Leben
Schweiz

Taylor Swift: Nach dem Konzert in Zürich verstehe ich den Hype

epa11468627 US singer-songwriter Taylor Swift performs during her concert as part of her 'Eras Tour' at the Letzigrund Stadium in Zurich, Switzerland, 09 July 2024. The US artist is giving c ...
Der grösste Popstar unserer Zeit – und doch kleiner als ihre Kreation: Taylor Swift.Bild: keystone
Kommentar

Phänomen Taylor Swift: Jetzt habe ich es begriffen

11.07.2024, 09:0611.07.2024, 12:51
Mehr «Leben»

Sie sang ganz okay.

Aber wegen der Musikqualität geht man nicht an Konzerte. Man geht wegen der Atmosphäre, wegen der Stimmung, wegen des Vibes: Live ist Life.

Und dann zieht man sich die Show rein, geniesst einen unbeschwerten Abend und kehrt danach ins reale Leben zurück, wo alles ist, wie es vorher war.

Und wie war die Show denn so? Der Vibe? Die Stimmung am Taylor-Swift-Konzert?

Lass uns die Pflicht schnell erledigen: Die Show ist gigantisch. Swift rackert wie eine Profisportlerin, versprüht auf der Bühne viel Charme, aber auch eine gewisse Leichtigkeit – auch wenn diese aus der Ferne nur über den Superscreen ersichtlich wird. Die Songs kennt man. Wer sie mag, kommt auf seine Kosten. Wer kein Pop-Fan ist, der findet im über dreistündigen Programm auch die eine oder andere Länge. Aber in dem Fall muss man für ein Konzert auch nicht hunderte Franken ausgeben.

So.

Und jetzt zur Kür.

Animiertes GIFGIF abspielen
Die Gif-gewordene Gefühlslage der Swifties während des Konzerts.gif: watson

Denn die riesige Bühne, das Feuerwerk, die Kostümwechsel, die grösste Popshow, die die Schweiz je sah – sind alles nur Bausteine des Fundaments für etwas viel Grösseres. Die Taylor-Show ist nur der Funke, der das Dynamit zur Explosion bringt. Die eigentliche Urgewalt im Stadion, der Vulkan, der drei Stunden Funken und Feuer speit, das ist die Masse der Fans, diese fiebernde Gemeinschaft.

Unter der ohrenbetäubenden Schalldecke kann endlich herausbrechen, was schon immer herauswollte, aber nicht durfte … konnte … sollte ... dafür ausgelacht wurde. Zehntausende Kehlen singen, kreischen und schreien drei Stunden lang jede Songzeile mit. Sie haben sie verinnerlicht. Wie Gebote.

Zehntausende Seelen, in grossen, kleinen, dicken, dünnen, alten und jungen Körpern befreien sich. Das Aufblühen eines Menschen dauert normalerweise Monate oder gar Jahre. Hier ereignet es sich explosionsartig – tausendfach. Man kann ihre Entfaltung förmlich spüren.

Die Freudenstrahlen der Fans vermengen sich mit der ohrenbetäubenden Musik zu einem gigantischen Kamehame-Ha, das jegliche Selbstzweifel, Ängste und Unsicherheiten zerfetzt. Taylor Swift hat den ultimativen Safespace gebaut. Hier sind alle und in jeder Form willkommen. Taylor Swift ist das personifizierte Empowerment.

Son Goku aus «Dragonball» kreiert ein Kamehame-Ha. Wikipedia schreibt dazu: «Für ein Kamehame-Ha setzt der Kämpfer alle in seinem Körper verborgene Energie auf einmal frei. Die Energiekugel hat eine g ...
Son Goku aus «Dragonball» kreiert ein Kamehame-Ha. Wikipedia schreibt dazu: «Für ein Kamehame-Ha setzt der Kämpfer alle in seinem Körper verborgene Energie auf einmal frei. Die Energiekugel hat eine grosse Zerstörungskraft und 'normale Kämpfer' müssen 50 Jahre trainieren, um diese Technik zu beherrschen.»

Völlig losgelöst huldigen die Swifties ihrer Befreierin. Eine Hysterie ist es trotzdem nicht. Denn im gleichen Masse wie den Superstar zelebriert man auch sich selbst. Endlich die Hüften kreisen lassen. Endlich Glitzerkleid. So oft wie Taylor filmt Frau auf dem Konzert auch sich selbst. Endlich Akzeptanz. Und deshalb auch endlich Ekstase.

Das Monster, das Taylor Swift mit ihrem Taylorverse schuf, hat sich längst seiner Fesseln entledigt, den Rahmen des Möglichen von perfektem Marketing gesprengt. Das hier ist kein PR-Stunt mehr. Das hier ist nicht mehr kontrollierbar, hat eine Eigendynamik angenommen, der auch Taylor Swift nicht mehr Herrin werden kann. Ihrem süffisanten Gesichtsausdruck auf der Bühne zu entnehmen, scheint auch sie das zu wissen – und zu geniessen. Khaleesi und ihre Drachen sind ein Nasenwasser dagegen.

Fans, also known as 'Swifties', wait to attend the concert of US singer and songwriter Taylor Swift as part of her 'The Eras Tour' in front of the Letzigrund Stadium in Zurich, Swi ...
Genauso wichtig wie der Star selbst ist bei Taylor Swift die Community. Bild: keystone

Und trotz bereits dutzenden Konzerten, einem Marathonprogramm, leuchtet hinter dem Profi noch immer der Mensch hervor. Es ist deutlich zu spüren. Sogar von einem Outsider wie mir. Vermutlich ist es das, was ihre Fans an ihr so vergöttern. Natürlich lebt sie auf einem anderen Stern, unerreichbar fern. Aber der Kontakt zur Basis ist nicht abgerissen.

Man kann dies alles belächeln, es klein, hysterisch oder dumm reden, sich dieser Stimmung am Konzert verschliessen. Man kann den Hyperkommerzialismus kritisieren, Swifts enormes Flugpensum und ihre kantenlose Radiomusik.

Wer aber bereit ist, den Antireflex zu unterdrücken, erlebt sein blaues Wunder.

Sich mit der eigenen Existenz und dem Leben zu arrangieren, ist eine nie endende Aufgabe. Täglich tun sich Menschen damit schwer. Junge Menschen, unsichere, missverstandene, diskriminierte – aber auch solche mit viel Lebenserfahrung. Und dann sind da noch diese Zeiten: düster, voller Bedrohungen, mit fast unerträglichem Leistungsdruck in der Schule, der Arbeit und im Stahlbad der sogenannt sozialen Medien. Taylor Swift – und ihre Community – wirken dem als Schwergewicht des Positivismus entgegen, rücken die Waage wieder etwas ins Lot. Und helfen damit vielen Menschen.

Ich bin mir sicher, dass unzählige zukünftige Politikerinnen, Wirtschaftsführerinnen, Ärztinnen, Anwältinnen Taylor Swift als Idol sehen. Ich bin mir aber auch sicher, dass viele andere Menschen, unabhängig von Beruf, Status und Karriere, auf ihrer Suche nach Zufriedenheit wenigstens zeitweise vom Taylorverse an die Hand genommen werden. So wie auch meine Tochter.

Als Vater einer Swiftie bin ich dankbar, dass sie diese Offenheit erleben und einsaugen kann, Teil dieser Community sein darf. Es gäbe wahrlich schlechtere Stars, zu denen sie hochschauen könnte.

Und als Zeuge unserer Zeit bin ich froh, dass der invasiv positive Vibe, der von dieser Community ausgeht, als wärmender Sonnenstrahl die dunklen Wolken am Himmel durchbricht.

Eins kann aber auch Taylor Swift nicht ändern: Nach dem Konzert geht man zurück ins reale Leben, wo noch immer alles so ist wie davor. Viele werden aber etwas senkrechter gehen. Mit gestärktem Rückgrat und stolz geschwellter Brust. Taylor Swift sei Dank.

Das sagen die Swifties nach dem Konzert

Video: watson/Alina Kilongan
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Taylor Swift Konzert in Zürich 9.7.2024
1 / 12
Taylor Swift Konzert in Zürich 9.7.2024
Fans stehen schon seit dem frühen Morgen des 9. Juli beim Letzigrund an. So sah die Swiftie-Schlange am Mittag aus.
quelle: keystone / ennio leanza
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Ich bin der grösste Taylor Swift Fan» – So ist die Stimmung vor dem Letzi
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
189 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Macca_the_Alpacca
11.07.2024 09:23registriert Oktober 2021
...wegen der Musikqualität geht man nicht an Konzerte. Aber 100% sicher schon. Schon mal den "magischen Moment" erlebt? ein Deus ex Machina? Mir passiert am Prince Konzert in Montreux 2006. Das Licht geht aus, 2000 Menschen stehen im Dunkeln. Die Musiker gehen durchs Publikum zur Bühne und spielen nicht das was man so erwartet. 30 Minuten lang, fast ohne Licht, bekommen wir etwas zu hören was einmalig ist. Jeder merkt, dass das etwas besonderes ist, etwas das keiner von uns je gehört hat. Keine Show, nicht mal Licht. Nur die Musik ist wichtig.
20123
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rosenresli
11.07.2024 09:25registriert Mai 2021
Wenn ich es bis jetzt nicht verstanden habe, dann definitiv nach diesem Kommentar 🤔 Aber können wir bitte das Thema Swift damit abhaken, irgendwann ist zu viel wirklich zu viel, danke!
20631
Melden
Zum Kommentar
avatar
Standpunkt
11.07.2024 09:25registriert Mai 2023
Aber ist das nicht genau das, was ein (gutes) Konzert sowieso ausmacht? Also eine gute Show, begeisterte Fans, die Stimmung etc. Was Taylor Swift von der Masse der, sorry, meist ziemlich gleich klingenden, anderen Popsängerinnen abhebt, habe ich immer noch nicht begriffen. Vielleicht war's auch einfach Glück/Zufall, zur richtigen Zeit mit dem richtigen Song am richtigen Ort. Nun ja, ihr sei's gegönnt, den Fans auch, meine Lieblingsmusik wird's wohl nie werden.
14115
Melden
Zum Kommentar
189
    Mindy Kaling wird mit «Walk of Fame»-Stern geehrt

    Die US-Schauspielerin Mindy Kaling (45), die auch als Autorin, Regisseurin und Komödiantin Erfolg hat, wird auf Hollywoods «Walk of Fame» geehrt. Am 18. Februar soll sie die 2'800. Plakette auf dem berühmten Bürgersteig enthüllen. Kaling wird nach Angaben der Veranstalter in der Sparte Fernsehen ausgezeichnet.

    Zur Story