Leben
Sex

Einvernehmlicher Sex? Die dänische App iConsent ist Schwachsinn

Per Vertrag zum Vollzug: Die dänische Sex-App ist gut gemeinter Schwachsinn

iConsent heisst Dänemarks aktueller Aufreger. Die App soll regeln, dass zwei Menschen auch wirklich einvernehmlichen Sex haben. Aber kann sie das?
28.01.2021, 15:5829.01.2021, 15:08
Simone Meier
Folge mir
Mehr «Leben»

Beginnen wir ganz nüchtern, bevor die Geschichte grotesk wird. In der Schweiz leben 8,57 Millionen Menschen. In Dänemark 5,80. Im Jahr 2019 wurden in der Schweiz 679 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht. In Dänemark 1017. Amnesty International vermutet eine dänische Dunkelziffer von 24'000 Vergewaltigungen. Dänemark hat ganz klar ein Problem. Seit Dezember 2020 gibt es die gesetzliche Regelung, dass nicht einvernehmlicher Sex als Vergewaltigung gilt. In Schweden und Finnland ist das schon länger der Fall. In der Schweiz vielleicht einmal nach einer Reform des Sexualstrafrechts.

Seit Januar 2021 gibt es die dänische App iConsent, die dieses Einvernehmen vertraglich festhalten soll. Man sendet ein Verkehrsbegehren an die Person, mit der man ins Bett will, und diese akzeptiert es oder eben nicht. Die App ist gewiss gut gemeint. Gut gemeinter Schwachsinn, der in Dänemark ausser bei den Erfindern gerade einen Berg an Fragen und ungläubiges Staunen auslöst.

13th August 1955: Dolores Rosedale and Tom Ewell (1909 - 1994) embrace on a beach in a scene from Billy Wilder's romantic comedy 'The Seven Year Itch'. The scene is a parody of the famo ...
Schier unvorstellbar, aber auch vor dem Internet und seinen Kennenlernformen hatten Menschen Sex: Szene aus «The Seven Year Itch».Bild: Hulton Archive

Der Vertrag gilt für einen Zeitraum von 24 Stunden und nur für Sex. Man muss also nicht meinen, von seinem Vertragspartner oder seiner Vertragspartnerin auch noch ein warmes Essen, die Benutzung einer Waschmaschine oder das Pumpen eines Fahrrads verlangen zu können. Und was ist nach Ablauf der 24 Stunden? Muss man da automatisch nach Hause gehen? Oder das Agreement erneuern? Und muss man das nur mit neuen, fremden Menschen oder auch mit seiner Beziehung?

Nun weiss auch der friedfertigste Blümchensexfetischist spätestens seit «50 Shades», dass Sexverträge nichts Neues sind. Sie stammen aus dem BDSM-Milieu und man kann sie sich zum Beispiel in Online-Erotikshops runterladen. Sie heissen dann etwa «Sklavenvertrag». Darin wird seitenweise aufgelistet, was die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen dem dominierenden und dem submissiven Part in einer Beziehung sind.

Loving figures dot the desert landscape in a dream sequence in a scene from the film 'Zabriskie Point', 1970. (Photo by Metro-Goldwyn-Mayer/Getty Images)
Wie regelt iConsent eigentlich Orgien? Szene aus «Zabriskie Point».Bild: Moviepix

In der siebenseitigen Sklavenvertrags-Vorlage von erotik.markt.de steht etwa: «Es wird eine Probezeit von X Tagen vereinbart. Kündigt die Sklavin/der Sklave den Vertrag nach dieser Zeit nicht, so ist die Probezeit abgelaufen und der Sklavenvertrag gilt unbegrenzt. Er gilt auf Lebenszeit von Sklavin/Sklave und Herrn/ Herrin. Sie/er ist dauerhaft versklavt.» Es gibt Strafen für Ungehorsam, aber auch Safe Words, mit denen man sich erlösen kann. Nicht alles wird als zumutbar betrachtet.

Daran dürften die Nerds, die iConsent kreiert haben, gedacht haben. Oder auch einfach an eine möglichst saubere Gelegenheit, ihre Tinder-Bekanntschaften flachzulegen. Auf die Frage, ob ihre App nicht zu klinisch daherkomme, wo es doch auch um so feinstoffliche Elemente wie Hormone und Emotionen geht, sagen sie, dass man ja auch ein Kondom für klinisch halten könne. Aha.

French actor Alain Delon zips Marianne Faithfull's leather jacket in a scene from their movie Girl on a Motorcycle.
Ob das die App erlauben würde? Alain Delon packt Marianne Faithful im Film «Girl on a Motorcycle» aus.Bild: Bettmann

Dänische Juristen und Sexologinnen sind nicht gerade entsetzt, aber doch einigermassen vor den Kopf gestossen. Sex werde entsexualisiert, heisst es. Man häkelt auf seinem Handy eine Box an (oder so ähnlich) und schreitet zum Vollzug. Der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen zwei Privatpersonen wird damit genauso zu einer Transaktion wie zwischen einer Prostituierten und ihrem Freier. Oder einem Käufer und seiner Sexpuppe. Auch da ist alles geklärt. Die Fähigkeit, einander sexuell zu lesen, sich aufeinander einzulassen, sich ineinander fallen zu lassen, die zwischenmenschliche Wärme, die zum Feuerwerk wird, gehe so verloren.

Oder wie es der dänische Playboy Jeppe Risager beschreibt: «Wir sollten also nicht einmal mehr als menschliche Wesen kommunizieren? Einverständnis kommt durch Worte und durch sexuelles Verhalten. Diese App lässt uns klingen, als wären wir Tiere.» Und wenn man einander nicht mehr einschätzen, sich nicht mehr lesen kann und nicht mehr miteinander redet, weil man alles reguliert glaubt, wie spürt man dann überhaupt noch, wo für das Gegenüber eine mögliche Überschreitung beginnt? Ist ein nach Unterzeichnung des Vertrags geäussertes Nein wirklich ein Nein oder eine Spielform? Fördert sie am Ende nicht noch mehr Missbräuche?

Ein App-Vertrag, sagen Juristen, schützt vor gar nichts. Weder vor einer Überschreitung noch vor einer Unterstellung. In beiden Fällen hätte er vor Gericht keine Aussagekraft. So wenig wie ein Sklavenvertrag aus dem Erotikmarkt.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Geschichten aus dem Leben von Emma Amour:
1 / 90
Die Geschichten aus dem Leben von Emma Amour:
Eins vor Tod will ich Sex und (eventuell) eine Ohrfeige – Hoch über den Wolken gerät mein Flieger in Turbulenzen. Kurz bevor mich meine Flugangst komplett lähmt, zieht mein Leben wie ein Film an mir vorbei – (sehr) skurrile Szenen inklusive. Weiterlesen >>

Auf Facebook teilenAuf X teilen
So wird Dating nach Corona aussehen (vermutlich)
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
85 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
G-4
28.01.2021 16:37registriert Juni 2015
Man stelle sich mal die Konsequenzen eines Datenlecks vor. Würde sehr viel intimes offengelegt 😬
2827
Melden
Zum Kommentar
avatar
rolf.iller
28.01.2021 16:40registriert Juli 2014
Da haben Generation für Pille, sexuelle Freiheiten, Enttabuisierung, inkludierung und entstigmatisierung von Andersgesinnten (den Ls den Gs den Bs den Ts und auch noch den Plusern) gekämpft. Und endlich in der Zeit angelangt, wo man sogar in einem Konkubinat zusammen wohnen darf (war mal verboten), da fängt man an das ganz kleinlich und penibel zu regulieren. Wie vor dem Pornodreh, wird vor der ersten Berührung angekreuzt was man darf und was nicht. Hurray...
26419
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bruno Wüthrich
28.01.2021 17:03registriert August 2014
Das stelle ich mir sehr romantisch vor. Ich wäre da für einen Normvertrag, bei denen beide unabhängig voneinander ankreuzen können, welche Sexpraktiken sie denn haben möchten. Hinterher werden nur die praktiziert, die von beiden angekreuzt wurden. Selbstverständlich braucht es vor dem Vollzug die Unterschriften von den beiden Beteiligten. Zudem wäre ich dafür, dass beide hinterher eine Vollzugsbescheinigung ausfüllen, die bestätigt, dass der Vorgang zur beidseitigen Zufriedenheit stattgefunden hat (oder sich wenigstens beide Mühe gegeben haben).

Jetzt müssen wir nur noch die Anmache regeln.
1022
Melden
Zum Kommentar
85
«Spitze wie Toblerone» – die Reaktionen zum Schweizer Tatort

Gestern ist der siebte Schweizer Tatort mit dem Titel «Von Affen und Menschen» ausgestrahlt worden. Die Spannung war gross, denn der Film ist vom Fernsehkrimi-Festival in Wiesbaden ausgezeichnet worden.

Zur Story