Lieber Camp-David-Träger.
Du kannst mir nichts vormachen.
Du bist kein furchtloses Fliegerass. Du bist kein geheimnisvoller Spezialagent. Und auch kein verwegener Weltumsegler.
Dein Shirt aber behauptet das. Es knallt und peppt. Es schreit und protzt. Camp David, das ist stoffgewordenes Motorengeheul. Ein textiler Burnout.
Schon vor fünfzehn Jahren schmunzelte ich über dich. Ich dachte, es handle sich um eine kurzzeitige Modeverwirrung.
Doch mittlerweile sind die Jahre vergangen. Jetzt gehöre auch ich zum Zielpublikum Midlife-Crisis-Mann. Und das Label ist noch immer omnipräsent: In der Umkleide im Hallenbad Heuel in Rümlang, im Zürcher Zoo, im Obi Volketswil.
«Conquer the Sky» steht in flamboyanten Lettern auf deinem Shirt. «Guarding the Coastline» oder «Heavy Storm».
Was soll das?
Du eroberst den Himmel nicht. Du stehst neben deinem Postiwägeli im Glattzentrum. Das Einzige, was du gerade guardest, sind deine Wochenendeinkäufe. Heavy Storm? Ah, deshalb die Feuchttücher.
Kleider und ihre Botschaft muss man tragen können. Das kleine Schwarze verliert jegliche Wirkung, wenn die Trägerin mit zittrigen Knien und krummem Rücken aufwartet.
Doch wie will Mann den Camp-David-Slogans gerecht werden? Dafür müsstest du ständig Gefahren beseitigen, auf Mission sein, en masse hilflose Jungfrauen retten. Superhero-Shit halt.
Mal abgesehen davon, dass sich die Jungfrauen heute selber zu helfen wissen – dem Super-Hero-Anspruch wird kein Mann gerecht. Ausser vielleicht The Rock. Aber bist du The Rock? Nein.
Du bist ein Durchschnitts–Ü40er. Aufgebläht sind bei dir nicht die Muskeln, sondern die Manboobs und die Prostata. Den Zenit hast du überschritten. Die Railroads of Africa checkst du nicht aus. Dafür die Selfscanning-Maschineli beim Coop. Immerhin.
Das ist kein Vorwurf. Ich bin auch Ü40er. Ich weiss, wie sich der Zerfall in die Unbedeutsamkeit anfühlt. Es ist nicht schön. Und der gesellschaftliche Wandel potenziert das Ganze noch. Auch ich erwische mich mit romantisierten Vorstellungen von Gefahren- und Abenteuersituationen.
Aber die Suche nach mehr Mannhaftigkeit darf nicht im Camp-David-Shop enden. Ein Actionjackson–Shirt ändert nichts. Das Männlichste, das wir in unserer Situation tun können, ist sowieso, dem Schicksal mit Musse beizuwohnen.
Der Versuch, das Unvermeidliche mit einem lässigen Shirt vermeiden zu wollen, offenbart hingegen nicht nur Hilflosigkeit, zweifelhaften Geschmack und einen Hang zu Protzigkeit, sondern auch, dass du das plumpe Branding nicht durchschaust. Die Marke appelliert an deine Sehnsüchte. Und du fällst prompt darauf rein.
Du manipulierbares Dummerchen. Fühlst du dich wirklich tougher, weil dein Pulli (aus Brandenburg, notabene) suggeriert, du seist ein verwegener Abenteurer? Camp David ist kein Statement von Männlichkeit. Es ist das Gegenteil: ein Hilfeschrei.
Und wenn du dich, hilfsbedürftiger Ü40er, modemässig unsicher fühlst, dann frage dich vor dem Kauf von Kleidung immer Folgendes: Würde Jeff Bridges das auch tragen? Lautet die Antwort ja, kannst du getrost zugreifen.
PS: «La Martina» ist im Fall auch keine Lösung.