Rund drei Prozent der Schweizerinnen und Schweizer ernähren sich vegan. Nach wie vor herrschen viele Vorurteile über die ausschliesslich auf Pflanzen basierende Ernährung. Die Dokumentation «The Game Changers», welche seit kurzem auf Netflix zu sehen ist, versucht mit diesen aufzuräumen – und auch den übrigen 97 Prozent eine vegane Ernährung schmackhaft zu machen.
Wenn du bereits jetzt Schnappatmung bekommst und dich um dein Steak fürchtest, bleib doch noch schnell dran! Denn die Doku ist wahrscheinlich anders, als du sie dir vorstellst.
Hauptdarsteller der Dokumentation ist James Wilks, eine regelrechte Kampfmaschine. Der Brite ist MMA-Fighter und trainiert Elite-Sondereinheiten. Nach wenigen Sekunden wird klar: Mit diesem Mann willst du dich nicht anlegen.
Mit dem Klischee eines Körnchen pickenden Birkenstock-Veganers hat der kahlköpfige Mann auf den ersten Blick rein gar nichts gemein. Hat er lange auch nicht, zumal er während seiner Karriere im Ring seine Hochleistungsmaschine mit Fleisch füttert.
Doch dann folgt eine bittere Verletzung. Während eines Trainings macht er sich beide Knie kaputt. Mindestens sechs Monate kein Sport, so das Verdikt der Ärzte.
Wilks will so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen und beginnt zu recherchieren: Welche Ernährung unterstützt den Heilungsprozess am besten?
Er ist davon überzeugt, dass er tierische Proteine für den Wiederaufbau seiner Muskulatur braucht. Doch dann stösst er auf eine Studie, die ihn ins Grübeln bringt. Angeblich sollen sich römische Gladiatoren zu einem Grossteil mit pflanzlichen Lebensmitteln fit gehalten haben.
Wilks Neugier ist geweckt: Er trifft sich mit veganen Spitzensportlern und Wissenschaftlern und bereist vier Kontinente. Was er erfährt, wird seine Welt auf den Kopf stellen.
Fünf Jahre lang hat Wilks recherchiert. Er kommt zum Schluss, dass man auf tierische Proteine komplett verzichten kann. Die Logik dahinter: Hühner oder Rinder bauen ihre Muskelmasse auch mit einer fleischlosen Ernährung auf. Landen sie bei uns auf dem Teller, sind sie letztlich nur Träger der pflanzlichen Proteine.
Also, schlussfolgert Wilks, könnte man sich gerade so gut auch direkt bei der Quelle bedienen.
Eine auf Pflanzen basierende Ernährung hat zahllose Vorteile, wie sich im Verlauf der Doku herausstellt. Etwa:
Damit noch nicht genug: Durch eine vegane Ernährung soll sich sogar die Potenz steigern. Für die Dokumentation haben drei Athleten den Härtetest gemacht. Ihr Resultat: Nach einem veganen Abendessen wurden in der Nacht deutlich mehr Erektionen gemessen als nach dem Verzehr eines Fleisch-Menüs.
Wilks stellt fest: Das Einzige, was bei einer veganen Ernährung wirklich fehlt, ist das Vitamin B12. Er schlägt vor, dass man dieses per Präparat zu sich nimmt. Allerdings erwähnt er, dass auch Fleischesser und Vegetarier zunehmend unter B12-Mangel leiden. Der Grund: Wegen der industriellen Landwirtschaft essen die Tiere weniger Dreck. Doch dort würden sich die fürs B12 zuständigen Bakterien befinden.
«The Game Changers» geht in seiner Analyse hart mit der Fleischindustrie ins Gericht. Bewusst beschönige diese das Bild, wonach Fleisch für eine gesunde Ernährung unabdingbar sei. Dies, obschon die zahlreich porträtierten Wissenschaftler in der Dokumentation das Gegenteil behaupten.
In der Dokumentation wird die Fleischindustrie gar mit der Zigarettenindustrie verglichen. Letztere hat während Jahrzehnten Werbung gemacht und die Gefahren verharmlost, um den Konsum anzukurbeln.
Sind wir Nicht-Veganer also einem gigantischen Marketing-Stunt aufgesessen und haben uns ein Leben lang falsch ernährt?
Wilks gibt mit seinem Werk eine unverblümte Antwort: Ja.
Die rund 90-minütige Doku will Fleischesser nicht verteufeln. Sie zeigt auf, was auch ohne tierische Produkte erreicht werden kann.
Wilks porträtiert mehrere Sportler, von denen man gemeinhin kaum erwarten dürfte, dass sie Veganer wären.
Etwa:
Patrik Baboumian. Der Deutsch-Armenier ist einer der stärksten Männer der Welt. In der Doku trainiert er dafür, 555 Kilo zehn Meter weit zu tragen. Am Ende schafft er es.
Morgan Mitchell. Olympionikin, die in Australien über 400 Meter alle in Grund und Boden rennt.
Scott Jurek. Er rennt in der Dokumentation den Appalachian Trail ab und stellt dabei einen neuen Rekord auf. Die 3540 Kilometer spult er in 46 Tagen, 8 Stunden und 7 Minuten ab. Das heisst, er absolviert pro Tag etwa zwei Marathons.
Arnold Schwarzenegger. Der Terminator und Mister Olympia ist zwar selber nicht vegan. Doch er hat die Zufuhr an tierischen Proteinen stark reduziert.
Erwähnung finden in der Dokumentation auch Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton und Tennis-Star Novak Djokovic, welche zu den Produzenten von «The Game Changers» gehören.
Ob die beiden gänzlich auf tierische Produkte verzichten, ist nicht ganz klar. Zumindest Djokovic bezeichnet sich selber nicht als vegan. Er setzt aber auf eine Diät, die auf Pflanzen basiert. Lewis Hamilton gehört derweil zu den grössten Fürsprechern des Veganismus. Kürzlich forderte der Rennfahrer seine 13 Millionen Instagram-Follower dazu auf, vegan zu werden. Es sei der einzige Weg, um die Welt wirklich zu retten.
Auf Social Media erhielt die Dokumentation viel Zuspruch. Viele Personen geben an, ebenfalls auf eine vegane Diät umzusteigen.
Die Dokumentation rief jedoch auch die Kritiker auf den Plan. In einem viel beachteten Artikel von Men's Health wird etwa bemängelt, dass der Zuschauer mit unzähligen Studien überschüttet wird. Die Fitness- und Lifestyle-Bibel meint:
So wird etwa der Vergleich zur Zigarettenindustrie kritisiert. Die Wissenschaft liefere keine Beweise, dass Fleisch ebenso schädlich sei wie Tabak.
Angekreidet wird auch ein Experiment, das zeigen soll, wie viel Fett im Blut-Plasma nach einer Fleisch-Mahlzeit kursiert. Bei den drei porträtierten Football-Spielern war das Plasma nach einem veganen Menü zwar deutlich klarer, jedoch seien keinerlei weitere Faktoren für den Test berücksichtigt worden, meint Men's Health.
Wilks konterte die Kritik von «Men's Health» umgehend. Du kannst dir seine Argumente in folgendem Video ansehen:
Abgesehen vom «Men's Health»-Artikel ist der Grundtenor aber durchwegs positiv. Vielleicht weil der Film nicht Angst vor einem Verzicht macht, sondern die Lust auf etwas Neues weckt. Oder wie es die Zeitung «Daily Camera» schreibt:
Also, schlussfolgert Wilks, könnte man sich gerade so gut auch direkt bei der Quelle bedienen."
Pflanzen erzeugen ihre Proteine aus Wasser und Sonnenlicht. Also kann man gerade so gut Wasser trinken und sich an die Sonne setzen. Das ist doch keine Logik!
Das heisst natürlich nicht, dass pflanzliche Ernährung falsch ist, aber es weckt Zweifel an der Seriosität der Argumente.
Fünf Jahre für diese Erkenntnis? Und jetzt kann er Gras verdauen?
Super Artikel!