«I feel like Pablo when I'm working on my shoes/ I feel like Pablo, when I see me on the news», rappt Kanye West gegen Ende seines siebten Albums in «No More Parties In L.A.», und zwar im seltsam vom Rest abgesetzten Teil des Tracks, der nur noch West gehört, nicht mehr seinem Feature Kendrick Lamar.
Aber wer ist dieser Pablo, nach dem nun das Album benannt wurde, das während seines absurden, in der Öffentlichkeit und via Social Media live begleiteten Entstehungs-Prozesses auch mal «Swish» oder «Waves» hiess: Pablo Picasso? Pablo Escobar? Oder doch der Apostel Paulus, wie West neulich twitterte? Pablo ist der spanische Name für Paul.
Kunstgenie, Drogenkönig oder schlichtweg heilig – eigentlich ist es schon fast egal, was gemeint ist. Auf Kanye West, 39, trifft sowieso alles zu, zumindest in seiner eigenen Wahrnehmung. Aufmerksamkeit und Respekt hat West allemal verdient, noch jedes seiner bisherigen Alben taugte dazu, das HipHop-Genre neu zu definieren. Zuletzt veröffentlichte er mit den Konzeptalben «808 And Heartbreak», «My Beautiful Dark Twisted Fantasy» und «Yeezus» drei der wichtigsten Rap- und Pop-Alben der vergangenen zehn Jahre.
Man kann es also unangemessen finden, dass West sein neues Werk vergangene Woche mit einem 160-Dollar-pro-Ticket-Spektakel im New Yorker Madison Square Garden präsentierte, und das Ganze, samt Fashionshow seines eigenen Labels und Performance von Künstlerin Vanessa Beecroft, dann auch noch in alle Welt streamen liess.
Angesichts einer Musik-Industrie, die ratlos in den letzten Zügen liegt, ist so ein Aufriss, den West-Kolleginnen wie Beyoncé und Rihanna (ebenfalls bei Jay-Zs Roc-A-Fella-Label unter Vertrag) ganz ähnlich geprobt haben, aber vielleicht auch die zeitgemässe Art, Musik unters Volk zu bringen. Bezeichnend auch, dass der nach eigenen Angaben hoch verschuldete West sein neues Album zunächst nur über Jay-Zs Tidal-Dienst streamen lässt, statt es zum Kauf anzubieten.
Eine Download-Option zog er wenige Stunden nach Veröffentlichung der Platte wieder zurück: An einigen Tracks müsse er dann doch noch mal feilen, twitterte er. Ist das noch Verwegenheit oder schon Irrsinn? Weiss man nicht so genau. Dazu passt, dass «The Life Of Pablo» über weite Teile seiner 18 Tracks wie ein unfertiges, in letzter Minute zwischen Tür und Angel eingetütetes Work in Progress wirkt.
Nichts ist mehr übrig von der ästhetisch geschlossenen Brutalität und dem politischen Impetus von «Yeezus». Kanye West, soeben zum zweiten Mal Vater geworden, überlässt die Gesellschaftskommentare, den Jazz und all das jüngeren Kollegen wie Kendrick Lamar.
Er selbst, der sich im Social Web schon mal mit allem anlegt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, ist musikalisch zunächst wieder zurück im Selbstbespiegelungsmodus von «The College Dropout» und «Late Registration», auch musikalisch, wenn man die ungeordnete, aber brillante und erlesene Variation verwerteter Stile und Samples betrachtet (u.a. Nina Simone, Rare Earth, Fingers Inc. und Post-Punk-Legende Larry Cassidy).
Ein Rückschritt also, und ein hastig und unausgegoren wirkender noch dazu. Aber das Entwaffnende an West ist ja auch, dass er selbst unkonzentriert noch durchweg grossartige, dringlich groovende Tracks hinkriegt (auch wenn die meisten über den Zeitraum von vier oder fünf Jahren entstanden sind). West hat´s kapiert. «This is a god dream», heisst es gleich zu Beginn in «Ultralight Beam», Wests Zugeständnis, dass er, sein Leben und seine Familie, der Kardashian-Clan, längst nicht mehr mit irdischen Maßstäben zu messen sind.
Gleichzeitig ist Gott die einzige Instanz, der sich der gute Christ West noch verpfichtet fühlt: «I'm tryin' to keep my faith», barmt er zu Beginn, aber das geht nicht ohne Liebe. «Your love is fadin'», schliesst er das Album mit dem tollen Chicago-House-Derivat «Fade». Dazwischen geht es darum, wie wichtig ihm seine Kids sind («Low Lights» und «High Lights»), wie ein typisch irrealer, durchgeknallter Kanye-West-Tag aussieht («30 Hours»), wer durch seinen Einfluss und Input gross geworden ist («Famous») und wie doof seine Freunde sind, die sich von ihm abwenden, weil er keine Zeit mehr für sie hat («Real Friends»).
Schuld sind schliesslich immer die Anderen, während er Kim und sich in «Wolves» mal eben mit Maria und Joseph vergleicht. «I've been outta my mind for a long time», gibt West in «Feedback» zu und erwähnt das Antidepressivum «Lexapro» in «FML»: Ringt der Künstler etwa mit seiner geistigen Gesundheit?
Die inzwischen berühmt-berüchtigten Sex-Zeilen über Taylor Swift, erratische Tweets über Bill Cosbys vermeintliche Unschuld oder Verse wie «If I fuck this model/ And she just bleached her asshole/ And I get bleach on my T-shirt/ I'mma feel like an asshole» (aus «Father Stretch My Hands») legen nahe, dass West sich in seiner Superstar-Persona letztgültig verloren hat und dem Überschnappen näher ist, als man bisher dachte.
Wenn «The Life Of Pablo» also tatsächlich ein Gospel-Album ist, wie West andeutet, dann möge der Himmel mit ihm sein. Andererseits: Wäre Kanye nicht der immer wieder über sich selbst stolpernde Wahnsinnsbraten, der er nun einmal ist, wäre er wahrscheinlich nicht so verdammt gut.
Und die 3 besten Alben der letzten 10 Jahre gehen auf sei Konto? ... No comment