Dieses Jahr hab ich den Frühling nicht an den Blümchen erkannt. Nicht an den Primeli auf der Wiese, nicht an den Küchenschellen im Garten und schon gar nicht an den dunkelroten Stängeln, aus denen bald meine Pfingstrosen spriessen.
Ich hab ihn an den Menschen erkannt. An einer unaussprechlichen Masse an Menschen, die gerade ihre Winterjacken in den Schrank gehängt haben, um draussen ihre leichteren Übergangsjacken spazieren zu führen. Und wisst ihr was. Sie begehen den Frühling wie den Winter in einer Steppjacke.
Ich kann damit leben, dass Dinge wiederkehren, das ist irgendwie der Sinn der Sache hier auf Erden, alles kehrt wieder, der Lenz, die Spargeln, selbst die Hüfthose, aber Himmelherrgott, dazwischen muss schon eine Pause liegen. Man kann nicht direkt vom Winterstepp in den Frühlingsstepp steppen!
Was ist denn da los, Freunde der Sonne, das geht so nicht.
Ja, eigentlich geht es überhaupt nicht! Zu überhaupt keiner Zeit.
Afrikanische Steppe ja, Steppjacken nein. Einfach nicht.
Hört auf, euch damit wie eine Lawine des schlechten Geschmacks über den Planeten zu wälzen und die zart aufgekeimten Frühlingsgefühle anderer Menschen unter euren reihen- und kissenförmigen Segmenten zu ersticken.
Hört auf, all dem scheuen Wünschen, dem bangen Hoffen auf eine bessere Welt die Luft zu nehmen. Es ist wirklich schon schwierig genug.
Der Bär darf steppen, du nicht.
Nicht in taillierter Form, nicht in Form von Rauten oder Rhomben und am aller allerwenigsten im Gilet. Da denkt man sich zwar erst, puh, weniger Stepp, weil die Ärmel fehlen oder gar abgezippt wurden, aber weit gefehlt! Die Grässlichkeit wird dadurch nicht geringer. Im Gegenteil. Sie wird quasi umgekehrt potenziert – durch Amputation.
Wie genau ist das passiert, dass diese gesteppten Scheusslichkeiten aus den teuren englischen Katalogen mit den Barbourjacken und den Strickpullovern mit den ledernen Ellbogenblätzen, in denen mein Vater früher so gern geblättert hat, unsere Strassen überschwemmt haben?
Dieses Upper-Class-Versprechen, diese Old-Money-Vibes, was machen sie an der Kreuzung Hard- Pfingstweidstrasse?
Gehst du da Füchse jagen?
Es ist das eine, wenn man damit auf der windigen Klippe der Seven Sisters steht. Oder auf der Tribüne der Pferderennbahn in Ascot. Aber auf dem Perron in Altstetten – was willst du da darstellen?
Ein Royal auf Abwegen?
Was ist so falsch am Bürgertum? Und warum gehst du mit deinem Patagonia-Gilet nicht nach Patagonien? Warum machst du damit keinen Adventure-Trip südlich des Río Bío Bío in Chile? Warum findet dein Abenteuer in den Strassen der Big Cities statt, in den Metropolen dieser Welt?
In dieser Aufmachung wird heutzutage also getradet. An der Wall Street. In der City of London. Und offenbar auch auf dem Perron von Altstetten.
Ich habe so viele Fragen. Ich verstehe es nicht. Nichts davon. Weder die Ästhetik noch die Funktion und schon gar nicht die kausalen Zusammenhänge, die letztlich zum Entschluss führen, sich eine solche Steppweste nicht nur zuzulegen, sondern sie überall ausser in der Steppe zu tragen.
Aber eines weiss ich: Es ist nicht gut. Nicht gut für die Laune, wenn man morgens das Haus verlässt und einem als Erstes grad mal eine Steppjacke entgegenkommt. Nicht gut fürs Auge, wenn es gezwungen wird, den immergleichen Stepplinien zu folgen, die sich wie vom Winter unfruchtbar gemachte Furchen durch die Landschaft ziehen. Als wäre der Frühling bloss ein falsches Versprechen. Als hätte sich die Wiederholung so verdichtet, dass sie nicht einmal mehr Wiederholung ist, sondern nur noch das ewig Gleiche.
Macht bitte eine Pause.
Durchbrecht die Endlosigkeit.
Seid wie die Blümchen, wie die Primeli und die Küchenschellen. Wie die Pfingstrosen, die Krokusse, Veilchen und das Scharbockskraut. Egal, Hauptsache, ihr seid verschieden und erhebt euch aus dieser bitteren Einfältigkeit.