Sie sang ganz okay.
Aber wegen der Musikqualität geht man nicht an Konzerte. Man geht wegen der Atmosphäre, wegen der Stimmung, wegen des Vibes: Live ist Life.
Und dann zieht man sich die Show rein, geniesst einen unbeschwerten Abend und kehrt danach ins reale Leben zurück, wo alles ist, wie es vorher war.
Und wie war die Show denn so? Der Vibe? Die Stimmung am Taylor-Swift-Konzert?
Lass uns die Pflicht schnell erledigen: Die Show ist gigantisch. Swift rackert wie eine Profisportlerin, versprüht auf der Bühne viel Charme, aber auch eine gewisse Leichtigkeit – auch wenn diese aus der Ferne nur über den Superscreen ersichtlich wird. Die Songs kennt man. Wer sie mag, kommt auf seine Kosten. Wer kein Pop-Fan ist, der findet im über dreistündigen Programm auch die eine oder andere Länge. Aber in dem Fall muss man für ein Konzert auch nicht hunderte Franken ausgeben.
So.
Und jetzt zur Kür.
Denn die riesige Bühne, das Feuerwerk, die Kostümwechsel, die grösste Popshow, die die Schweiz je sah – sind alles nur Bausteine des Fundaments für etwas viel Grösseres. Die Taylor-Show ist nur der Funke, der das Dynamit zur Explosion bringt. Die eigentliche Urgewalt im Stadion, der Vulkan, der drei Stunden Funken und Feuer speit, das ist die Masse der Fans, diese fiebernde Gemeinschaft.
Unter der ohrenbetäubenden Schalldecke kann endlich herausbrechen, was schon immer herauswollte, aber nicht durfte … konnte … sollte ... dafür ausgelacht wurde. Zehntausende Kehlen singen, kreischen und schreien drei Stunden lang jede Songzeile mit. Sie haben sie verinnerlicht. Wie Gebote.
Zehntausende Seelen, in grossen, kleinen, dicken, dünnen, alten und jungen Körpern befreien sich. Das Aufblühen eines Menschen dauert normalerweise Monate oder gar Jahre. Hier ereignet es sich explosionsartig – tausendfach. Man kann ihre Entfaltung förmlich spüren.
Die Freudenstrahlen der Fans vermengen sich mit der ohrenbetäubenden Musik zu einem gigantischen Kamehame-Ha, das jegliche Selbstzweifel, Ängste und Unsicherheiten zerfetzt. Taylor Swift hat den ultimativen Safespace gebaut. Hier sind alle und in jeder Form willkommen. Taylor Swift ist das personifizierte Empowerment.
Völlig losgelöst huldigen die Swifties ihrer Befreierin. Eine Hysterie ist es trotzdem nicht. Denn im gleichen Masse wie den Superstar zelebriert man auch sich selbst. Endlich die Hüften kreisen lassen. Endlich Glitzerkleid. So oft wie Taylor filmt Frau auf dem Konzert auch sich selbst. Endlich Akzeptanz. Und deshalb auch endlich Ekstase.
Das Monster, das Taylor Swift mit ihrem Taylorverse schuf, hat sich längst seiner Fesseln entledigt, den Rahmen des Möglichen von perfektem Marketing gesprengt. Das hier ist kein PR-Stunt mehr. Das hier ist nicht mehr kontrollierbar, hat eine Eigendynamik angenommen, der auch Taylor Swift nicht mehr Herrin werden kann. Ihrem süffisanten Gesichtsausdruck auf der Bühne zu entnehmen, scheint auch sie das zu wissen – und zu geniessen. Khaleesi und ihre Drachen sind ein Nasenwasser dagegen.
Und trotz bereits dutzenden Konzerten, einem Marathonprogramm, leuchtet hinter dem Profi noch immer der Mensch hervor. Es ist deutlich zu spüren. Sogar von einem Outsider wie mir. Vermutlich ist es das, was ihre Fans an ihr so vergöttern. Natürlich lebt sie auf einem anderen Stern, unerreichbar fern. Aber der Kontakt zur Basis ist nicht abgerissen.
Man kann dies alles belächeln, es klein, hysterisch oder dumm reden, sich dieser Stimmung am Konzert verschliessen. Man kann den Hyperkommerzialismus kritisieren, Swifts enormes Flugpensum und ihre kantenlose Radiomusik.
Wer aber bereit ist, den Antireflex zu unterdrücken, erlebt sein blaues Wunder.
Sich mit der eigenen Existenz und dem Leben zu arrangieren, ist eine nie endende Aufgabe. Täglich tun sich Menschen damit schwer. Junge Menschen, unsichere, missverstandene, diskriminierte – aber auch solche mit viel Lebenserfahrung. Und dann sind da noch diese Zeiten: düster, voller Bedrohungen, mit fast unerträglichem Leistungsdruck in der Schule, der Arbeit und im Stahlbad der sogenannt sozialen Medien. Taylor Swift – und ihre Community – wirken dem als Schwergewicht des Positivismus entgegen, rücken die Waage wieder etwas ins Lot. Und helfen damit vielen Menschen.
Ich bin mir sicher, dass unzählige zukünftige Politikerinnen, Wirtschaftsführerinnen, Ärztinnen, Anwältinnen Taylor Swift als Idol sehen. Ich bin mir aber auch sicher, dass viele andere Menschen, unabhängig von Beruf, Status und Karriere, auf ihrer Suche nach Zufriedenheit wenigstens zeitweise vom Taylorverse an die Hand genommen werden. So wie auch meine Tochter.
Als Vater einer Swiftie bin ich dankbar, dass sie diese Offenheit erleben und einsaugen kann, Teil dieser Community sein darf. Es gäbe wahrlich schlechtere Stars, zu denen sie hochschauen könnte.
Und als Zeuge unserer Zeit bin ich froh, dass der invasiv positive Vibe, der von dieser Community ausgeht, als wärmender Sonnenstrahl die dunklen Wolken am Himmel durchbricht.
Eins kann aber auch Taylor Swift nicht ändern: Nach dem Konzert geht man zurück ins reale Leben, wo noch immer alles so ist wie davor. Viele werden aber etwas senkrechter gehen. Mit gestärktem Rückgrat und stolz geschwellter Brust. Taylor Swift sei Dank.