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«Ich begrüsse euch! Auch im Namen der Einhörner!» – wir rammen uns gegenseitig die Ellbogen in die Rippen. «Hat sie das wirklich gesagt, Anna?» – «Ja. Sie meint das wirklich ernst, Lina». Sie, das ist Melanie Missing. Eine Frau Mitte dreissig, die mit Anfang zwanzig ein Erlebnis hatte. Eines, das sie nachhaltig geprägt hat: Sie hat Kontakt zu Einhörnern aufgenommen. Beziehungsweise die Einhörner zu ihr. Seitdem hält sie pausenlos Vorträge, um auch andere Menschen mit ihren persönlichen Einhörnern zusammenzubringen.
In so einem Vortrag sitzen wir gerade, haben die Augen geschlossen, hören Meditationsmusik und sollten eigentlich mit unseren Händen ein Dreieck vor unserer Brust formen, damit das Einhorn mit seinem Lichthorn einen Eingang in unser Herz findet. So hat es Melanie Missing befohlen. Stattdessen blinzeln wir heimlich in die Runde, um zu schauen, ob das wirklich jemand macht. Alle machen es.
Aber von Anfang an ...
Es ist Sonntagmorgen, 10.15 Uhr. Viel zu früh für so ein Abenteuer. Im Kongresshaus in Zürich haben sich viele lustige Gestalten versammelt. Menschen mit heilenden Steinen, mit magischem Wasser, mit Bibeln – aber wir liebäugeln allein mit den Einhornessenzen.
Wir befinden uns an der 28. Messe für Bewusstsein, Gesundheit und Spiritualität. Der Einhorn-Stand gehört Melanie Missing. Wegen ihr sind wir hier. Wegen ihr und ihren Zauberwesen. In wenigen Minuten beginnt der halbstündige Vortrag. Wir sind so gut gelaunt, wie es uns für einen Sonntagmorgen möglich ist.
«Bist du bereit, Lina?» – «Also gut, Anna». Wir gehen rein. Mist, falsche Tür. Aber jetzt gehen wir rein. Wir drängen uns an Seniorinnen vorbei, irgendwo an den Rand, wo wir nicht noch mehr auffallen. Wir sind etwa einen Drittel so alt wie die Durchschnittsbesucherin. Ein einziger Mann sitzt im Raum. Er trägt ein «Staff»-Schildchen. Im Gegensatz zu ihm haben alle anderen 120 Franken für das Symposium «Kontakt zu anderen Welten» bezahlt. Jeweils eine halbe Stunde lang wird über Naturwesen, Einhörner, Engel und andere Lichtgestalten referiert.
Melanie Missing steht unten links am Bühnenrand, das Mikrofon in der Hand, ein «Jackentuch» lässig über die Schulter geworfen. «Einige Gesichter kenne ich ja schon!», haucht sie und schaut lieb in die Runde. Wieso gibt es Menschen, die mehrmals in so einen Vortrag gehen? Ist das so wie bei einem Konzert? Dass man seine Lieblingsband nicht oft genug sehen kann? Ist sie der Popstar unter den Spirituellen? Die Helene Fischer der Einhorn-Quellen? Unsere Augenbrauen schnellen synchron nach oben.
Melanie Missing beginnt mit ihrem Vortrag. Sie steigt ein mit einer erfrischenden Anekdote. Sie hat einmal einen äusserst grellen Ton in ihrem Kopf gehört. Ein Mann von einer unglaublich weit entfernten Dimension hat sich gemeldet. Von einer galaktischen Flotte. Kapitän Schakrakan oder so. Sowas hat sie noch nie zuvor erlebt. Sie musste den Kontakt allerdings abbrechen. Der Zeitpunkt war ungünstig, sie sass im Hotel beim Frühstück und konnte nicht kommunizieren.
Tage später, an ihrem Bürotisch, rief sie dann zurück. Sie und der Offizier der galaktischen Flotte unterhielten sich gut. Diese Wege der Kommunikation könnten sich auch für uns öffnen – wenn wir unsere Signale denn in diese unglaublich weite Dimension zu senden vermögen. Alles Übungssache.
«Glauben die ihr diese Geschichten wirklich, Anna?» – «Ich weiss nicht, Lina.»
Melanie Missing kommt nun auf den Kern ihres Vortrags zu sprechen: Die unglaublich komplexe Einhorn-Theorie. Diese beruht auf ihrer Begegnung mit Sirius, ihrem persönlichen Chef-Einhorn. Sirius ist das älteste Einhorn der «Weissen Bruderschafts»-Herde. Damit sitzt er gleichzeitig auch im zwölfköpfigen «Hohen Rat der Einhörner», der aus den weisesten und ältesten Einhörner jeder Herde besteht. Und über allen Einhörner thronen der König und die Königin. Ohne Scheiss jetzt.
Sirius kam gemeinsam mit hunderten von Einhörnern aus einer goldenen Spirale heraus zu Melanie Missing, als sie vor sieben Jahren auf einer Wiese spazieren ging. Melanie ist seither randvoll mit Einhorn-Liebe. Denn Einhörner meinen es gut mit den Menschen. Sie sind Lichtwesen und leben im Garten Eden, auf der feinstofflichen Ebene der siebten Dimension. Zu Zeiten Atlantis' (dem mythischen Inselreich, das Platon Mitte des 4. Jahrhunderts vor Christus beschrieb) ist es ganz normal gewesen, dass die Menschen mit ihren Einhörnern kommuniziert haben. Doch irgendwann haben wir diese Fähigkeit unseligerweise verloren.
Wer aber bereit ist für die Neue Zeit, der kann seinen persönlichen Einhörnern ihren angestammten Platz in seinem Herzen zurückgeben. Wer mag, kann ihnen auf der fünften Dimension begegnen. Denn da erscheinen sie dem suchenden Menschen als Lichtwesen und berühren ihn in der Tiefe seiner Seele.
Nachdem das alles geklärt ist, bleiben noch circa zehn Minuten. In diesen zehn Minuten sollen wir jetzt unseren persönlichen Einhörnern begegnen.
Hör dir nun diese schöne Musik an und entspanne dich gänzlich.
Du wirst nun in die Energie hineingehen. «In die Energie des reinen Lichtes aus der höchsten Ebene der Quelle der Liebe», wie Melanie Missing uns mit ruhiger und – das müssen wir jetzt auch mal erwähnen – unglaublich erotischer Stimme mitteilt. Sie klingt ein bisschen so wie die Frauen in den Werbungen, die früher nach Mitternacht auf RTL II zu sehen waren. Melanie Missing säuselt:
Falls die Namen deiner Einhörner mehr profan als himmlisch klingen sollten, ist das kein Grund zur Sorge. Das Einhorn von Melanies Mutter heisst Klaus-Dieter.
Melanie Missing macht die Musik aus.
«Wie heisst dein Einhorn, Lina?» – «Halt die Klappe, Anna.» – «Meins heisst Max. Haha. Aber ich hab nur eins. Mist.» – Wir gehen. Die anderen lächeln uns mitleidig an. Sie wissen, dass wir es nie in die fünfte Dimension schaffen werden.