«Das gibt es doch nicht», dachte sich Erik Neumann, als er eines morgens in seinem Büro einen Brief öffnete. Der Absender: der Gemeinderat Oberrohrdorf. «Als ich die Zeilen gelesen habe, musste ich erst einmal laut lachen», sagt Neumann, der seit vier Jahren in Oberrohrdorf lebt.
Was ist passiert? Am 2. Januar dieses Jahres fährt Geschäftsführer Neumann mit einem schwarzen Jeep bei der Entsorgungsstelle Cholacher vor. Er steigt aus dem Firmenfahrzeug, entsorgt eine Tüte Altglas und fährt wieder weg. So, wie er das in der Vergangenheit regelmässig tat. «Offenbar wurde ich diesmal aber dabei beobachtet», sagt er mit einem Schmunzeln. Denn dem Brief beigelegt waren zwei Fotos, die ihn beim Entsorgen des Altglases zeigen. Neumann vermutet, dass ein Einwohner die Aufnahmen gemacht und der Gemeinde geschickt hat.
Weshalb Neumann abgelichtet wurde, geht aus dem Schreiben hervor, das ihn drei Wochen später im Büro erreicht und der «Schweiz am Wochenende» vorliegt: «Der Gemeinderat hat festgestellt, dass mit einem auf ihre Firma eingetragenem Fahrzeug (BS 72 035) (...) bei der Entsorgungsstelle Cholacher in Oberrohrdorf Altglas entsorgt wurde. Die Sammelstelle steht nur Einwohnerinnen und Einwohnern von Oberrohrdorf zur Verfügung.» In diesem Sinne sei diese Art der Kehrichtentsorgung illegal und werde mit einer Busse oder Anzeige bei der Staatsanwaltschaft geahndet. Dann bittet die Exekutive, innerhalb von 14 Tage eine Stellungnahme einzureichen.
Erik Neumann kann nur den Kopf schütteln: Er fragt sich, warum die Verantwortlichen nicht auf die Idee gekommen sind, das Gespräch zu suchen – bevor sie mit einer Anzeige oder einer Busse drohten. «Hätten sie zuerst recherchiert und mich kontaktiert, hätten sie schnell bemerkt, dass es das Geschäftsfahrzeug meiner Firma ist, die in Basel ihren Sitz hat», sagt Neumann.
Ausserdem, fügt er an, wem würde es schon in den Sinn kommen, extra von Basel nach Oberrohrdorf zu fahren, um eine einzige Tüte Altglas zu entsorgen? «Das ist doch absolut lächerlich.» Schmunzeln musste Neumann auch über das Autokennzeichen, das im Brief falsch aufgeführt ist. «Das zeugt nicht gerade von grosser Sorgfaltspflicht», sagt der Geschäftsführer. Denn wenn ihm bei der Arbeit ein Dokument vorgelegt werde, überprüfe er zuallererst, ob der Inhalt stimme. «Erst dann setze ich meine Unterschrift darunter.»
Nach Erhalt des Schreibens hat er mehrmals den Kontakt – auch persönlich – mit der Gemeinde gesucht. «Doch jedes Mal, wenn ich den Gemeindeschreiber oder den Gemeindeammann verlangt habe, waren sie nicht zu sprechen.» Also schrieb er kurz darauf wie verlangt eine Stellungnahme – und stellte für die Umtriebe, die seiner Firma entstanden waren, 50 Franken in Rechnung.
Neumann sei ein humorvoller Mensch, aber bei dieser Sache habe er den Witz und die Geduld langsam verloren. Er könne nicht verstehen, dass sich der Gemeindeammann hinreissen liesse, in einer doch so belanglosen Sache Steuergelder einzusetzen. Ausserdem, dass man sich auf ein Foto eines Einwohners einlässt, der einen vermeintlichen Abfallsünder gesehen haben soll. Dies, ohne die Aufnahmen im Geringsten zu hinterfragen. «Das grenzt schon fast an Schildbürgertum.»
Wie steht die Gemeinde zum Vorfall? Gemeindeammann Kurt Scherer (FDP) bestätigt, dass ein Einwohner die Fotos gemacht hat. «In der Zeit über Neujahr war die Entsorgungsstelle rege besucht, darunter gab es auch einige Externe», sagt er. Etwa aus Solothurn, Zürich und Basel-Stadt. Ausserdem sei an diesen Tagen der Cholacher oft ausserhalb der Öffnungszeiten benutzt worden. «Da wir generell dieses Problem haben, hat ein Anwohner entschieden, einige Fotos zu machen und sie dem Gemeinderat zu melden», erklärt Scherer. Also habe die Gemeinde diese Besucher angeschrieben. «Das war aber keine Drohung, sondern ein ganz normaler Brief.»
Was das Geschäftsauto betrifft, sagt Scherer, sei es nicht möglich, herauszufinden, ob dieses einem Oberrohrdorfer gehört oder nicht. «Wir können lediglich die Firma anschreiben, was wir in mehreren Fällen auch getan haben», sagt Scherer. Unter den Fotografierten habe es auch solche gegeben, die trotz externem Nummernschild legal Altglas entsorgt hätten, etwa von einem ortsansässigen Familienmitglied oder Partner.
Für die Gemeinde ist die Sache abgeschlossen, wie sie Neumann in einem Schreiben vor wenigen Tagen mitteilte. Zufrieden lässt ihn diese Antwort aber nicht: «Als Reaktion auf meine Telefonanrufe und das Vorsprechen auf der Gemeindekanzlei hätte ich einen Anruf als nett und respektvoll empfunden.» Die zur Rechnung gestellten 50 Franken seien nicht bezahlt worden. «Man sagte mir, die Gemeinde sei dazu nicht verpflichtet.»
Aufgrund des Vorfalls und weil eine Gelegenheit kam, hat Erik Neumann mit seiner Partnerin entschieden, den Mietvertrag zu kündigen und im benachbarten Remetschwil zu bauen. «Es ist schade, dass die Geschichte ein solches Ende nehmen muss. Wir haben uns in Oberrohrdorf wirklich sehr wohl gefühlt», sagt er.
Ein Wegzug ist wahrscheinlich die beste Lösung. Sorry, Herr Neumann, manchmal verstehe ich unser eigenes Land nicht.