Schweiz
Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)

Grundeinkommen: Trotz Jubel wäre mehr drin gelegen

Die Initianten Daniel Häni (l.) und Enno Schmidt am Abstimmungsfest am Sonntag in Basel.
Die Initianten Daniel Häni (l.) und Enno Schmidt am Abstimmungsfest am Sonntag in Basel.Bild: KEYSTONE

BGE-Initianten jubelten in der Niederlage – aber es wäre mehr drin gelegen

Das bedingungslose Grundeinkommen scheiterte in der Volksabstimmung auch am fehlenden Realitätssinn seiner Initianten. Das Thema aber bleibt aktuell. Das zeigt nicht zuletzt das Interesse aus dem Ausland.
06.06.2016, 15:3607.06.2016, 12:08
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Das hat die Schweiz lange nicht erlebt: Die Initianten des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) feierten ihre Niederlage am Sonntag wie einen Sieg. Letztmals hatten die Verlierer einer Abstimmung im November 1989 ähnlich ausgelassen gejubelt. Damals erreichte die Volksinitiative zur Abschaffung der Armee einen Ja-Anteil von 35,6 Prozent, ein sensationelles Ergebnis in jener vom Kalten Krieg geprägten Zeit. Das Grundeinkommen brachte es «nur» auf 23,1 Prozent. Kein einziger Kanton sagte Ja, während die Armeeabschaffung in Genf und Jura angenommen wurde.

Im Kulturhaus «Unternehmen Mitte» in Basel, dem Hauptquartier des Initiativkomitees, herrschte trotzdem Feststimmung. Mitinitiant Daniel Häni zeigte sich positiv überrascht. Er habe mit 15 Prozent Ja-Stimmen gerechnet. Am Ende war mehr als jeder Fünfte dafür. «Das ist ein sagenhaftes Ergebnis», sagte Häni der Nachrichtenagentur SDA. Er sprach von einem «Zwischenresultat». Bei grossen Themen wie der AHV und dem Frauenstimmrecht habe es ebenfalls mehrere Anläufe gebraucht.

Das Plakat der Initianten auf der Genfer Plaine de Plainpalais schaffte es ins Guinness-Buch der Rekorde.
Das Plakat der Initianten auf der Genfer Plaine de Plainpalais schaffte es ins Guinness-Buch der Rekorde.Bild: DENIS BALIBOUSE/REUTERS

Vielleicht wäre das Ergebnis noch sagenhafter gewesen, wenn die Initianten um Häni mit mehr Realismus und weniger Idealismus ans Werk gegangen wären. So originell ihre Kampagne mit der Lastwagenladung Fünfräppler auf dem Bundesplatz, der Zehnernötli-Verteilung auf Bahnhöfen, dem goldenen Tesla und dem Weltrekord-Plakat auch war – es war ihnen im Abstimmungskampf nie wirklich gelungen, ihr luftiges Vorhaben auf den Boden der Tatsachen zu befördern.

Um die Frage, wer das bezahlen soll, drückten sie sich herum. «Es geht jetzt um den Grundsatzentscheid», sagte Häni. Den viel kritisierten Betrag von 2500 Franken pro Monat liessen sie unwidersprochen im Raum stehen. Es kümmerte sie auch nicht, als der ehemalige Bundesratssprecher Oswald Sigg, so etwas wie die Stimme der Vernunft im Initiativkomitee, im «Tages-Anzeiger» erklärte, er glaube nicht, dass man das bedingungslose Grundeinkommen in der Schweiz isoliert umsetzen könne. Dies würde «höchstwahrscheinlich zu einer noch grösseren Zuwanderung führen».

Mit diesen Bedenken war Sigg keineswegs isoliert. Der frühere griechische Finanzminister Yannis Varoufakis, Kultfigur der Linken und Befürworter des Grundeinkommens, hatte ähnliche Einwände geäussert. Daniel Häni wischte sie gegenüber dem «Tages-Anzeiger» vom Tisch: «Irgendwo muss man beginnen, sonst kommt es nie», meinte er zum möglichen Alleingang der Schweiz. Das Problematisieren der Zuwanderung sei «populistisch».

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Ohne diesen Fundi-Ansatz hätte die Initiative die 30-Prozent-Marke knacken können. Denn das Grundeinkommen bewegt die Menschen, auch und gerade ausserhalb der Schweiz. Dies zeigt das Interesse der internationalen Medien, deren Vertreter am Sonntag in grosser Zahl nach Basel gekommen waren. Renommierte Titel wie die «Financial Times» und die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» setzten sich mit dem Thema auseinander. Die FDP-nahe NZZ wunderte sich über diese «Beachtung für einen Nonvaleur», wie sie die Initiative despektierlich bezeichnete.

Dabei kommt das Interesse nicht von ungefähr. Die Digitalisierung und die damit verbundene Befürchtung, dass unzählige Menschen ihren Job an Roboter verlieren könnten, macht das Grundeinkommen zunehmend salonfähig. In den USA setzt sich der Verein Universal Income Project dafür ein. Mitbegründer Jim Pugh äusserte sich auf Quartz wohlwollend zur Abstimmung in der Schweiz. Sie sei «ein sehr effektives Mittel zur Aufklärung über das Grundeinkommen».

In der Schweiz dürfte die Diskussion ebenfalls nicht zu Ende sein. In einer Umfrage, die das Forschungsinstitut GFS Bern im Auftrag der Initianten durchführte, meinten 69 Prozent, dass es eine weitere Abstimmung zum Thema geben wird. 44 Prozent der 1000 befragten Stimmberechtigten sprachen sich für Experimente mit einem Grundeinkommen aus. Und 41 Prozent der 18- bis 29-Jährigen gehen davon aus, dass es irgendwann kommen wird.

«Wir müssen ein bisschen Geduld haben», sagte Daniel Häni im Schweizer Fernsehen. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens sei keine «Hauruck-Veranstaltung», sondern ein Marathon. Oswald Sigg geht dabei seinen eigenen Weg. Zusammen mit einigen Mitstreitern, darunter die Zürcher Professoren Marc Chesney und Anton Gunzinger, arbeitet er an einer Volksinitiative für eine Mikrosteuer auf dem Gesamtzahlungsverkehr.

Oswald Sigg arbeitet an einer Initiative für eine Mikrosteuer.
Oswald Sigg arbeitet an einer Initiative für eine Mikrosteuer.
Bild: KEYSTONE

Sie soll das BGE finanzieren und könnte mittel- bis langfristig sogar das geltende Steuersystem ablösen, wie Sigg in der «Wochenzeitung» schrieb. Die Lancierung ist für Herbst 2017 geplant. Der Initiativtext steht offenbar noch nicht. Auch räumte Sigg ein, dass Mikrosteuer und Grundeinkommen «sinnvollerweise» mit anderen europäischen Ländern zusammen umgesetzt würden. Andernfalls droht dieser Initiative ein ähnliches Schicksal wie jener, die am Sonntag gescheitert ist.

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70 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Matthias Studer
06.06.2016 18:49registriert Februar 2014
Die Initiative wurde falsch angegangen. Mehr Bescheidenheit anstatt Klotzen wäre angesagt.
Es wurde über zuviel Indivalismus geredet, zuwenig über soziales Engagement. Die Initianten haben in meinen Augen versagt. Von der Aufmachung über die Arena.
Die Verlierer sind die unterste Soziale Schicht bei uns.
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FrancoL
06.06.2016 18:15registriert November 2015
Blutschi trifft es wenn er schreibt:

Daniel Häni wischte sie gegenüber dem «Tages-Anzeiger» vom Tisch:

Alle Bedenken wurden immer wieder weggewischt, immer wieder nahm man zu fast nichts richtig Stellung ausser dass es bedingungslos sein muss.

Für mich hat man etwas Reelles mit den falschen Argumenten in die Utopie verbannt.

Offensichtlich gefielen sich die Initianden mit dem utopischen Zauber, natürlich trug auch ein Herr Löpfe seines dazu bei um das bGE in die Utopie zu verbannen.

Mehr Realitätsbezug hätte wohl Früchte getragen. Für mich eine verspielte Chance.
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FrancoL
06.06.2016 18:04registriert November 2015
Den Grund zur Freude verstehe ich nicht:

Eine Initiative die einem guten Teil der Bevölkerung etwas Positives zu bringen schien kommt auf weniger als 25%? Das soll ein Erfolg sein?

Ueberlege:
Vorteile für Eltern mit Kinder; höhere Kinderzulage
Vorteile für Studenten; Grundeinkommen, Konzentration aufs Studium
Vorteile für nicht arbeitstätige; Lohn für Arbeit im Haus
Vorteile für AHV-Bezüger; bei einem bGE von über 2'000.
Vorteile für alle; weniger Bürokratie, Kosteneinsparungen

Und bei all diesen Vorteilen kommt man auf eine Zustimmung von weniger als 25%.
Freunde ist da nicht angesagt.
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