Parship hat im Frühjahr 11 und Elitepartner sogar 17 Prozent mehr Registrierungen als im Herbst. Laut Partnerschaftsbörsen sind also Frühlingsgefühle durchaus real. Und auch Wissenschafter bestätigen ihre Existenz. Allerdings mit anderen Erklärungen als vermutet.
So lautet der öffentliche Tenor, dass im Frühling besonders viele Geschlechtshormone ausgeschüttet werden. «Ob es jedoch tatsächlich zu jahreszeitlichen Schwankungen kommt, ist umstritten», betont Karsten Müssig von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. «Man muss da schon etwas um die Ecke denken.»
Was konkret heisst: Es ist der Umstand, dass die Menschen wieder mehr ins Freie gehen und sich dabei mehr bewegen und dem erwachenden Leben rundherum zusehen, der die Libido belebt, aber nicht die Jahreszeit an sich. «Wenn etwa ein Mann im Frühjahr wieder mehr Sport treibt, wird er dadurch in der Regel auch mehr Testosteron produzieren», erläutert der Internist und Hormonexperte. «Aber das liegt dann eben in erster Linie am Sport, und erst in zweiter Linie am Frühling.»
Bei Frauen käme hinzu, dass sie oft die Pille einnehmen und sich dadurch permanent in einem schwangerschaftsähnlichen Zustand befinden. «Dadurch kann der Frühling kaum noch etwas an ihren Sexualhormonen ändern», erklärt Müssig.
Eine weitaus grössere Rolle spielen bei den Frühlingsgefühlen stattdessen die Hormone Serotonin und Melatonin. Das erstgenannte wird aufgrund seiner stimmungsaufhellenden Wirkung auch gerne als Gute-Laune-Hormon bezeichnet, während das letztgenannte den Schlaf anstösst.
Die Balance zwischen diesen beiden wird wesentlich, wie Peter Walschburger von der FU Berlin erklärt, über den angeborenen Taktgeber für den Tag-Nacht-Rhythmus gesteuert: den Nucleus suprachiasmaticus. «Er liegt eigentlich tief im Gehirn», so der Biopsychologe. «Aber über spezielle Rezeptoren im Auge passt er seinen Rhythmus den äusseren Lichtverhältnissen an.» Auf diese Weise sorge er bei länger werdenden Tagen dafür, dass mehr Serotonin und weniger Melatonin ausgeschüttet werden.
Die Folge: Wir fühlen uns wacher und lebendiger, gehen aufmerksamer durchs Leben, und das kann am Ende natürlich auch dazu führen, dass wir empfänglicher für erotische Reize werden. Laut einer Forsa-Umfrage hat rund ein Drittel der Bundesbürger ihren aktuellen Partner im Frühling kennengelernt. «Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass in dieser Zeit besonders viele Kinder gezeugt werden», betont Walschburger.
Im Gegenteil. Hierzulande werden zehn Prozent mehr Kinder im Frühling geboren als im Jahresdurchschnitt. Was zurückgerechnet bedeutet, dass die «Frühjahrsgefühle» eigentlich im Hochsommer ihren Höhepunkt finden. War allerdings der Sommer extrem heiss, bleibt der Geburten-Boom im nächsten Frühjahr aus. Denn unter tropischer Hitze erlahmt die Libido des Mitteleuropäers.
Dafür hinterlässt der Frühling in anderer Richtung umso mehr seine Spuren. Laut einer Umfrage der Hildesheimer Wickert-Institute leiden 54 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen unter Frühjahrsmüdigkeit. Für Müssig lässt sich dieses Phänomen dadurch erklären, dass unser Körper nach der wetterbedingten Inaktivität im Winter Probleme damit haben kann, sich der neuen Situation im Frühjahr anzupassen. «Ausserdem baut sich über die dunklen Monate oft ein Vitamin-D-Mangel auf, der sich ebenfalls durch Antriebslosigkeit und auch eine Schwächung des Immunsystems zeigen kann», so der Mediziner.
Die Schweizer Chronobiologin Anna Wirz-Justice ermittelte, dass im Frühjahr die Zahl der Morgenmuffel um die Hälfte zurückgeht, was eigentlich gegen die Existenz der Frühjahrsmüdigkeit spricht. Anderseits nehmen dann Nervosität und psychosomatische Beschwerden deutlich zu. Der Erregungszustand des vegetativen Nervensystems ist also so hoch, dass er nicht mehr als angenehm empfunden wird und schliesslich in Erschöpfung umschlagen kann - und das klingt dann doch wieder nach Frühjahrsmüdigkeit.
Bei traurigen oder gar depressiven Menschen lässt sie sich jedoch, wie Biopsychologe Walschburger betont, noch anders erklären: «Wenn überall das Leben erwacht und die Stimmung besser wird, verstärkt dies bei ihnen den Eindruck, dass mit ihnen etwas nicht stimmt.» Nach dem Muster: Überall geht es los, nur bei mir nicht. Und dieses Gefühl des Abgehängt-Werdens drücke dann ihre Stimmungslage noch weiter nach unten. (aargauerzeitung.ch)