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Roger Fässler, der On-Schuhe tragende Büroheld – Staffel 1

Projet roger gespiegelt
Bild: watson
Projet Roger

Wer den On-Schuhe tragenden Bürohelden verpasst hat, hier ist Staffel 1 in voller Länge

Hier kommt noch einmal die erste Staffel von Projet Roger als ganzes, zusammenhängendes Stück für all diejenigen, an denen es unbemerkt vorbeigezogen ist. Und wer sich anständig auf die kommende, zweite Staffel vorbereiten will, der darf gern auch nochmal drüber.
19.04.2025, 20:31
Mehr «Leben»
Sei willkommen zu unserer völlig fiktiven Serie! Hier bekommst du die gesamte erste Staffel zu lesen, die zweite ist in Arbeit und wird, so viel können wir schon mal verraten, sehr anders ...

Worum's geht:

In «Projet Roger» geht es um Roger Fässler, einen durchschnittlichen Typ, der in einem durchschnittlichen Büro arbeitet, sich dann aber in eine undurchschnittliche Frau verliebt und, um sie zu beeindrucken, haarsträubende Dinge tut. So stolpert er von einer Extremsituation zur nächsten.
Darum wär's vielleicht gut, wenn du ihn begleitest, fang ihn auf, wenn er fällt, hass ihn, wenn er sich danebenbenimmt, und liebe ihn, wenn er es am meisten braucht.
Denn kämpfen wir nicht alle um Anerkennung der eigenen Leistungen, suchen Erfüllung im Job und ein Zuhause, in dem man abends alle Masken fallen lassen kann, die man sich tagsüber aufs Gesicht geklatscht hat?

Roger und sein neues Profilbild

Projet Roger Teaserbild bei der Porträtfotografin
Bild: watson

Heutzutage sollte man nicht so viel darauf geben, was jemand sagt. Was er tut, ist relevant. Sprich: Wie jemand sitzt. Seine Haltung. Wir sitzen ja quasi nur noch. Wir sitzen im Büro, im Auto, im Zug. Selbst im Flugzeug sitzen wir. Die reinste Sitzkultur. Die Römer sind im Liegen untergegangen, wir werden im Sitzen unseren Thrombosen erliegen.

Immerhin lässt sich das Sitzen als eine Art Tat definieren, zumindest der Akt des Sich-Hinsetzens. Was danach folgt, ist dann schon eher die Sitzung, quasi das Gegenteil jeglicher Handlung. Und da interessiert dann auch am allerwenigsten, was gesagt wird. Was für ein Glück also, sitzt Roger, unser Protagonist mit dem schütter werdenden Haar, gerade nicht in einer Sitzung, sondern im Fotostudio von Madame Bodot; auf einem Barstuhl.

«Warum nur?», fragt man sich an dieser Stelle umso dringlicher, wenn man sich Rogers Haltung einmal ein bisschen genauer vor Augen führt. Warum nur hatte er sich bei all den mannigfaltigen Sitzmöglichkeiten, die ihm die Fotografin anbot, ausgerechnet für den Barstuhl entschieden?

Es sah nämlich nicht unbedingt danach aus, als hätte er darin eine gute Zeit. Es sah bloss danach aus, als wollte er die unbedingt haben. Und hier, meine Damen und Herren, nach genau 200 Wörtern, machen wir bereits Bekanntschaft mit Rogers bestimmendstem Wesenszug; der Verbissenheit, mit der er die Dinge anging. Dass er immer wieder versuchte, ihr mit einer Art demonstrativer Entspanntheit zu begegnen, machte die Sache nicht besser. Und die schmale Beschaffenheit des Barstuhls ebenso wenig. Roger kämpfte mit dessen Armlehnen, in die er sein Gesäss erst mit der einen, dann mit der anderen Backe regelrecht einfädeln musste, nur um dann festzustellen, dass er jetzt wohl für die Ewigkeit dort festsitzen würde.

Das, was er da tat, war kein freies Sitzen, wie man das von Leuten auf Barstühlen sonst so kennt, dieses Lockere, Erhabene auf einem Hochsitz Thronende und vor erbaulicher Unabhängigkeit sanft hin und her Schwingende. Hier hatte der Stuhl gewonnen und machte zunichte, was sich Roger an Inszenierungsvision zurechtgelegt hatte. Der coole, Single Malt trinkende Barheld, den er für sein Porträt mimen wollte, lag im Klammergriff jener metallenen Armlehnen im Sterben. Und wer trug die Schuld daran? Offenkundig war es die Unbeugsamkeit seines Naturells, mit der er sich selbst in diese missliche Lage hineinmanövriert hatte. Sein Knochenbau konnte nichts dafür. Nicht einmal sein aussergewöhnlich breites Becken, es war nur der perfekte Sündenbock für einen Mann, der sich angewöhnt hatte, zuverlässig an seinen wahren Unzulänglichkeiten vorbeizubezichtigen. Das Mindeste, was es in jenem Moment tun konnte, war also, Rogers Anklage zuzustimmen, sich schuldig zu bekennen und die Last jenes Sitzfails stoisch für ihn zu stemmen.

Diese elenden Beckenschaufeln. Wie hatte seine Mutter ihn damit überhaupt gebären können? War der Kopf hier wirklich der schwierigste Teil? Das waren Fragen, die Roger seit dem Tag verfolgten, an dem er die enormen Dimensionen seiner Problemzone erfasst hatte.

Schliesslich aber war sein Becken ein Erbstück, das man mit Stolz zu tragen hatte, wie ihm Opa Fässler immer wieder einbläute. Dieser hatte dieselben mahnenden Worte schon von seinem Vater gehört – es war seit Urzeiten die Fässlersche Taktik, jene Region zwischen Bauch und Beinen als Familienjuwel zu propagieren, statt sie zu verleugnen. Bei Roger fruchtete die Taktik allerdings nicht, im Gegenteil, sie lag brach auf dem mageren Boden seines Selbstwertgefühls.

Esther Fässler hingegen begegnete den Unsicherheiten ihres Jungen stets mit Essen. Eigentlich begegnete sie damit überhaupt allem. Seit er denken kann, stand sie in der Küche und machte sich an ihre geschmacksarmen Menüs: Risi-Bisi, Ghackets und Hörnli, es war egal, sie ertränkte alles in einem unfassbar dünnen Sösslein. Genau wie beim Eisberg ragte bloss die Spitze des Kartoffelstocks aus dem Wasser, die restlichen 90 Prozent lagen darunter. «Das liegt daran, dass ich vom Meer komme», war ihre Antwort auf jegliche Form von Kritik an ihren Kochkünsten. Dabei stimmte das nicht einmal. Sie kam vom Bodensee.

Wenn Roger Glück hatte, traf er in den Weiten dieser wässrigen Tunke auf ein Fettauge. Darin hatte sich der ganze, so rar gesäte Geschmack gesammelt. Und zack, schlürfte er ihn gierig weg. Das ist es, was sein Leben, kulinarisch betrachtet, geworden war: die Suche nach Fettaugen. Und hatte er wieder einmal zu viele davon gefunden, ging er ins Fitnessstudio bei einer Kette namens Update. Oder Upgrade. Roger wusste nicht, wie die Bude genau hiess, er wusste nur, dass er daraus als eine verbesserte Version seiner selbst wieder heraustrat.

So wie heute. Dem ersten Tag seiner goldenen Zukunft. Dem Tag, an dem das Bild geschaffen würde, das seiner Vita den nötigen Karriereboost verpasste. Auf dass es bald schon keine Mitarbeiter-Sitzungen mehr für ihn gäbe, sondern nur noch reinste GL-Meetings.

Dafür hatte er auch nach dem Training extra nichts gegessen. Und trotzdem sass er jetzt in diesem Barstuhl fest, hungrig und nach Nüssli verlangend, die ihm in einer anständigen Bar schon längst gereicht worden wären. Stattdessen arbeitete Madame Bodot an der optimalen Ausleuchtung ihres Kunden. Geschäftig bog sie die flexiblen Arme ihrer antiken Leuchten zurecht, die wahllos an irgendwelchen Gegenständen im Studio zu klemmen schienen. Als sie damit fertig war, zeigten alle wie merkwürdig verkrümmte Schlangen in Richtung Roger.

Ihre exquisite Lichttechnik war einer der Pfeiler, auf denen ihr tadelloser Ruf fusste. So sorgte sie für die schummrige Note, die so charakteristisch war für ihre Porträts und mit denen sie es in den letzten Jahren geschafft hatte, zur In-Fotografin der Stadt zu werden.

Ihr Studio strahlte den Geist zwischenkriegszeitlicher Eleganz aus; man hatte den einen überstanden und der kommende würde einen auch nicht mehr umhauen. Die Menschen gingen mit dem Gefühl da rein, dass sie alles überleben konnten. Darum hatte wohl auch Sergio Ermotti seine Porträtfotos bei Madame Bodot machen lassen.

Jetzt aber war Roger an der Reihe, der noch immer versuchte, seinen inzwischen ganz fahl gewordenen Barhelden zurück ins Leben zu holen. Er lehnte sich betont lässig nach hinten, soweit ihm das in seiner festgespannten Position eben möglich war, um seinen Körper in einen Winkel von etwa 130 Grad zur Stuhllehne zu bringen. Ein Winkel, so dachte er sich, aus dem heraus er aller Widrigkeiten zum Trotz, in beinah römisch liegender Manier zu überzeugen vermochte. Als Barheld, als Chef, als Mann.

«On y va», unterbrach die Fotografin seine Gedanken. «On y va», wiederholte Roger mantraartig, während vor ihm sein altes Französisch-Lehrbuch Gestalt annahm, genauer Simone, wie sie darin die Pariser Métro verpasst. Die Türen schliessen sich vor ihrer Nase und die Zurückgebliebene sieht aus, als hätte sich damit die Freundschaft zu René und François ein für allemal erledigt. Diese Dreckskerle sind ohne sie losgefahren. Im Buch heisst es dazu lakonisch: «Simone reste baba.»

Roger wollte nicht zurückbleiben. Und schon gar nicht baba. Dieses Baba wirkte plötzlich so bedrohlich auf ihn, dass er sich schlagartig aus seiner diagonalen Position erhob und in einen heillosen Aktionismus verfiel. Das zweifelhafte Bizeps-Flexen, mit dem das Schauspiel seinen Anfang nahm, wich bald einer Faust, die einen Moment lang aufrührerisch in der Luft hing, bis schliesslich alles in sich zusammenfiel, die Winkel und auch die Muskeln, und der ganze Kampf sich in Rogers Gesicht verlagerte, in dem sonst nicht viel los war; ein Gesicht zum Vergessen eigentlich, eines ohne Spannungspotential, weder in Sachen Straffheit noch in Sachen gelungener Merkmale. Es war vielmehr eines, das in der Migros schon hundert Mal an einem vorbeigezogen ist, so wie die Kartoffeln in der Auslage, man denkt sich Kartoffeln, man denkt sich Gesicht; man nimmt eine Existenz zur Kenntnis.

Roger stöhnte. Die Fotografin fotografierte.

Und da war es. Das Foto, das so viel mehr war als die Kenntnisnahme einer Existenz. Das Foto, das die eine bestimmende Wahrheit, Rogers Essenz, seinen Kern, den Urgrund offenbarte. Roger in seiner reinsten Rogerhaftigkeit! Der pure Struggle, der uns, im Glanze einer speckig geschwitzten Stirn, vom schwelenden Unbehagen in Bezug auf den eigenen Körper erzählt, von am eigenen Unvermögen zerschellten Erwartungen, aber ebenso von einem eisernen Willen, einem fast bohrenden Eifer, mit dem er sich Wege bahnt, wo keine sind.

Ein Mann wie ein Holzwurm. Einer, der sich durch verschlossene Türen frisst. Ein Mann mit Biss. Madame Bodot war es gelungen, einer in der Tendenz doch eher formlosen Materie Gestalt zu geben, ihr den Lebensodem einzuhauchen. Im Grunde hatte sie Roger gerade erschaffen. Roger, das Meisterwerk.

Doch jedes Stück Kunst, ist es erst einmal vollbracht, muss irgendwann raus aus dem Mutterleib, und allein in der Welt bestehen. Zumindest aber auf LinkedIn. Denn das war von Anfang an Rogers Plan. Mit dem neuen Porträt sein Business-Profil frisieren. Und das tut er nun, zuhause, vor seinem Computer sitzend. Dann wartet er.

Rita vom HR liket es.

Er drückt F5.

Dann wartet er wieder. Fünf Sekunden lang.

Drückt F5.

Sein Magen knurrt, er rebelliert gegen das Hungern, Roger rebelliert gegen das Knurren. Er kann jetzt nicht weg.

F5.

«Géra, komm schon.»

Er tastet nach dem Powerbar-Gel auf seinem Schreibtisch, seine Finger finden und öffnen es, er sperrt den Mund mehr auf als nötig und drückt die C2MAX-Dual-Source-Carb-Mix-Kohlenhydratmischung in sich hinein.

«Mmmh, Passionsfrucht», denkt er, und wird ganz euphorisch, vollauf bereit, sein volles Potential auszuschöpfen. Er haut in die Tasten und schreibt unter sein Bild: «Ready to Ramble!» Dann googelt er den Satz. Schreibt «Rumble». Und ergänzt: «Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen.» Speichert.

F5.

«Sicher liket sie es nicht, weil ich auf dem Bild statt dem TAZ vom Militär ein blaues Hemd anhabe», erklärt er sich die Abwesenheit von Géraldines blauem Daumen unter seinem Post. Dabei würde er für sie sofort auch das Gnägi noch oben drüberziehen! Géraldine stand auf Männer in Uniformen. Und Roger stand auf sie.

F5.

«Los, Géra!»

Rolf liket es – und schreibt darunter: «Geiles Foto Rotsch !!!!!!»

Rolf wohnt unter Roger und ist arbeitslos.

F5.

F5.

Für immer F5.

Roger beim Networking

Projet Roger Networking Teaser
Bild: watson

Um drei Uhr morgens gab Roger auf. Am Morgen danach hatte sein neues LinkedIn-Profilbild vier Likes erhalten.

Es war nicht viel, aber es war ein Anfang, sagte sich Roger und zog sich seine On-Schuhe an. Er gehörte vor ein paar Jahren zu den tausend glücklichen Siegern, die Roger Federers zweiten, limitierten Schuh kaufen durften. The Roger Clubhouse – für 240 Franken. Das schmälerte zwar Rogers Budget, nicht aber sein Gewinnergefühl. Das lag einmal daran, dass er neben der Edelstahl-Kräuterschere bei einer Tombola überhaupt noch nie etwas gewonnen hatte. Und eigentlich wollte er viel lieber die Speckpresse haben, aber die ging an Severin Fischli. An den dummen Severin Fischli mit seinen dummen X-Beinen, mit denen er Roger beim Grümpeli jedes Mal ausdribbelte.

Zum anderen war der Kapitalismus Rogers Zuhause, so ein bisschen Profitsteigerung eines Schweizer Unternehmens war für ihn nichts anderes als die im Schlafzimmer herumliegende Unterhose. Er war es sich gewohnt. Er sah auch die Bremsspur darin nicht, die sich, wie die Gewinnspanne für seine Treter, unanständig in die Länge zog, quasi über den Unterhosenrand hinaus, quer über den Gummizug. Aber Roger guckte nicht so genau hin. Und schon gar nicht bis rüber nach Vietnam.

«Nicole», sagte er schon am nächsten Tag im Büro, «wir müssen zu einem Match gegen den Kovac. Im Doppel gegen den Mann mit den vielen Kontakten und seiner Sekretärin! It's networking time, Baby!»

Nicole, die Frau, die Roger täglich nach 15 Uhr ein paar Nippons neben seine fleckige Tastatur legte und so dafür sorgte, dass er nicht zusammenklappte. Eine mütterliche Geste, die Roger auch nach fünf Jahren Tischnachbarschaft missverstand und glaubte, sie wolle ihn mästen. Damit er so dick werde wie sie und sie dann nicht mehr so allein wäre mit ihrem Dicksein.

Das war natürlich reinste Projektion. Und auch über die sah Nicole hinweg. Wie über alles menschliche Versagen, das von Roger kam. Sie mochte ihn. Niemand wusste so genau, warum. Es war einfach so. Seit Tag 1, als seine schwitzige Hand von der ihren abrutschte und im letzten Moment noch an ihren Fingern Halt fand. Dort hängend, machte sie wett, was sie vorhin verpasst hatte, und drückte dermassen fest zu, dass es knackste. Nicole lachte – und hiess Roger willkommen.

Zu den On-Schuhen kaufte er damals nach Wimbledon gleich noch ein ganzes Tennistenü. Um zu sein wie sein Held und Namensvetter. Ein Gott in Weiss. Und als solcher trat er nun aus der Umkleidekabine, wo ihn Nicole bereits erwartete.

Und sah, wie Rogers imposante Beckenschaufeln die weissen Shorts so sehr strapazierten, dass das Bindeband unwiederbringlich in den Löchern verschwand, während das Elastikbündchen, den gesamten Vorrat an Dehnbarkeit hingegeben, zur messerscharfen Schlingfalle wurde und sich unerbittlich in Rogers Hüftfleisch schnitt.

Oben hingegen war genug Luft, im Grunde schon wieder zu viel. Das Poloshirt drohte vor lauter Atmungsaktivität zu zerfallen, so dünn war das Stöfflein, das sich über Rogers Oberkörper legte. Und hinter jenem leichten Vorhang standen seine Brustwarzen – und warteten. Warteten wie eine Braut unter ihrem Schleier darauf, von der Zukunft gelüftet zu werden.

Doch die Zukunft kam nicht.

Vielleicht, weil die Nippel ein wenig zu forsch hervorstachen. Sie waren, wie der ganze Roger, stets angespannt, in fiebriger Erwartung auf das lauernd, was in der Ferne lag – Chancen, Optionen, Opportunities, die er dann, kaum erspäht, mit seinen zwei spitzen Nippellanzen augenblicklich durchstiess.

Da hingen sie dann, schlaff und kraftlos, und bluteten aus.

Roger wollte einfach alles immer ein wenig zu fest. «Roger, du bist halt ein Intensiver», sagte Nicole dann zu ihm.

Schliesslich braucht jeder Mensch seine leicht justierte Lebensgeschichte und mindestens eine treue Zeugin, die sie ihm bestätigt. Deshalb warf Nicole ihm hin und wieder eine kleine Lüge hin, so wie einem Hund einen Knochen.

Jetzt aber war nicht die Zeit für einen Knochen. Jetzt musste die Wahrheit her.

«Wenn ich ehrlich bin, Roger, die Hosen sind glaubs nicht so gut», sagte Nicole. Roger schaute auf den dritten Court, wo Kovac sich bereits einwärmte.

«Nicole, ich muss Kovacs Aufschlag analysieren!»
«Ok, gut. Aber mit diesen Shorts wirst du ihn nicht schlagen.» Roger antwortete nicht. «Die Bewegungsfreiheit darin ist gleich null.»
«Nicole.»
«Ich sag nur, wie's ist, Roger.»

Roger schaute Kovac zu, seinen leichten, geschmeidigen Bewegungen, dem eleganten Schwung seiner Vorhand.

Er wusste, dass es falsch war, sich in diese Shorts zu zwängen. So falsch wie nur irgendetwas. Diese Gewissheit kam über ihn, überdeutlich und grausam, und liess seinen Körper weinen. Er schwitzte, als könnte er die Hosen wegschwitzen, und mit ihnen gleich auch sein Shirt, aus jenem ganzen lächerlichen Tenü heraustranspirieren wollte er sich, und dabei selbst zur Pfütze werdend, in der nächsten Abflussrinne verschwinden. Stattdessen stand er da, ein Trottel in Weiss, mit dem Squash-Schläger in der Hand.

Er spielte auf keinem weitläufigen Tenniscourt, sein Platz war diese winzige Betonzelle mit der einen Glaswand, durch die man sich an seinem Possenspiel ergötzen konnte.

Hier würde er von Kovac vernichtet werden. Auf diesem würdelosen Platz, in seiner würdelosen Aufmachung, würde der Mann mit den vielen Kontakten sein Ende besiegeln.

Aber Roger wäre nicht Roger, würde er nicht alles versuchen, seinen bevorstehenden Untergang abzuwenden. Er musste aus diesen Shorts raus und rein in die schwarzen, die er als Reserve eingepackt hatte. Jenen konnte sein Becken nämlich rein gar nichts anhaben!

«Ich komm gleich wieder», sagte er zu Nicole, und steuerte die Umkleide ein weiteres Mal an.

«Hallo, Roger?», sagte die Frau, die just in diesem Moment mit sehr passenden Shorts aus der Damengarderobe kam.
«Ähm, ja. Ich wollte grad ... Ja. Roger, genau, und du?»
«Marie, ich bin Kovacs Sekretärin. Und heute eure Gegnerin!»
«Freut mich», sagte Nicole und schüttelte Maries Hand. «Auf ein faires Spiel!»
«Auf ein faires Spiel», bekräftigte Marie mit ernstem Blick. «Wollen wir?»
«Und wie wir wollen!», hörte sich Roger sagen und öffnete den Damen die Glastür zur dritten Box.

Und als hätte sich mit dieser Tür gleich auch ein Spalt in Roger selbst geöffnet, drangen die Selbstzweifel in sein Innerstes und begannen damit, an dem Seelengerüst zu nagen, das er all die Jahre lang so mühevoll aufgebaut hatte. Mit jedem Ball, den er ins Out schoss, lotterte es bedrohlicher, mit jedem Schritt ins Leere wackelte es bedenklicher. Wenn es zusammenfiele, ja dann gute Nacht. Oder hallo Therapie. Aber dafür war Roger nicht gemacht. Vielleicht hatte das Schicksal ihm darum eine Nicole geschenkt.

Sie war es, die das Gerüst jetzt mit ihren starken Oberarmen festhielt. Und bald auch Rogers Hosen. Im letzten Satz war es dann doch noch passiert. Während eines besonders gewagten Ausfallschritts waren sie gerissen. Nicoles Sorge galt daher nicht mehr ihrem niedrigen Spielstand, sondern allein Rogers Malheur. Dieses musste mit allen Mitteln vor Kovac verheimlicht werden. Und so war sie vollauf damit beschäftigt, Rogers Hinterseite zu decken, auch wenn es spieltechnisch wenig Sinn ergab.

Diese Tatsache verunsicherte ihre Gegner wiederum so sehr, dass Roger es irgendwie schaffte, zwei gigantische Prachtsbälle zu spielen, denen das Dreamteam Kovac/Marie nur noch hinterherstaunen konnte.

An diese beiden Bälle heftete sich sein Ego nun, richtete sich daran wieder auf. Nicht zur vollen Grösse zwar, dafür hätte es noch ein bisschen mehr gebraucht, aber Roger spürte sich allmählich wieder. Sein nächster Ball wollte zu viel. Und die danach auch. Aber Roger spielte sie mit der alten Inbrunst – und das beruhigte Nicole.

«Guter Match!», schnaufte er zum Schluss, und Kovac pflichtete ihm höflich bei. Dann lief Roger rückwärts zur Seitenwand, blieb da stehen und machte «puuuh», bis Kovac und Marie aus der Tür waren.

Roger hörte das erlösende Rauschen der Dusche, als er die Garderobe betrat. So konnte er sich ungesehen seiner lädierten Shorts entledigen. «Yes!», dachte er sich, und stapfte voller Tatendrang in den Duschraum, wo keinerlei Trennwände waren, hinter denen er seine Beckenschaufeln hätte verstecken können. Da fand er ihn, den Kovac, nackt, gross und nass. Selbst duschen konnte der. Ein Profi, auch unter der Wandbrause.

Roger stellte die Dusche neben Kovac an. Erst wollte er eine dazwischen auslassen, aber dann entschied er sich im letzten Moment noch um. Damit es nicht aussah, als würde er diesen Männerkontakt scheuen.
«Roger!», sagte Kovac.
«Kovac!», sagte Roger.

Sie duschten.

«Nächsten Mittwoch Bier?», fragte Roger.
«Klar, aber nur, wenn du andere Hosen anziehst!», antwortete Kovac.

Roger hielt sein Gesicht in den Wasserstrahl, versuchte zu lachen – und verschluckte sich. Durch sein Gehuste und das Wasserrauschen hindurch vernahm er Kovacs Stimme, als käme sie von weit, weit her: «Aber hey», rief sie, «besser ein Hosenriss als ein Hodenriss!»

Roger und die Magic Mushrooms

Projet Roger Teaser Apéro
Bild: watson

War ein Hosenriss wirklich besser als ein Hodenriss? Verdammter Kovac, dachte sich der schrumplig geduschte Roger, der nach seinem Fremdouting einfach unter dem Wasserstrahl stehen blieb. Gelähmt vor Scham. Für Gott weiss wie lange.

«Apéro ist ready!», sagte Nicole am Freitag drauf freudig zu ihm. «Komm, genug gearbeitet für heute, lass uns schauen, was dieses Mal alles aufgetischt wird.» Roger folgte seiner Arbeitskollegin widerwillig auf die Dachterrasse ihres riesenhaften Bürokomplexes, wo er unter einem blau-weiss gestreiften Sonnenschirm eine Bambustheke erblickte. Dahinter standen zwei Kellner, beide im Matrosenanzug, der eine braun gebrannt, die Haut des anderen spielte schon eher ins Rötliche.

«Wie passend», meinte Roger, «da hat die Chefin extra einen Sonnenverbrannten bestellt für ihre doofe Rimini-Party.»

Roger hasste Motto-Partys. Er fühlte sich davon eingeengt. Vielleicht war es aber auch die Fantasie, über die er nur in sehr rudimentären Ansätzen verfügte und die von der Aufgabe, sich einen alternativen Roger, und sei es bloss einen Roger am Reihenstrand am Bagno 57 in Rimini, zu denken, überfordert war. Und natürlich wusste auch Nicole über jene Verkleidungsträgheit Bescheid und brachte ihm ihre knallrote Herzlisonnenbrille mit.

«Hier, zieh die an und lächle», befahl sie ihm jetzt, «ein kleines Zugeständnis an die Festlaune der Belegschaft musst du schon machen, sonst wirkst du wie eine beleidigte Leberwurst, und das bist du doch nicht.»

Leider war Roger genau das. Er hasste nicht nur Motto-Partys, auch Apéros bekamen ihm nicht, weil es ihm nur selten gelang, dieses spätnachmittägliche Trinken in ein einigermassen vernünftiges Verhältnis zu den dargebotenen Häppchen zu setzen. Wie ein in den schaumig aufgetürmten Wellen des Ozeans verloren gegangenes Papierschiffchen segelte er seinem sicheren Untergang entgegen.

Er kotzte und ging nach Hause. Meistens jedenfalls. Heute allerdings sollte der Apéro «riche» werden. Roger hatte schon die Crevettenschwänze aus den Gläschen lampen sehen. Er hasste Crevetten.

«Zwei Campari Soda, bitte», sagte Nicole zum Gebräunten.

«Wo bleibt sie nur, die Frau der Stunde?», fragte Roger ungeduldig, während er versuchte, am Sonnenschirmchen in seinem Glas vorbeizutrinken.
«Ich hab sie auch noch nicht ... ah doch, da, da hinten!», jauchzte Nicole.

Und da stand sie. Umringt von sechs Männern, darum sah Roger sie erst gar nicht. Aber jetzt ging der eine zur Bar und es tat sich unversehens ein Loch auf in jenem engmaschigen Netz, woraus ihr ganzes Funkeln wie regenbogenfarbige Streumunition geschossen kam. Das Sonnenlicht hatte sich in ihrem Schuppenkleid verfangen, um dort gnadenlos aufgespalten, gebrochen und zerlegt zu werden. Roger blinzelte, fast wäre er unter Nicoles Herzli-Sonnenbrille erblindet, während der Rest der Glitzerstrahlen sich direkt in sein völlig schutzloses Herz bohrte.

Da stand sie, fischschwänzig und in einem blau schimmernden Muschel-BH, als hätte man sie aus einer viel zu schönen Geschichte gefischt und nun zum allgemeinen Ergötzen auf diese gepflasterte Dachterrasse gestellt. Hier tropfte sie die letzten Tropfen Meer in die Fugen, auf dem Trockenen zur Unbeweglichkeit verdammt, konnte sie nicht aus ihrer Gefangenschaft fliehen.

Oder wollte sie es am Ende gar nicht?

Roger stürmte hin zu ihr, er wollte sich in die Lücke stellen, die den Männerreigen für kurze Zeit unterbrochen hatte. Dann sah er, wie Stefan, von der Bar kommend, dieselbe Richtung einschlug. Roger gab Vollgas, schaffte es gerade noch vor seinem Konkurrenten – und schloss den Kreis.

«Oh, Stefan, du Bester, ist das hier mein Sex on the Beach?» Die Meerjungfrau zeigte neben Roger vorbei auf den orangefarbenen Cocktail in der Mitte von Stefans Tablett.

«Was sonst!», antwortete Stefan. Roger seinerseits wollte keinen Zentimeter seines errungenen Platzes hergeben, aber weil sich die Meerjungfrau selbst nicht zum Tablett bewegen konnte, musste er den Mann mit den Getränken schliesslich doch durchlassen. Ein wenig zumindest, er stellte sich seitwärts, sodass Stefan das Tablett mühselig in den Kreis hineinstrecken musste, wo das Nixenhändchen noch immer verlangend in der Luft hing. Kaum hatte es nach der Erfrischung gegriffen, wollte Roger sich wieder zurückdrehen, geriet dabei mit seinem leicht in Schwingung versetzten Arm ans Tablett und kippte die sechs Biergläser um, die darauf verblieben waren.

Einige davon fielen zu Boden und zersprangen. Es spritzte und scherbelte. Und in der nun herrschenden allgemeinen Bestürzung, zwischen den zahlreichen «Oh man, Roger!»- und «Roger, du Idiot!»-Rufen der anderen, griff Roger nach der barfüssigen Wassernymphe, hob sie aus dem Scherbenmeer und trug sie auf seinen Armen davon.

Raubte sie, wie Zeus Europa raubte, und brachte sie zur Toilette, damit sie sich in ihre Reinheit zurückwaschen konnte.

«Oh!», machte Géraldine.«Gratuliere», sagte Roger. «Du hast die Beförderung verdient.»
«Danke, äh ...?», antwortete sie ihm und öffnete die Tür zum Damen-WC.
«Roger», sagte Roger.
«Roger», wiederholte Géraldine.
«Und tut mir leid wegen dem Bier», rief er ihr noch hinterher.

Sie hielt ihren Fischschwanz in die Höhe, damit sie gehen konnte, wobei ihre hauchzarten, zierlichen Füsse zum Vorschein kamen. «Auf diesen winzigen Füsschen geht sie also durch die Welt. Und sogar aufs WC. Einfach so. Macht sie dreckig, ohne mit der Wimper zu zucken. Was für eine Frau!», dachte Roger voller Bewunderung.

«Ach, egal», hörte er ihre immer ein bisschen heisere Stimme durch den Türspalt, «der billige Polyester von diesem Meerjungfrauen-Kostüm riecht nicht viel besser, da ist der Bierduft gleich eine Aufwertung!»

Roger stand noch eine Weile vor der Toilette rum. Was war gerade passiert? Hatte er Géra wirklich auf Händen zum WC getragen? Was für ein Held. Dass er selbst Verursacher des Unglücks war, in das seine Braut geraten war, hatte er geflissentlich verdrängt. Geblieben war reinste Bewunderung für sich selbst.

Am allermeisten gefiel ihm, dass er sich dabei selbst überrascht hatte. Im Moment grösster Verzweiflung war er über sich selbst hinausgewachsen. Hätte er so einen Move doch nur während des internen Bewerbungsgesprächs mit der Chefin gemacht, dann wäre nicht Géra, sondern er selbst befördert worden. Andererseits. Wo hätte er die Chefin hinlupfen sollen? Vielleicht war's auch einfach so eine Sisterhood-Sache, dachte er jetzt. Ein Frauending. Ein Frauenquotending vielleicht sogar. Quantität vor Qualität. Typisch. An seiner Powerpoint-Präsi kann's nämlich nicht gelegen haben, die war eins a.

«Hey Roger, bist du dabei?», unterbrach Géra seine Gedanken. Sie wedelte mit einem Säcklein aus der WC-Tür heraus.
«Was ist da drin?», fragte er.
«Zauberpilzli», antwortete sie.
«Her damit!», sagte Roger, der neue, verwegene Roger, der bereit war, aufs Ganze zu gehen. Und darüber hinaus. Er schnappte sich das Säcklein, sperrte seinen Mund auf und leerte den halben Inhalt in sich hinein.

Es war wie damals im Jungwacht-Lager, als Schwester Irma dieses zaddrige Voressen gekocht hatte, das er über eine halbe Stunde lang gekaut hatte, ohne dass es dabei die geringste Formveränderung vollzogen hätte. Voressen, nur schon dieser Name. Als hätte es Schwester Irma davor schon im Mund gehabt. Und genauso schmeckten auch die Pilze.

Roger schlug energisch seine Zähne drauf und dazwischen würgte er, die Galle vermischte sich mit den ledrigen Pilzstücklein, das Resultat war eine ausnehmend strenge, erdig-säuerliche Note, die seinen Rachen verätzte.

«Oha», sagte Géra. «Bist du sicher, dass das eine gute ...»
«Ja», röchelte Roger. Sein Selbstbewusstsein erdreistete sich mittlerweile schon, mitten in die sonst so unantastbaren Sätze seiner Angebeteten hineinzufahren.

Eine Stunde später konnte man Roger dabei zuschauen, wie er die Kokosnüsse der aufblasbaren Plastikpalme zu pflücken versuchte. Er hüpfte ein wenig, kam aber auch so nicht ran, also setzte er sich hin und klagte über die ihm verwehrte Süsse, an der er sich so gerne hätte gütlich tun wollen.

Plötzlich sah er, wie Géras Gesicht auf einer der Früchte auftauchte, es sagte «Hopp, Roger!», also stand er wieder auf und scheiterte noch einmal. Géra lachte. Und Roger weinte. Er weinte laut und bitterlich und begann damit, sich auszuziehen. Erst die Kleider, dann die Haut. Beides faltete er ordentlich zusammen und legte es vor die Palme auf den Boden. Dann folgten Bindegewebe, Fleischfasern, Muskeln. Zuletzt nahm er seine Knochen, türmte sie auf zu einem grossen Haufen. Die der Arme nahm er in den Mund und warf sie obendrauf. Seinen nackten Schädel behielt er. Und aus seinen leeren Augenhöhlen heraus sah er, wie Géras Gesicht sich aus der Kokosnuss schälte, wie es immer grösser wurde und zu einer riesenhaften Fratze anschwoll. Darunter begann sich ein krustiger Körper zu bilden, woraus zehn lange Krabbenbeine erwuchsen, mit denen sie nun seitwärts auf den Knochenhaufen zustakste. Mit ihren Zangen zerbrach sie Rogers Gebeine, zerstückelte sie restlos, bis nur noch kleine Brösel übrig waren.

Rogers Filmriss

Projet Roger See Teaser
Bild: watson

«Nächster Halt, Rorschach.»

Roger schaute auf den See, der hin und wieder hinter seinem Fenster aufblitzte. Er war von seinem Bett direkt in den Zug geflüchtet. Wenn einem so etwas passiert wie ihm, dann muss man sofort an einen See fahren. An einen sehr grossen. Bis nach Genf wollte er aber dann doch nicht, der Bodensee musste reichen.

Sein Kopf war so schwer, dass er ihn kaum auf dem Hals tragen konnte. Den Ellbogen auf das kleine Tischlein gestützt, hielt er ihn wie eine Bowlingkugel mit den Fingern an der Stirn. Leider aber fehlten die Grifflöcher, der Schmerz hätte sonst vielleicht daraus entweichen können.

So aber musste Roger seine Nägel reindrücken, bis der Zug hielt. Dann stieg er aus und setzte sich auf eine Bank. Es war früh am Morgen, das war gut, so konnte er auf klares Wasser schauen, keines von billigen Parfums und hochprozentigen Sonnencremes bereits verschlierggtes. Seine Gedanken waren schon dreckig genug. Als klebriges Knäuel hafteten sie irgendwo an einer Hinterwand seines Gehirns, wo er nicht rankam. Der See musste ihm jetzt helfen, musste ihm das Knäuel ins Bewusstsein zurückspülen, wo Roger es zerlegen und ordnen konnte.

Die Möwen zogen ihre Kreise über ihm. Hatte er Géra seine Möwen-Imitation vorgeführt? Roger war wirklich gut darin. So gut, dass die Möwen ihm antworteten.

Aber es war nicht von Belang. Die Drogen hatten sein Innerstes nach Aussen gekehrt. All seine Gefühle hatte er ihr dargeboten, auf einem Bauchladen lagen sie, gratis, zum Mitnehmen.

Roger war leergeräumt worden – und konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern.

«Ist hier noch frei?», fragte eine Frauenstimme. Roger schaute hoch, sah erst eine Brille und dann ein Gesicht, das wie etwas Zweitrangiges drumherum modelliert worden war. Er hatte keine Lust auf andere Leute. Und schon gar nicht auf eine Frau mit überspannter Brille. Er nickte, den Blick wieder aufs Wasser gerichtet, das ganz still und grün vor ihm lag.

Die Frau setzte sich hin, nahm ihre Brille ab und begann sie zu putzen. Sie spuckte auf die ausladenden Gläser und rieb sie an ihrem Rock trocken. «So», sagte sie. «Jetzt seh ich wieder was.»
«Muss schön sein», hörte sich Roger sagen. Eigentlich wollte er gar nicht mit ihr reden.
«Kommt immer drauf an», antwortete sie ihm. «Ich hab auch weniger Schönes gesehen.»

Jetzt sah Roger, dass sich die Haut um ihre Brille herum ganz erschöpft von einer zur anderen Ecke hangelte. Vielleicht fühlte sich die Dame jeden Tag so erschlagen wie er gerade. Erschlagen vom Leben. Von seiner Unnachgiebigkeit, seiner Länge. Und weil Roger innerlich so leer war, gab es nun Raum für die Gefühle anderer, und so füllte er sich bis obenhin mit Mitgefühl für seine Banknachbarin, für ihr Schicksal, das er zwar nicht kannte, aber durch seine membranhafte Zartheit, die ihm der Drogenkater in jenem Moment verlieh, ganz genau zu spüren glaubte.

«Was ist los, junger Mann?», fragte sie ihn.
«Ich blicke nicht mehr durch», gab Roger zurück. «Ich glaub, ich hab alles ruiniert.»
«Meiner Erfahrung nach kann man das meiste wieder gradebiegen. Ausser du hast ihr einen Dolch ins Herz gerammt.»
«Eher sie mir», sagte er.
«Verstehe.»

Und Roger fühlte sich verstanden. Irgendwo zwischen Geschehenem und Gegenwärtigem sitzend, in einem Zustand vollumfänglicher Versehrtheit, begann er zu akzeptieren. Möglicherweise war es auch ein akuter Schwächeanfall, letztlich aber etwas Begrüssenswertes, denn Roger gab sich für einmal den Begebenheiten hin. Er versuchte nicht länger, die geisterhaft an ihm vorüberziehenden Erinnerungsschwaden der letzten Nacht zu erhaschen. Plötzlich machten sie ihm keine Angst mehr, er wurde ganz still und grün wie das Wasser vor ihm.

Zumindest so lange, bis er sich erbrach. Danach war er nicht mehr grün und auch die Ruhe war weg, futsch die Losgelöstheit von all dem sinnlosen Begehren. Roger hatte sich kurzerhand aus jener nirvanahaften Verfassung herausgekotzt, um sich in den heimeligen Zwängen und dem schwarzen Loch wiederzufinden, das sein Gedächtnis war. Umso inständiger setzte er nun alle Hoffnungen in die Frau neben ihm, die ganz interessiert die bröcklige Lache zwischen seinen Beinen betrachtete. Sie schob ihre Brille über die diversen Hügel ihrer Nase und fing an, darin zu lesen.

«Hmm», sagte sie nach einer Weile. Roger schaute ihr zu, wie sie seinen Mageninhalt durchforstete. Das Ganze schien eine gewisse Professionalität zu haben.
«Da!» Sie zeigte an den nordwestlichen Rand der übelriechenden Tunke, dahin, wo sich die allermeisten Klümplein zusammengetan hatten.
«Eine Crevette!», rief sie freudig wie eine fündig gewordene Goldgräberin.

Na toll. Daran konnte sich selbst Roger erinnern. Es war das Einzige, was er mit Sicherheit niemals vergessen würde. Wie er dieses schauderöse Krustentier auf Nicoles Geheiss heruntergewürgt hatte, damit er dieses Mal ein Bödeli habe. Wie sich dieser in harmlosem Blassrosa getarnte Halbkringel weigerte, schnell und ohne allzu gefährliche Geschmacksentfaltung seine Kehle hinabzugleiten, wie sich dieser krebsige Widerling auf dem Weg zum Enddarm querstellte und statt sich unverzüglich in eben jenes zweckmässige Bödeli zu verwandeln, viel eher zum Pröpfli wurde und dergestalt Rogers Speiseröhre abdichtete.

Nur der Campari Soda konnte ihn vor dem sicheren Erstickungstod retten.

Roger sah ein wenig genauer hin. Konnte das sein? Diese schwarze Linie am Rücken. Das war nichts anderes als sein vollgeschissener Darm! Rogers Verdacht erhärtete sich, der Shrimp wollte ihn fertigmachen. Als würde er sagen: «Schau, wie ich völlig unbeschadet in deinem Magensaft gebadet habe – mitsamt meinem Kackkanal!»

Im Umkehrschluss hiess das natürlich: Rogers Verdauungstrakt war ein Schwächling. Unfähig, einen lumpigen Shrimp anständig zu zersetzen. Vielleicht wusste sein Körper auch einfach nichts mit den hochwertigen Proteinen darin anzufangen.

Alles in allem war es ein Tiefpunkt, wie ihn selbst Roger noch nicht erlebt hatte. Da sass er, auf einer Bank in Rorschach, vor seiner Kotze, in die die Alte neben ihm noch immer mit dem theatralischen Ernst einer Volksspiritistin hineinstarrte, und war eifersüchtig auf die makellose Verdauungsleistung eines Shrimp.

Er stand auf und ginggte in den nächstgelegenen Baum. Dann fuhr er zurück nach Hause. Seine Tür stand offen, Roger hatte vor lauter Fluchtinstinkt vergessen, sie abzuschliessen. Und gerade, als er sich aufs Bett fallen lassen wollte, knirschte es unter seinem On-Schuh. Er schaute zu Boden und sah dort die Herzlisonnenbrille liegen, die er gestern Abend getragen hatte. Sie musste schon früher zerbrochen sein, sie war regelrecht zermalmt worden. Das konnte er nicht mit seinem müden Tritt von vorhin geschafft haben.

Er hob eine Scherbe auf und hätte es auf dem getönten Glas fast übersehen, aber der dunkle Fleck ... Er kratzte ein wenig davon ab, guckte nochmal. Ja, es war Blut. Und auch auf dem Boden sah er die Schlierggen jetzt.«Blut. Blut und Boden. Adolf Hitler ... what? Ich werde wahnsinnig», dachte sich Roger und zog Schuhe und Socken aus. Nichts. Kein Kratzer. «Ok, gut, ich bin also nicht reingetrampt. Hab ich mich vielleicht vor lauter Verzweiflung geritzt?» Roger untersuchte seine Arme, dann entkleidete er sich, suchte am ganzen Körper nach Verletzungen, sah sich seinen Rücken im Spiegel an, nichts.

«Wenn es nicht meins ist, wessen Blut ist das?», fragte er sich. «Géra. Ohmeingott. Ich habe ihr doch einen Dolch ins Herz gerammt. Nein, dann wär mehr Blut da. Und mehr Géra auch. Und überhaupt, wie soll sie hierhergekommen sein. Nein, das kann nicht sein. Darf nicht sein. Please.»

Rogers sensationelle Technik

Projet Roger
Bild: watson

Das mit dem Blut war so eine Sache bei Roger. Schon bei seiner Geburt wurde er davon ohnmächtig. Und später, als es ans Impfen ging, wieder, sofortige Ohnmacht. Beim Augenbrauenpiercing, zack, und Roger hatte die Besinnung verloren.

Was er gestern aber auf seinem Schlafzimmerboden gefunden hatte, war etwas anderes. Es war fremdes Blut – das von seiner Mutter bei ihrer Niederkunft vergossene gehörte ja immerhin zur Familie und zählte darum nicht. Das hier war artfremd. Und nicht nur das. Es war einsames Blut; der Körper, der es verloren hatte, unauffindbar und namenlos.

«Da bist du ja!», rief Nicole freudig, als sich Roger neben sie ans Pult setzte. «Ich hab dich an der Party vermisst, wo warst du?»
«Ich bin früh nach Hause», erwiderte Roger knapp. Offensichtlich hatte Nicole seine Palmen-Show verpasst. Ihr «Ahaaa?» dehnte sie so sehr, dass selbst Roger merkte, dass ihr das als Erklärung nicht reichte.
«Die scheiss Crevetten», präzisierte er.

«Dann iss besser mal ein Nippon, du bist ganz schön bleich», gab sie ihm zur Antwort, und Roger gehorchte schweigend, während sie ihn dabei gespannt beobachtete. Sie hoffte offenbar darauf, dass sich der Farbwechsel unmittelbar nach dem ersten Bissen vollzöge. Schliesslich war sie keine Expertin in Sachen Ernährungsdiagnostik und über die umwandlungsträgen Verdauungsorgane ihres Kollegen wurde sie ebenso wenig in Kenntnis gesetzt. Und so wartete Nicole halt noch ein bisschen und wusste nicht, dass sie auf ein Wunder wartete. Roger würde leider nicht jesusgleich jenes mit Schoggi überzogene Puffreis-Biscuit in gesunde, rote Apfelbäcklein zu verwandeln wissen.

«Es ist das Alter», schlussfolgerte sie jetzt aus der ausgebliebenen Transsubstantiation. «Ab 35 dauert ein Kater mindestens zwei Tage. Danach schnellt die Kurve in schwindelnde Höhen. In meinem Alter findet man quasi überhaupt nicht mehr aus dem Kater heraus.» Nicole lachte.

Nicole und ihre Formeln. Darin brachte sie die ganze Welt unter. Roger hätte ihr so gern von dem Blut erzählt, seinem leergefegten Gedächtnis und der Angst, was sich darin einmal befunden haben mochte. Sie hätte die Zutaten genommen, sie zusammengemischt und ein schmackhaftes Rezept daraus gemacht, der alptraumhafte Schrecken wäre einer bestechend schlüssigen Logik gewichen. Sie war Jesus so viel näher als Roger. Nicole konnte wirklich zaubern.

Plötzlich stand Marco vom Sales vor ihrem Tisch. Arbeitstechnisch hatte Roger mit diesem gelfrisierten Typen keinerlei Berührungspunkte. Und auf menschlicher Ebene noch viel weniger. Marco sah gut aus, fast zu gut sogar, er wirkte so, als wäre seine Visage im Perfektionswahn gezeichnet worden, mit zu viel Druck auf dem klassischen Stabilo point 88 Fineliner, dessen Spitze sich darob ächzend spaltete und wie ein ausgefranster Reisigbesen weiter kratzend übers Blatt gezogen wurde.

Seine Lippen waren dabei etwas zu dünn geraten. Da hätte man vielleicht mit einem intakten Stabilo noch einmal drüber müssen.

Für Nicole jedenfalls war der Fall Marco klar. Zu dünne Lippen, das bedeutete nichts als Falschheit. Aus einem solch schmalspurigen Mündlein konnte bloss Lug und Trug kommen. Das hatte sie bei Lavater in leicht anderer Form gelesen, dem Zürcher Pfarrer, der 1778 die vierbändigen «Physiognomischen Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe» auf die feine europäische Gesellschaft losliess.

Als Geistlicher war ihm das menschliche Antlitz der Spiegel Gottes und der würdigste Gegenstand der Beobachtung überhaupt. Also machte er sich daran, die Buchstaben des göttlichen Alphabets zu entziffern, indem er abenteuerliche Parallelverschiebungen der Äusserlichkeiten seiner Versuchspersonen in deren Innerlichkeit vornahm. Und wer dem Pfarrer Oberflächlichkeit vorwarf, der bekam zu hören: «Wird der Himmel nicht täglich nach seiner Physiognomie beurtheilt?»

Was für ein Mann. So vertrauenswürdig wie der Wetterbericht.

Dennoch hatte Nicole nicht ganz unrecht. Marco war ein Arschloch. Und er arbeitete im Sales. Die lügen den ganzen Tag und werden dafür auch noch bezahlt. Marco wahrscheinlich besser als Roger und Nicole zusammen.

«Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du eine sensationelle Technik hast», sagten die dünnen Marco-Lippen zu Roger.

«Hä? Was für ein Vögelchen? Und was für eine Technik?», fragte sich Roger nervös. «Wovon spricht dieser Mann? Das brauch ich jetzt gar nicht. Weiss er was? Ist das eine Falle? Eine Rätselfrage? Ist er die verdammte Sphinx? Er war auch an der Rimini-Party. Hat's bei Géra versucht, gegraben hat er wie ein tobsüchtiger Rüde, glaubte wohl, dass seine Schönheit allein genug ist, um bei ihr zu landen. Pah. Was weiss der Kerl? WAAAS?»

Das letzte ‹Was› musste Roger aus Versehen laut herausgeschrien haben, denn Marco schaute ihn erschrocken an.

«Was?» wiederholte Roger, dieses Mal betont leise. «Marco, alter Schwede!» An dieser Stelle schwoll seine Stimme wieder zum vollen Volumen an. Das Zittern darin hörte nur Nicole heraus. Roger stand von seinem Pult auf und haute Marco auf die Schulter. «Was führt dich denn hierher?»

Bei Unsicherheiten soll man Fragen einfach mit Gegenfragen begegnen, das wusste Roger aus dem Grundkurs «Plötzlich Chef Teil II».

Marco rieb sich die Schulter. Der Schlag war wohl ein wenig zu alpha. «Ähm, eben», erklärte er ein wenig verwundert über Rogers Verhalten, «ich will mehr über deine Technik wissen.» Beim Wort «Technik» zwinkerte er Roger zu – und Roger glaubte, zu verstehen.

«Erstmal brauchst du einen richtig guten Schläger», führte dieser aus. Die Stabilo-Linien in Marcos Gesicht begannen vor freudigem Erstaunen zu vibrieren.
«Einen Schläger?!», wiederholte Marco ganz aufgeregt. Dann beugte er sich zu Rogers Ohr herunter und flüsterte: «Sie mag es also hart?»

Offenbar ging es nicht um Squash, so viel hatte nun auch Roger begriffen. Der Rest lag mal wieder im Dunkeln.

«Hier wird nicht geflüstert!», empörte sich Nicole. «Sowas machen nur kleine Mädchen. Seid ihr kleine Mädchen?»

Marco ignorierte Nicole, während Roger wie vom Blitz getroffen in seinen Sessel zurückfiel. Sein Gesicht hatte inzwischen von blass ins Farblose gewechselt.
«Das wird mir hier zu blöd», sagte Marco und ging. «Loserpack», fügt er noch hinzu, flüsternd, für Nicole. Roger reinigte indes seine Mauskugel.

«Roger», rief Nicole, aber er antwortete nicht. Er reinigte bloss ein wenig intensiver.

In seinem Kopf stiessen diverse Bilder zusammen, die, so fühlte es sich für Roger an, in schwere Eisenplaketten graviert worden waren, da war eine mit Kovics Vorhand drauf, die in Géras Kokosnussgesicht krachte, eine andere mit Marcos Stabilo-Lippen kollidierte gleich daraufhin mit der Gravur der blutverschmierten Herzlibrillen-Scherbe. Und sie alle schnitten mit ihren scharfen Kanten in Rogers Gehirn.

«Roger?», versuchte sie es noch einmal.
«Computer says no», erwiderte er und Nicole lachte. «Was war das grad mit Marco?», wollte sie wissen.
«Er ist ein Arschloch», sagte Roger.
«Ja, das weisst du von mir. Aber was wollte er?»
«Ich habe keine Ahnung.»
«Was hat er dir zugeflüstert?»
«Nicole, das geht dich nichts an.»
«Ach komm schon.»
«Es ist eine Sache zwischen Männern.»
«Ah so. Und darum hat er dir die Sache so mannhaft ins Ohr gesäuselt?»
«Es ist privat.»
«Privat? Ist das jetzt dein Ernst? Roger, ich kenne dich seit fünf Jahren. Ich weiss alles über dich. Auch, dass du beim Arzt gemeint hast, du müsstest jetzt in drei Strahlen pinkeln, weil er nach dem Mittelstrahl-Urin verlangt hat.»
«Wehe, du sagst das ...», begann Roger, aber Nicole war in Fahrt.
«Ich weiss auch, dass du in Géraldine Fuchs verknallt bist. Apropos. Wo ist sie eigentlich? Ich hab sie heute den ganzen Tag noch nicht gesehen.»
«Warum fragst du eigentlich immer nach Géraldine? Géra hier, Géra da, das ist ja kaum auszuhalten! Bist du etwa auch verknallt in sie? Und wo soll sie schon sein? Etwa tot in der Gosse liegen? Sie ist jetzt Chefin. Und Chefinnen haben Meetings. Rund um die Uhr. Und dann folgen die Calls. Also bitte, frag nicht so saublöd.»

Nicole schaute ihren Kollegen entgeistert an. So wütend hatte sie ihn noch nie erlebt. «Seit der Rimini-Party hast du einen Dachschaden.»

Géraldine

Projet Roger
Bild: watson

Géraldine Fuchs war ein einnehmendes Wesen. Eine verspielte Erscheinung in einem abgewetzten Mantel, dessen Material im Büro schon etliche Male für Diskussionen gesorgt hatte. Die meisten stimmten für Krokodilleder, aber das war mehr Wunsch- beziehungsweise Hassdenken, das wünschte man ihr an den Hals, manche aus Neid, andere aus Enttäuschung. Wer Menschen so quälte, machte auch vor Tieren nicht Halt, das war die Gleichung, in die man Géraldine Fuchs hier setzte. Eine kleine Verzweiflungstat, denn im Grunde blieb sie für alle unlösbar, eine unbekannte, unberechenbare Grösse.

Ein X, mit viel Gold verziert. Es hing überall; an ihren Ohren, an ihrem Hals, an ihren Handgelenken und Fingern. Es war der Schmuck ihrer Vorfahrinnen, der bis weit ins 18. Jahrhundert zurückreichte. Géraldine gefiel der Gedanke, das gesammelte Geschmeide ihrer toten Urgrossmütter in die Gegenwart zu tragen. Manches davon war sehr kostbar, anderes war nicht mehr als hübscher Tand, aber für sie machte das keinen Unterschied.

Wenn sie das Büro betrat, klimperten ihre Armreifen im Takt ihrer grossen Schritte. Überhaupt war bis auf die Füsse alles an ihr gross. Vielleicht war sie darum so grosszügig. Wenn man von allem genug hat, muss man nicht fürchten, dass einem etwas weggenommen wird. Géraldine war in dieser Hinsicht nicht nur furchtlos, sie war geradezu verschwenderisch. Lobte eine Kollegin ihren Pulli, lag er am nächsten Tag auf deren Tisch. Sie verschenkte nicht nur gern ihre Sachen, sondern auch sich selbst. Sie befand sich seit ihrer Geschlechtsreife quasi ununterbrochen in sexueller Spendierlaune. So jedenfalls sah es von aussen aus.

Jene Unbekümmertheit, diese schamlose Leichtigkeit, mit der sie durchs Leben zu spazieren schien, war ihrer Beliebtheit nicht gerade zuträglich. Das Leben hatte harzig zu sein, man musste ab und zu kleben bleiben oder zumindest in einen Hundehaufen treten, doch Géraldine Fuchs schwebte offenbar ein paar Zentimeter über dem Boden, über dem ganzen Dreck, der sich über die Jahre sonst so an den Schuhsohlen einer menschlichen Existenz ansammelt.

Die wenigsten verstanden, dass sie allem und jedem gleich wenig Gewicht beimass, damit ihr nichts zu schwer wurde. Nur einmal war die Waage ins Ungleichgewicht geraten, das wollte sie nicht mehr. Was sie hingegen immer einmal wollte, war, auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten. Doch bis jetzt hatte sie nur festen Boden unter sich gehabt und vor einer Woche dann auch Roger.

Er hatte ihr leid getan, wie er nach dem übereifrigen Konsum ihrer Zauberpilze unter der Plastikpalme sass und weinte. Wie die Tränen in zwei gewaltigen Sturzbächen seine Herzlisonnenbrille mitrissen, um sie dann achtlos irgendwo in seinem Gesicht liegenzulassen. Wie ihn die Anwesenden auslachten, als er nicht mehr als ein pochendes Herz war, das von seinem Schmerz erzählte.

Aber es war nicht nur das. Sie kannte diese masslose Selbsthingabe, den Wunsch, sich vollständig auszuradieren, aber nicht, um wie Roger in jemand anderem aufzugehen. Géraldine wollte dann ganz verschwinden. Und das auch ganz ohne Drogen.

Als sie gesehen hatte, wie er sich in einer Art Opferrausch seiner Kleider zu entledigen begann, zerriss sie kurzerhand ihr Fischflossen-Kostüm, in dem ihre Beine gefangen gewesen waren. Dann eilte sie zu ihm und führte ihn an der Hand vorbei an all den Stefans, die sie den ganzen Abend lang umringt hatten wie ein Rudel Schakale. Ungläubig starrten sie den beiden hinterher. Marco vom Sales spuckte wütend auf den Boden.

«Wohin bringst du mich, Krabbentier?», fragte Roger sie.
«In Sicherheit», antwortete sie ihm.
«Sicherheit brauch ich nicht mehr. Du hast mir schon alles genommen.»
«Habe ich?»
«Ja. Meinen Job, mein Herz, meine Knochen.»
«Das tut mir leid.»
«Muss es nicht. Es fühlt sich nicht nur schlecht an. Endlich bin ich meine Beckenschaufeln los.»
Géra lachte.

«Willst du meine Möwenimitation hören?»
«Ich will», sagte Géra und Roger machte die Möwe, wie er sie noch nie zuvor gemacht hatte. Seine Schreie klangen nach verzehrender Sehnsucht, wie die einer Möwe, der man das Meer weggenommen hatte. Elegisch und echt. Als Möwe, so schien es, gelang es Roger erst, seine ganze Wahrheit auszudrücken. So sehr, dass Géra weinte.

Doch als sie ihn küsste, wurde er ganz schnell wieder zu Roger. Als solcher erwiderte er ein wenig zu stürmisch ihre zarte Zuwendung. Seine Zunge, zur Spinne geworden, spulte Speichelfäden um die ihre, als wäre sie eine ins Netz gegangene Fliege, die es sofort gefangenzusetzen galt.

Der Möwen-Move hatte ihr zwar besser gefallen, aber Géra verstand. Wie soll man der unverhofften Verwirklichung eines Traumes auch anders begegnen als mit Angst, er könnte sich sogleich wieder in Luft auflösen?

Gemeinsam fuhren sie im Taxi durch die Nacht. Sie bemerkte, wie Rogers Finger ihre Hand suchten, doch plötzlich gaben sie auf und krochen beschämt zurück. «Du bist kein Krabbentier», sagte er dann.

«Du bist Géraldine. Die Frau aus Glas. Jeder denkt, er dürfe dich füllen mit irgendwas. So viel Mist haben wir in dich reingedrückt, du wirst noch einmal zerspringen davon.»

Die Drogen. Manche werden sehr philosophisch. Andere reden einwandfreien Quatsch. Géra war sich nicht ganz sicher, zu welcher Gruppe sie Roger zählen sollte, wusste aber, wo er sich selbst gerade sah.

Das Taxi hielt vor Rogers Haus. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie ausstieg, lähmte ihn dann aber so sehr, dass er wie festgefroren durch die beiden offenen Wagentüren starrte, dorthin, wo sie nun stand, noch immer barfuss unter ihrem zerfetzten Meerjungfrauenschwanz. Der Taxifahrer gähnte, Géra schloss die Tür, Roger irgendwann auch.

Zaghaft. Allzu zaghaft. Wahrscheinlich, damit Glasgéra nicht auseinanderbricht.

Dabei hätte sie das sowieso nicht getan. Die Scherben stammten von seiner Herzlisonnenbrille, die er sich, in der Wohnung angekommen, von den Augen riss, endlich bereit, Géras Anwesenheit als reale Begebenheit anzuerkennen, und sie sich furchtlos einzuverleiben. Er schmiss die Brille zu Boden, zermalmte sie unter seinen taumelnden Schritten, ein Scherbentanz, in dessen Genuss auch Géra kam, die er für die nächsten Stunden nicht mehr loszulassen gedachte.

Als die Scherbe in ihr Fleisch drang, kam ein leises Stöhnen aus ihrem Mund, das in Rogers Ohr nach reinstem Lustschrei klang. Von nun an gab es kein Halten mehr.

Er schwankte zum Kleiderschrank und fing an, wild darin rumzuwühlen. Gera setzte sich derweil aufs Bett, entfernte die Scherbe aus ihrem Fuss und schaute ihm gespannt zu.

«Da!», schrie er fast, in der Hand seinen Tarnanzug vom Militär.
Sie lachte.

Er zog ihn an. Elegant war es nicht, wie er in die Hose stieg, aber das war Géra egal, sie fand es schön, wie er ihrer Vorliebe, wie auch immer er sie in Erfahrung gebracht hatte, gerecht zu werden versuchte. Beim Griff zum Gewehr winkte sie ab.

Er konnte auch so den Helden spielen. Sie retten vor den Bomben. Aufs Bett schmeissen und küssen.

Sie stieg auf ihn. Zog ihm die Hose wieder aus, das Kondom an und setzte sich drauf. Roger war bequem, dachte sie noch, dann war's vorbei.

Und auch das störte sie nicht. Sie hatte von ihm nicht den Sex ihres Lebens erwartet. Sie erwartete generell nicht allzu viel von den Menschen. Ein bisschen wie eine Untote, die bereits zwei bis drei Jahrhunderte auf der Erde zugebracht hatte. Die Verwunderung war aufgebraucht. Die meiste Zeit schaute sie einfach zu, manchmal, so wie heute, griff sie bei Ungerechtigkeiten noch korrigierend ein, aber mehr so automatisch, weil sie das immer so getan hatte, nicht, weil sie glaubte, dass es wirklich einen Unterschied machte.

Roger wusste von alledem nichts. Er hielt seine Géra fest und schlief erschöpft ein. Und als der Tag sich grell am Fenster zeigte, schlüpfte sie aus seinen Armen und fuhr nach Hause.

Rogers Erleuchtung

Projet Roger Rogers Erleuchtung
Bild: watson

Sie war da, endlich! Sie lebte! Sie war schön wie immer, nur hinkte sie ein wenig. Hätte es sich um jemand anderen gehandelt, wäre es ihm nicht aufgefallen. Aber ihren Gang kannte er. Zu oft hatte er ihr hinterhergeschaut, wie sie mit ihren zierlichen Füsschen aus seinem Sichtfeld hinausspaziert war. Aber jetzt spazierte sie nicht mehr. Ihr ganzes Schweben war weg, einem elenden Hinken gewichen! Welcher Schuft hatte ihr das bloss angetan, dachte sich Roger.

Schon wollte er hinstürmen zu ihr, doch mitten auf dem Weg zur Kaffeemaschine, wo Géra noch immer auf ihren Espresso wartete, blieb er abrupt stehen.

Sie wusste alles über jenen Abend, und er wusste nichts. Wie verödet er sich noch immer fühlte, die reinste Sahara in ihm drin, das war nicht einfach nur ein leergekübelter Magen, da kam noch eine leergekübelte Seele dazu. Und wahrscheinlich hatte sie alles davon gesehen.

Plötzlich stand Géra vor ihm. «Roger!», sagte sie lächelnd. Roger wurde rot und versuchte, ihren Namen ebenso bestimmt zu sagen. Aber es klang piepsig. Wie von einem Küken, das aus dem Nest gefallen und vor die Füsse eines viel mächtigeren Wesens gekullert war.
«Wirst du mich zertreten?», fragte Roger.
«Was?» Géra lachte. «Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht, ich hab mich am Fuss verletzt, kein Zertreten möglich aktuell.»
«W ... Was ist passiert?», stotterte Roger.
«Eine Scherbe. Von deiner Herzlisonnenbrille. Ich bin voll reingestanden, als wir ...» Sie zwinkerte.

Und endlich, nach so vielen Stunden quälender Leere und Angst, kamen die sehnlich erwarteten Bilder, sie fluteten Rogers Gehirn, brandeten meterhoch auf an seinen Schädelwänden.

«Ich hab sie nicht getötet, ich hab sie gebumst!», dachte er strahlend. Dann versuchte er sofort, wieder Herr der Lage zu werden.

«Oh, ja. Die Scherben, genau. Sorry.»
«Kein Ding, ich hätte es vorher verarzten sollen, aber dann kam deine Tarnanzug-Show dazwischen!»

Und als sich auch dieses Bild vor Rogers innerem Auge zu entfalten begann, schob sich vor sein äusseres Nicole. Sie würdigte ihn keines Blickes, den hatte er nicht verdient, so blöd, wie er ihr gekommen war, als sie wissen wollte, was Marco vom Sales ihm zugeflüstert hatte. Nicole wollte Roger eine kleine Lektion in Sachen Anstand erteilen.

«Géra!», rief sie, «ich muss unbedingt mit dir sprechen!»
«Nicole, aber klar!», antwortete ihr Géra, «gesell dich zu uns!»
«Es ist leider privat», fügte Nicole an, mit einem Grinsen an Roger.
«Ah, sicher, dann komm mit, wir gehen in mein Büro!»

Da stand Roger nun. Und fühlte sich weder bestellt noch abgeholt. Der so elend Zurückgelassene brauchte einen Moment, bis die Kränkung ihn so weit verlassen hatte, dass er wieder gehen konnte. Was fand jetzt Géra die Privatheit von Nicole spannender als seine? Er hatte den TAZ angezogen, verdammt nochmal!

Zurück an seinem Pult checkte er seine Mails wie ein wahnsinnig gewordener Specht. Sein Zeigefinger, einem Meisselschnabel gleich, hämmerte auf die Maus, als würde er sie gern zerspanen. Das waren an die 100 Schläge pro Minute, mindestens. Und sie gingen alle ins Leere. Immerhin wurde er so seinen Zorn los. Als Nicole wiederkam, hatte Roger sich schon fast wieder ganz abreagiert.

«Du Schlingel!», sagte sie mit erhobenem Zeigefinger, sichtlich beeindruckt von ihrem Pultnachbar.
«Was?»
«Ich weiss jetzt alles.»
«Was!», doppelte Roger nach.
«Du Schlingel hast sie mit zu dir genommen! Ich muss sagen, Hut ab, Roger.»
Er lächelte. «Tja. Ich bin eben unwiderstehlich.»
«Offenbar. Und eben das hat Géra auch Marco vom Sales erzählt. Dass du es drauf hast. Dass du eine sensationelle Technik hast. Deshalb kam er zu dir! Er wollte von dir lernen!» Sie lachte laut heraus. «Ist das zu fassen, Marco vom Sales wollte von Roger Fässler wissen, wie man Géraldine Fuchs verführen kann!»

Roger konnte es im ersten Moment selbst nicht fassen. Bis er es dann doch konnte. Dazwischen lagen ungefähr drei Sekunden. Die neue Realität war da, von Nicole bestätigt. Und sie schien ihm so, wie er sie begrüsste: Er war unbestreitbar eine Granate im Bett.

Es kommt schon vor, dass logische Beweisführungen am männlichen Ego zerschellen. Das ist hier wohl gerade passiert. Und es ist schwierig zu sagen, ob es am Ende nicht sogar das kleinere Übel ist, als wenn jetzt hier statt der Logik das Ego zerschellt wäre.

In Rogers Fall würde das eine zu einem gebrochenen Herz, das andere zu einem gebrochenen Mann führen. Aber schön der Reihe nach.

Rogers Date

Projet Roger
Bild: watson

Es war keine Karibik-Kreuzfahrt, auf die er Géra einlud, dafür aber aufs Tanzschiff – ab Romanshorn. Mit DJ Many an Bord, der Mann für die Bombenstimmung.

Das schien Géra zu überzeugen. Überhaupt reizte sie das ganze Setting, da hatte Roger schon ganz richtig gelegen. Eine gewisse Verwandtschaft zum Kreuzfahrt-Feeling war nicht von der Hand zu weisen, ganz egal, wie gross nun das Schiff oder das Gewässer war, auf dem man zu tanzen gedachte.

Am Bug des Schiffes stehend, schaute man am Ende auf dieselbe Sonne, die im selben Himmel zuhause war. Und an diesem Abend war ihr Untergang hier vielleicht sogar der spektakulärste überhaupt. Das kann man natürlich nicht verallgemeinern, manche mögen dieses eingängige Orange mehr, aber Roger, der kein Mass kannte, fand es natürlich gut, wenn übertrieben wurde, auch am Himmel. Und so schaute er hinauf in diesen Zuckerwatten-Putz, wo die Abermillionen schwangeren Wolkenbäuche bei jedem Windstoss eine neue Farbe gebaren, eine neue Nuance einfügten in dieses gewaltige purpurne Dachmosaik. Und als wär das nicht schon genug, wiederholte sich die Show auf dem See, dort hopste das Licht wie ein glitzernder Schieferstein über die zarten Wellen hinweg, immer nur den obersten Punkt des Wassers streifend, als fürchte er sich vor den dunklen Ecken darunter.

Zufrieden nickte Roger dem Universum zu, das einzig für ihn performte, ihm die adäquate Kulisse lieferte für sein Drama, zu dem sein Leben in den letzten Tagen geworden war. Für einmal strafte es ihn nicht mit roten Ampeln, sondern feierte ihn mit Farben, die das Repertoire jeglicher Verkehrssignale um ein Vielfaches überstiegen.

Fast wären die beiden aus Versehen auf dem Line-Dance-Schiff gelandet, das nebenan angelegt hatte. Doch als Roger die Cowboystiefel sah, die da einer nach dem anderen vor ihm ins Schiffsinnere stapften, blieb er erschrocken stehen. Hatte er beim Ticketkauf überlesen, dass es einen Dresscode gab? Géra lachte bloss, sie hätte auch einen Abend lang auf einer Linie getanzt.

«Wie kann man nur so offen sein für alles!», dachte sich Roger voller Bewunderung, als er sie an der Hand den Steg hinauf zurückführte, zum richtigen Schiff.

Danach hatten sie gut gegessen und sich noch besser unterhalten. Roger hatte ihr von seiner Jugend erzählt, von seinem Bruder, der Maschinenbau studiert hatte, dem klugen ETH-Bruder, der irgendwann die Welt mit Geothermie retten würde, während Roger das nicht tat. Und Géra verstand. «Wenn man sich selbst durchs Leben bringt, ist das auch schon was», sagte sie mit dieser ewig belegten Stimme, die für ihn Prophezeiung und Porno in einem war, sowas wie der verhängnisvolle weibliche Widerspruch, dem man spätestens seit der Bibel mit zwei Figuren begegnete, um wieder klare Verhältnisse zu schaffen.

Nur war Roger kein Mann der Bibel, also konnten ihn weder Eva noch Maria aus seiner Misere retten, er war heillos verliebt in dieses Wesen, das er für Géraldine Fuchs hielt. Er hatte ihr bereits so viel von sich gezeigt, und sie war noch immer da. Und mit jedem Wort, das sie an ihn richtete, schien sie auf magische Weise seine Seelenwunden zu verschliessen. Mit ihr fühlte er sich ganz.

DJ Many legte DJ Bobo auf, der nun zu Roger und Géra nach draussen auf den Bug drang. Das Schiff glitt mühelos durch den gleissenden Wasserteppich. «Somebody Dance With Me», sangen sie vergnügt, und Roger wickelte Géra in seine Arme, aber sie wickelte sich zu seinem Erstaunen sofort wieder daraus heraus. Er versuchte es noch einmal, so, als wäre es ein Irrtum gewesen, als hätte sie sich bloss in der Richtung vertan, doch auch beim zweiten Mal wollte sie nicht bei ihm bleiben. Sie hielt sich stattdessen an der Reling fest und schaute auf den See.

Roger stand hinter ihr, verwirrt und verzweifelt, und kämpfte gegen den Drang, sie festzuhalten. Er wollte nicht, dass sie wieder verschwindet. Dass sie ins Wasser springt und davonschwimmt. Sie war doch jetzt seine Meerjungfrau, sie hatte doch ihre Schwanzflosse zerrissen, um ihn zu retten. Sie musste doch bleiben. Er fand keine Worte, bloss einen Möwenschrei, den er übers Wasser schickte.

«Die Möwe hat mir besser gefallen, als sie das Meer noch vermisst hat», sagte Géra. «Jetzt denkt sie, es gehöre ihr.»

Noch ein letztes Mal wurde Roger ganz Möwe, er schloss die Augen und reihte einen Schrei an den anderen, dehnte sie lang, holte Luft und begann von vorn. Doch den alten Sehnsuchtsgrad, jenen von der Drogennacht mit Géra, würde er nie mehr erreichen. Was er hier tat, war der Versuch einer Nachahmung der Nachahmung, und er war jämmerlich.

Als er die Augen öffnete, war sie weg. Eine Weile noch starrte er in die Wellen, dann ging er an die Bar und bestellte einen Single Malt. Mit einem Zug leerte er ihn, dann starrte er ins Glas.

Vielleicht hatte er recht damit gehabt, dass sie Glasgéra war. Roger und auch alle anderen im Büro füllten sie mit ihren Sehnsüchten, ihren Wünschen, ihrem Neid. Und dann sahen sie all das durchs Glas hindurch und erkannten es doch nicht als ihr eigenes.

Roger bestellte noch einen. Was war passiert? Warum hatte sie mit ihm geschlafen, Marco vom Sales von seiner Meisterleistung erzählt, wenn sie ihn jetzt wegstiess? Ihr Verhalten erschien ihm so lange verworren, bis der neue Whisky für Aufklärung sorgte: Die Frau brauchte Action. Géra wollte spielen.

Er stand auf und näherte sich der Tanzfläche, wo er sie plötzlich erblickte. Tanzend mit einem alten Mann. Einem alten Lüstling! Und dann auch noch zu ABBA. Widerlich. «Aber gut», dachte er sich. «Sie will mich eifersüchtig machen. Sie will, dass ich um sie kämpfe. Girl, I'm ready to rumble!»

Roger ging hin zu dem Pärchen und erst als er ganz nah bei ihm stand, merkte er, dass auch die Frau viel älter war. Ihre Bewegungen hatten ihn getäuscht, sie wirkte so schwungvoll und frisch, wie sie da über die Tanzfläche schwebte, so wie Géra jeweils über das Büroparkett.

Aber sie war es nicht. Und so ging Roger zurück an die Bar und bestellte sich einen dritten Single Malt. Dieses Mal gleich einen doppelten.

Sie konnte doch nicht wirklich gesprungen sein? Als er sein viertes Glas bekam, legte das Schiff in Romanshorn an und er ging von Bord. Géra hatte er nirgendwo gesehen, er wollte sie auch gar nicht mehr sehen. Er stieg ins Taxi und fuhr nach Hause.

Nach einer traumlosen, dunklen Nacht betrat Roger am nächsten Morgen den Haupteingang zu seinem Büro und da war sie. Sie lächelte leicht verschlafen wie immer, in der Hand ihre Diddl-Tasse.

Seit fünf Jahren sass sie in jenem Kabäuschen, warum nur war sie ihm nie aufgefallen?

«Rita vom HR. Die ist schon auch noch geil. Und wie die mich immer ansmilet. Moment!», dachte er sich. «War sie nicht die Allererste, die mein neues Profilbild auf LinkedIn geliket hat? Sofort nachdem ich es reingestellt hatte, tauchte ihr blauer Daumen darunter auf. Gott, Rita. Lovely Rita. When are you free to take some tea with me?»

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13 Kommentare
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13
    Und hier: Leute, die ... «stehen» 😂

    Wenn du mal einem wirklich lustigen Instagram-Konto folgen möchtest, können wir dir peoplestanding wahrlich ans Herz legen. Es ist nicht viel mehr, als der Titel vermuten lässt, die Bilder überzeugen aber jedes Mal. Ein paar Kostproben gefällig? Aber mit Freude!

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