Steuern», Subventionierte sind systemtreue Schafe.

Wer impfen, Staat und Steuern als Schimpfwörter bezeichnet, dem fehlt es definitiv an Verstand.
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Kunigaikštis Vytautas
09.01.2025 15:21registriert September 2023
Scheint kein Film zu sein den man gesehen haben muss.
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MartinZH
09.01.2025 15:49registriert Mai 2019
Andreas Thiel war immer ein völlig affektierter Typ – ohne je unterhaltsam oder gar lustig zu sein.

Auch konnte er mit seiner selbsternannten "Satire", Komik od. auch mit seinen Kolumnen nie zum Nachdenken anregen, da sie stets plump waren und nie mit intelligenten Überlegungen od. Gedankengängen aufwarten konnten.

Für mich ist Thiel – zusammen mit Marco Rima – aber sowieso längst gestorben, nicht nur aus Gründen des Humors. Und so werde ich mir sämtliche Comeback-Versuche von diesen beiden sowieso nicht antun, denn ich bin nicht gewillt, solche Typen auch noch mit Eintritten zu finanzieren.
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