Es geht um mehr als nur «Burka»: Das Verhüllungsverbot in 7 Punkten
Die Schweiz stimmt am 7. März 2021 über die Volksinitiative zum Verhüllungsverbot ab. Wir beantworten in diesem Artikel die wichtigsten Fragen dazu, nennen die Argumente dafür und dagegen und erklären die Hintergründe.
Was fordert die Initiative?
Im März 2021 stimmen wir über die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ab. Sie will die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum und an öffentlich zugänglichen Orten verbieten. Verboten wird damit nicht nur die religiöse Verhüllung, sondern auch jene an Grossveranstaltungen oder Demonstrationen. Solche Verhüllungsverbote gibt es in zahlreichen Kantonen bereits.
Die Initiative sieht Ausnahmen vor: So bleibt die «Verhüllung» in Sakralstätten (sprich: Kirchen, Moscheen, Synagogen, etc.) erlaubt. Ausnahmen sind auch bei gesundheitlichen oder klimatischen Gründen möglich, ebenso wenn man sich wegen einheimischen Bräuchen oder zur Sicherheit verhüllt.
Eingebettet dazwischen ist zudem das Verbot, eine Person aufgrund ihres Geschlechts zur Gesichtsverhüllung zu zwingen. Damit wird der religiöse bzw. politische Charakter der Initiative deutlich: Sie wurde im Zusammenhang mit der Burka- bzw. Niqab-Debatte lanciert.
12. Übergangsbestimmung zu Art. 10a
(Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts) Die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 10a ist innert zweier Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände zu erarbeiten. a Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.
Wer steckt hinter der Initiative?
Lanciert wurde die Initiative vom sogenannten «Egerkinger Komitee» um SVP-Nationalrat Walter Wobmann. Diese islamfeindliche Organisation wurde 2006 gegründet und verschreibt sich dem «Widerstand gegen die Machtansprüche des politischen Islam in der Schweiz».
Das Komitee wurde in der Anfangszeit oft mit dem alt SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer in Verbindung gebracht. 2009 erreichten sie einen ersten Achtungserfolg, als sie eine Mehrheit bei Volk und Ständen für die Minarett-Initiative fanden.
Die Verhüllungverbots-Initiative ist ihr zweites Projekt, von dem nun aber auch nicht-religiöse Personen betroffen sind. Im Zentrum ihrer politischen Beweggründe stehen aber nach wie vor islamfeindliche Motive. Sie werben mit dem Slogan «Extremismus stoppen!», daneben eine Person mit einem muslimischen Niqab.
Was fordert der Gegenvorschlag?
Die Schweiz und die Stände stimmen nur über die Initiative ab. Bundesrat und Parlament haben jedoch einen sogenannten «indirekten Gegenvorschlag» ausgearbeitet. Dieser tritt in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt oder (überraschend) vor der Abstimmung zurückgezogen wird.
Der Gegenvorschlag wurde ausgearbeitet, weil Bundesrat und Parlament ebenfalls den «sozialen Zusammenhalt» sicherstellen wollen. Erreicht werden soll das aber nicht durch ein Verbot, sondern ein Gebot. Wird die Initiative abgelehnt, tritt ein neues Gesetz in Kraft, das eine Pflicht zur Enthüllung des Gesichts vorsieht, wenn man mit Schweizer Behörden in Kontakt tritt oder dazu aufgefordert wird. Wer das nicht tut, soll eine Busse kassieren oder gar das Recht auf eine verlangte Leistung verlieren.
Das Parlament ergänzte den Gegenvorschlag durch zusätzliche Gesetzesänderungen, welche die Gleichstellung von Frau und Mann bzw. Verbesserung der Situation von Frauen fordern.
Nicht vorgesehen ist ein ausdrückliches Verbot, jemanden zur Gesichtsverhüllung zu zwingen. Laut dem Bundesrat ist das auch nicht notwendig: Das Strafgesetzbuch bestraft solche Fälle bereits heute wegen Nötigung.
Ist es eine «Burka-Initiative»?
Nein. Das aus zwei Gründen. Wenn wir von «Burka» sprechen, haben Personen oft folgendes Bild im Kopf:
Das ist keine Burka, sondern ein Niqab. Sie zeigen die Augen, während bei der Vollverschleierung unter dem politisch geladenen Begriff «Burka» Augen durch ein dünnes Stoff- bzw. Netztuch verdeckt werden.
Oder anders gesagt: In der Diskussion wird oft von «Burka-Initiative» gesprochen, gezeigt wird aber die Niqab. Die Initiative will auch kein «Kopftuch-Verbot»: Hidschabs, Tschadors und andere religiöse Kleider verhüllen das Gesicht nicht und wären von der Initiative nicht betroffen.
Der zweite Grund ist: Gefordert wird ein generelles Verhüllungsverbot, das auch nicht-religiöse Gesichtsverschleierung unter Strafe stellen möchte.
Betroffen sind Personen, die aus gewaltbereiten, aber auch legitimen Gründen bei (politischen oder sportlichen) Kundgebungen und Demonstrationen das Gesicht verschleiern. Denkbar sind hier etwa Menschen, die politisch oder gesellschaftlich verfolgt werden. Aber auch Personen, die mit der «Anonymous»- oder spielerischen Masken (z. B. mit dem Gesicht von unserem Chefredaktor) protestieren möchten.
Bei solchen Fällen sieht der Gegenvorschlag eine andere Lösung vor: Auf nationaler Ebene wird nur die Pflicht geschaffen, dass man das Gesicht gegenüber Behörden zeigen muss.
Haben wir nicht schon ein Vermummungsverbot?
Jein. Der Grund liegt im Föderalismus: Der Bund hat derzeit nicht die Kompetenz, ein solches Verbot einzuführen. Die Kantone schon. Mehrere Kantone haben dies denn auch gemacht im Rahmen ihrer Übertretungsstrafgesetze.
Wie weit diese gehen, ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Von Genf bis Thurgau zieht sich beispielsweise ein Streifen mit Kantonen, die ein Vermummungsverbot bei Kundgebungen und bzw. oder bei Sportanlässen kennen. Einzig die Kantone St.Gallen und Tessin kennen ein «echtes Verhüllungsverbot». In beiden Fällen wurde ein solches Gesetz vom Volk angenommen.
Beim Tessiner Verbot ging die Diskussion nach dem Volks-«Ja» weiter: Dort gab das Bundesparlament zunächst grünes Licht (weil jede kantonale Verfassungsänderung den Segen aus dem Bundeshaus braucht). 2018 urteilte das Bundesgericht jedoch, dass Ausnahmen im Bezug auf Meinungs-, Versammlungs- und Wirtschaftsfreiheit geschaffen werden müssen. Das Tessiner Kantonsparlament muss nun das Verhüllungsverbot grundrechtskonform anpassen.
Was sind die Argumente im Abstimmungs-Kampf?
Argumente des Initiativkomitees:
- Freie Menschen zeigen Gesicht: Die Ja-Seite argumentiert hier mit ihrer Interpretation einer freiheitlichen Gesellschaft, in der ihrer Ansicht nach Menschen sich einander ins Gesicht schauen, wenn sie miteinander sprechen. Sie kritisieren im gleichen Atemzug, dass Schweizer Werte «mit Füssen getreten» werden, wenn sich Frauen «nicht mehr als Individuen zu erkennen geben dürfen».
- Gebot der Gleichberechtigung: Im gleichen Kontext sprechen die Befürworter die Opfer der Zwangsverhüllung an. Sie betrachten deshalb den Begriff «Kleidervorschrift» als «Hohn» gegenüber allen Frauen, die unter den Auswüchsen eines radikalen Islams leiden würden.
- Für Sicherheit und Ordnung: Mit diesem Punkt verdeutlichen die Initianten auch den rechtstaatlichen Aspekt ihrer Forderung: Ein Verhüllungsverbot würde Polizistinnen und Polizisten Rückenwind geben, wenn sie gegen vermummte Straftäter konsequent vorgehen.
Argumente der Gegnerinnen und Gegner:
- Vollverschleierung ist ein Randphänomen: Die Nein-Seite anerkennt mit diesem Punkt, dass eine Vollverschleierung Unbehagen auslösen kann. Sie betonen aber, dass es solche Probleme kaum in der Schweiz gebe. Ein schweizweites Verbot wäre ihrer Ansicht nach übertrieben für die paar wenigen Fälle.
- Kantonale Zuständigkeit wahren: Ein schweizweites Verbot würde auch den Föderalismus ändern, da derzeit Kantone vor Ort entscheiden, welche Regeln sie für den öffentlichen Raum aufstellen wollen. Käme das Verbot schweizweit, so befürchtet das Nein-Lager einen «Flickenteppich», weil Kantone das Verbot unterschiedlich auslegen würden.
- Verhüllungsproblem anders lösen: Mit diesem Argument betonen die Gegnerinnen und Gegner die Tatsache, dass Zwänge bereits heute wegen Nötigung bestraft werden können. Sie wollen die Verschleierungsthematik zudem mit «gezielten» Massnahmen angehen, indem die Gleichstellung der Frau verbessert wird.
Wer ist dafür, dagegen?
Es haben noch nicht alle Parteien und grossen Organisationen Abstimmungsempfehlungen abgegeben. Folgende Parolen wurden bis am 28. Januar 2021 publiziert (die Liste wird fortlaufend aktualisiert; Kantonalpartei nur bei abweichender Parole):
- Dafür: EDU, FDP Waadt
- Dagegen: Grüne, GLP, FDP Schweiz, Operation Libero, Städteverband, HotellerieSuisse
- Stimmfreigabe: EVP
- Noch nicht beschlossen: SP, Mitte, SVP
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