Am frühen Dienstagmorgen um 6 Uhr hat die Staatsanwaltschaft Hamburg eine internationale Polizeiaktion durchgeführt, auch in der Schweiz. In Winterthur nahmen die Polizisten unter anderem einen 27-jährigen Schweizer fest, in Bremgarten durchsuchten sie dessen Wohnung und das Kulturzentrum.
Gegen den jungen Schweizer läuft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, die Hamburger Justiz wirft ihm schweren Landfriedensbruch vor. Hat der 27-jährige in Hamburg während des G20-Gipfels im vergangenen Jahr also randaliert und Autos beschädigt?
Beweise für solche Straftaten hat die Staatsanwaltschaft offenbar keine – dies ist gemäss Pressesprecherin Frombach aber auch nicht nötig. «Ein konkreter Tatbeitrag wird dem Beschuldigten nicht vorgeworfen, er soll Teil der vermummten und gewaltbereiten Gruppe von 220 Personen gewesen sein und muss sich daher das Handeln anderer Gruppenmitglieder zurechnen lassen.»
Es ist also unklar, ob der befragte Aargauer selber Feuer gelegt hat oder nur vermummt im «Schwarzen Block» mitgelaufen ist. Genau die Unsicherheit, ob die per Foto gesuchten Personen tatsächlich Delikte begangen haben, löste in Deutschland heftige Kritik an der Öffentlichkeitsfahndung aus. Die Linke in Hamburg erklärte, den abgebildeten Aktivisten drohe lebenslange Stigmatisierung.
Die Ermittler bezeichneten die erste Öffentlichkeitsfahndung im Dezember hingegen als grossen Erfolg. Vor rund zwei Wochen teilte die Hamburger Polizei mit, von 107 Tatverdächtigen habe man 35 identifiziert, zwei seien angeklagt worden, zudem sei ein Strafbefehl ergangen. Wie es im Fall des verdächtigen Aargauers weitergeht, ist laut Staatsanwaltschaft Hamburg offen. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung, er ist nach der Befragung auf freiem Fuss, eine Anklage gibt es derzeit nicht.
Weil die Schweiz keine eigenen Bürger ausliefert, müsste ein allfälliger Prozess in Deutschland in Abwesenheit des Mannes stattfinden. Möglich wäre auch ein Strafübernahmebegehren der Hamburger Behörden an die Staatsanwaltschaft im Aargau. Dabei würden Unterlagen und Beweise weitergeleitet und die Schweizer Behörden aufgefordert, ein Strafverfahren durchzuführen.
Ähnlich wie die Hamburger Polizei ging vor fünf Jahren die Kantonspolizei Bern vor. Nach massiven Ausschreitungen bei der «Tanz dich frei»-Demonstration kam damals auch das Mittel der Öffentlichkeitsfahndung zum Einsatz. Dies allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Wenn sich eine Straftat nicht eindeutig einem Verdächtigen zuordnen liess, wurden keine Fotos von ihm im Internet veröffentlicht.
Später gab es Strafverfahren gegen Teilnehmer der Demonstration, die Gewalttaten verübt, Autos angezündet oder Geschäfte verwüstet haben sollten. Die entscheidende Frage bei der Strafzumessung war jene, die im Fall des Aargauers am G20-Gipfel auch im Zentrum steht: Reicht es für eine Verurteilung, nur Teil einer randalierenden Gruppe zu sein? Oder braucht es für einen Schuldspruch den Beweis, dass ein Angeklagter einen Polizisten angriff, eine Flasche warf oder einen Brandsatz legte? Die Gerichte beurteilten diese Frage unterschiedlich.