Beginnen wir ganz nüchtern, bevor die Geschichte grotesk wird. In der Schweiz leben 8,57 Millionen Menschen. In Dänemark 5,80. Im Jahr 2019 wurden in der Schweiz 679 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht. In Dänemark 1017. Amnesty International vermutet eine dänische Dunkelziffer von 24'000 Vergewaltigungen. Dänemark hat ganz klar ein Problem. Seit Dezember 2020 gibt es die gesetzliche Regelung, dass nicht einvernehmlicher Sex als Vergewaltigung gilt. In Schweden und Finnland ist das schon länger der Fall. In der Schweiz vielleicht einmal nach einer Reform des Sexualstrafrechts.
Seit Januar 2021 gibt es die dänische App iConsent, die dieses Einvernehmen vertraglich festhalten soll. Man sendet ein Verkehrsbegehren an die Person, mit der man ins Bett will, und diese akzeptiert es oder eben nicht. Die App ist gewiss gut gemeint. Gut gemeinter Schwachsinn, der in Dänemark ausser bei den Erfindern gerade einen Berg an Fragen und ungläubiges Staunen auslöst.
Der Vertrag gilt für einen Zeitraum von 24 Stunden und nur für Sex. Man muss also nicht meinen, von seinem Vertragspartner oder seiner Vertragspartnerin auch noch ein warmes Essen, die Benutzung einer Waschmaschine oder das Pumpen eines Fahrrads verlangen zu können. Und was ist nach Ablauf der 24 Stunden? Muss man da automatisch nach Hause gehen? Oder das Agreement erneuern? Und muss man das nur mit neuen, fremden Menschen oder auch mit seiner Beziehung?
Nun weiss auch der friedfertigste Blümchensexfetischist spätestens seit «50 Shades», dass Sexverträge nichts Neues sind. Sie stammen aus dem BDSM-Milieu und man kann sie sich zum Beispiel in Online-Erotikshops runterladen. Sie heissen dann etwa «Sklavenvertrag». Darin wird seitenweise aufgelistet, was die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen dem dominierenden und dem submissiven Part in einer Beziehung sind.
In der siebenseitigen Sklavenvertrags-Vorlage von erotik.markt.de steht etwa: «Es wird eine Probezeit von X Tagen vereinbart. Kündigt die Sklavin/der Sklave den Vertrag nach dieser Zeit nicht, so ist die Probezeit abgelaufen und der Sklavenvertrag gilt unbegrenzt. Er gilt auf Lebenszeit von Sklavin/Sklave und Herrn/ Herrin. Sie/er ist dauerhaft versklavt.» Es gibt Strafen für Ungehorsam, aber auch Safe Words, mit denen man sich erlösen kann. Nicht alles wird als zumutbar betrachtet.
Daran dürften die Nerds, die iConsent kreiert haben, gedacht haben. Oder auch einfach an eine möglichst saubere Gelegenheit, ihre Tinder-Bekanntschaften flachzulegen. Auf die Frage, ob ihre App nicht zu klinisch daherkomme, wo es doch auch um so feinstoffliche Elemente wie Hormone und Emotionen geht, sagen sie, dass man ja auch ein Kondom für klinisch halten könne. Aha.
Dänische Juristen und Sexologinnen sind nicht gerade entsetzt, aber doch einigermassen vor den Kopf gestossen. Sex werde entsexualisiert, heisst es. Man häkelt auf seinem Handy eine Box an (oder so ähnlich) und schreitet zum Vollzug. Der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen zwei Privatpersonen wird damit genauso zu einer Transaktion wie zwischen einer Prostituierten und ihrem Freier. Oder einem Käufer und seiner Sexpuppe. Auch da ist alles geklärt. Die Fähigkeit, einander sexuell zu lesen, sich aufeinander einzulassen, sich ineinander fallen zu lassen, die zwischenmenschliche Wärme, die zum Feuerwerk wird, gehe so verloren.
Oder wie es der dänische Playboy Jeppe Risager beschreibt: «Wir sollten also nicht einmal mehr als menschliche Wesen kommunizieren? Einverständnis kommt durch Worte und durch sexuelles Verhalten. Diese App lässt uns klingen, als wären wir Tiere.» Und wenn man einander nicht mehr einschätzen, sich nicht mehr lesen kann und nicht mehr miteinander redet, weil man alles reguliert glaubt, wie spürt man dann überhaupt noch, wo für das Gegenüber eine mögliche Überschreitung beginnt? Ist ein nach Unterzeichnung des Vertrags geäussertes Nein wirklich ein Nein oder eine Spielform? Fördert sie am Ende nicht noch mehr Missbräuche?
Ein App-Vertrag, sagen Juristen, schützt vor gar nichts. Weder vor einer Überschreitung noch vor einer Unterstellung. In beiden Fällen hätte er vor Gericht keine Aussagekraft. So wenig wie ein Sklavenvertrag aus dem Erotikmarkt.
G-4
rolf.iller
Bruno Wüthrich
Jetzt müssen wir nur noch die Anmache regeln.