Manchmal muss man einfach sagen: Ein Mann, ein Pulli! Emil trägt am frühen Freitagnachmittag im Kino Frame nämlich einen königsblauen und sieht darin mit seinem eisgrauen Haar so unverschämt gut aus, dass man das nicht unerwähnt lassen darf. Unser Emil. Eine Umfrage in der watson-Redaktion, wer denn eigentlich Emil sei, wurde von einer sehr jungen Mitarbeiterin so beantwortet: «Ist das nicht dieser junge Hotte?» Ähm, knapp verpasst. Jung ist er mit 91 Jahren nun wirklich nicht mehr. Aber immer noch recht hot. Und mehr als okay.
Über drei Themen, sagt Emil Steinberger, der in den 70er-Jahren als Kabarettist «Emil» zum damals wohl prominentesten Schweizer neben Bernhard Russi aufstieg, habe er nie Witze gemacht: Über die Kirche, weil das Verhältnis jedes einzelnen Menschen zu Religion so individuell und intim sei; über das Militär, weil das zu billig wäre; und «über Schwule, die greife ich wirklich nicht an», das sei ihm auch vor fünfzig Jahren, als das alle machten, nicht in den Sinn gekommen.
Witze machte Emil in seinen legendären Programmen dagegen über die Schweiz und die Schweizer. Er war das Brennglas, das sich gnadenlos auf den vermeintlich «normalen» Bünzli-Durchschnitt richtete und ihn schräg verzerrt und vergrössert auf die Bühne brachte. Seine Figuren waren unser Alltag: Der Beifahrer und der Busfahrer, der Bergsteiger, Reisegruppenleiter (das Chileli von Wassen), Feuerwehrmann, Kellner (im vegetarischen Restaurant), Beamte, Experte (egal ob für Flugzeuge oder Bauernkalender) oder auch einfach Nachbar.
Sie alle waren in ihrer verklemmten, rechthaberischen Kleingeistigkeit, die Emil aus ihnen herausdestillierte, am grössten. Komplett ineffiziente Paragraphen-Junkies. Und sie waren, wie ein deutscher Kritiker einmal sagte, von einer freundlichen Boshaftigkeit und einer boshaften Freundlichkeit. Schweizer zum Lachen. Und zum Schaudern. Eigentlich war Emil schon auf der Bühne immer eines: ein Schweizermacher. Nicht erst 1978 im Film «Die Schweizermacher» von Rolf Lyssy, wo er sich als Zürcher Einbürgerungsbeamter in eine Tänzerin namens «Fräulein Vakulic» verliebt.
Es wurde der erfolgreichste Schweizer Film aller bisherigen Zeiten, und er sei immer noch schampar gut, sagt Emil: «Das Traurige ist nur: Es hat sich nichts verändert!» Hunderttausende hätten im Kino den Behörden-Terror belacht und blöd gefunden und heute? «Es wird immer schlimmer! Wieso hat jede kleinste Gemeinden das Recht, darüber zu entscheiden, wer Schweizer werden darf?» Emil als Befürworter der erleichterten Einbürgerung? Würde ihn etwa jetzt, im hohen Alter, ein Einstieg in die Politik noch reizen, fragt Moderator und ZFF-Intendant Christian Jungen? «Nein! Das politische Leben ist fies und dreckig, das würde ich nicht ertragen!»
Emil hat zusammen mit seiner Frau Niccel, dem jungen Regisseur Phil Meyer (seine Tattoos seien beim Dreh «tabu» gewesen, sagt Emil) und dem Kameramann Elmar Bossard den Dokumentarfilm «Typisch Emil» gedreht. Deshalb ist er jetzt am ZFF und sitzt am Freitag im blauen Pulli vor Publikum. Es ist «sein» Film. Ganz fest. Er wollte alles mitbestimmen, bis zum Schnitt. Ein Film für Fans. Persönlich, die Erfolge feiernd, die Klippen vermeidend (über Emils erste Ehe wird nichts erzählt), gerne auch sentimental, prallvoll mit Archivmaterial, das man sich wohlig reinzieht – und mit Homevideos, die sind, wie die Homevideos von uns allen, sweet und gelegentlich auch ein bisschen peinlich. Emil – c'est nous.
Eigentlich wollte er damit nicht am ZFF Premiere feiern, seinem Team und Niccel schwebte Locarno vor, die Piazza Grande, erzählt er jetzt, aber dann habe ihm Giona Nazzaro, der künstlerische Direktor von Locarno, eine nette Absage mit «sehr guten Argumenten» geschrieben, es sei auch gar kein «Schleimerbrief» gewesen. Überhaupt hat er nichts gegen Kritik, auch nicht gegen negative, oft sei darin ein wahrer Kern zu finden, mit dem er dann arbeiten könne.
Nur die Kritik seiner Eltern kränkte ihn nachhaltig. Das ist im Film und jetzt auch live zu hören, da klingt die Stimme nach all den Jahren noch immer etwas verletzt, man kann es ihm nachfühlen. Emil kam am Dreikönigstag 1933 in Luzern zur Welt, er war eines von drei Kindern, die Eltern waren streng katholisch und überhaupt sehr streng, Humor habe es zuhause keinen gegeben und bei Tisch habe man nie über aktuelle Ereignisse reden dürfen. Besuch, sagt er im Film, sei bloss zweimal im Jahr gekommen, nur dann habe die Mutter die weissen Tücher versorgt, mit denen sie die Polstermöbel vor den Kindern schützte. Ein Zuhause wie ein Grab, «ein steifes Nest».
Mit seiner ersten Berufswahl erfüllte Emil die Erwartungen der Eltern, er wurde Postbeamter. Doch mit 22 schaute er um sich, stellte sich vor, wie es wäre, Jahrzehnte in diesem Job zu verbringen, kündigte und besuchte die Kunsthochschule, seine Mutter legte sich vor Schock zehn Tage lang ins Bett. Er machte eine Ausbildung als Grafiker und daneben das Kalb, er verstand sich sehr ernsthaft als Künstler und über die Jahre wurde er zum erfolgreichen Luzerner Kleintheater- und Kinobetreiber (er zeigte da «nur die besten Filme», nur Arthouse, Fellini, Truffaut, Fassbinder) und zum erfolgreichsten Schweizer Kabarettisten.
Franz Hohler half ihm, die ersten Programme zu entwickeln, er improvisierte mit Franz und René und Dimitri, die vier hätten eine All-Stars-Truppe der grossen Schweizer Kleinkunst bilden können. Der Cirkus Knie verkaufte mit Emil im Programm zwei- bis dreimal so viele Karten wie heute, und der Boulevard und die Fans belagerten ihn selbst beim Schuhe-Kaufen. Seine Eltern brachten das Wort «Kabarettist» trotzdem nie über die Lippen.
Und dann der Bruch, Emil Steinberger hatte genug von Emil, er wollte kein Routinier werden, keine Selbstverwertungsmaschine, er stieg aus, die Schweiz legte sich vor Schock mehr als zehn Tage lang ins Bett, doch Emil ging erst nach Deutschland und in die Werbung, danach, bereits mit 60, nach New York. Er wollte eine Pause machen. Doch in die Pause hinein meldete sich eine 32 Jahre jüngere deutsche Theaterwissenschaftlerin und Germanistin, mit der er seit einigen Jahren Briefkontakt führte, weil sie gerne Clownin werden wollte. Die beiden trafen und verliebten sich, seither sind sie zusammen, sind das Ehepaar mit dem glücklichsten Doppellachen der Schweiz, immer vereint.
Auch im Kino Frame sitzt Niccel neben dem Filmteam in der ersten Reihe und korrigiert ihren Mann, wenn der mal wieder einen Namen falsch ausspricht oder eine Jahreszahl nicht weiss. Die beiden sind – das wird im Film, das wird im Frame klar – einander Daseinsgrund, befinden sich in einer nie ermattenden Kommunikation und sind immer dabei, einander gegenseitig mit ihrer Energie zu überbieten. Denn das Unternehmen Emil braucht noch immer viel Energie. Für die Bücher, die er schreibt, für die Auftritte, den Film, für die Archivierung eines Lebens und einer Karriere, die sie beide betreiben (Emil hat alles aufgehoben, jedes «Blick»-Plakat mit seinem Namen drauf), für Niccels eigene Malerei und ganz einfach für das Leben an sich.
Wenn man sich im Film die Ausschnitte aus Emils alten Programmen anschaut, erinnert sein harmloses Milchgesicht an den jungen Dustin Hoffman. Und wenn er dann noch Trenchcoat und Hut trägt, denkt man unweigerlich an einen unauffälligen, anschmiegsamen Spion. Und genau das ist Emil in seinen Beobachtungen, die er schreibenderweise oder beim Reden zum Besten gibt, immer noch: Als Spion unterwegs in den Schweizer Seelen. In denen, die sich für besonders uneinnehmbar halten.
«Typisch Emil» läuft ab dem 7. November im Kino.
Jetzt nachdem ich diese liebevolle Laudatio gelesen habe werde ich mir ein Schüpfli geben und mir endlich mal den "Schweizermacher" ansehen. Natürlich in einem schönen Pullöverli, versprochen. 🤞😉