Das Ergebnis war knapp. Die Wut gross. Die Rede laut. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello nannte die Annahme der AHV-Reform am Tag nach der Abstimmung einen Hohn. «Alte, reiche Männer» hätten gegen den klaren Willen der Frauen beschlossen, dass diese länger arbeiten müssten, sagte sie, gestützt auf Nachwahlbefragungen, am Montag vor einigen hundert Demonstrantinnen auf dem Berner Bahnhofplatz.
Die Demo nannte Funiciello eine «erste Kampfansage». Nicht nur an die «alten reichen Männer», sondern auch an die bürgerlichen Frauen unter der Bundeshauskuppel. Gross seien die Hoffnungen gewesen in dieses Parlament, das seit der Frauenwahl 2019 so weiblich geprägt ist wie noch nie. Die bürgerlichen Frauen hätten viele leere Versprechen abgegeben, aber wenig Zählbares geleistet, das die Lebensrealitäten der Frauen in der Schweiz verbessert habe. «Ihr habt noch ein Jahr, um zu beweisen, dass es euch ernst ist», rief Funiciello mit Blick auf die eidgenössischen Wahlen im Oktober 2023 ins Mikrofon.
Über die kämpferischen Töne der ehemaligen Juso-Chefin ärgerten sich viele bürgerlichen Politikerinnen. Mitte-Nationalrätin Ida Glanzmann (LU) schrieb auf Twitter, sie sei wütend darüber, «was ich mir als Frau, die Ja gestimmt hat, von den Verliererinnen so alles anhören muss». Frauen seien keine homogene Masse und Funiciello könne nicht im Namen aller Frauen reden, reagierte FDP-Nationalrätin Regine Sauter (ZH).
Das knappe Ja und die linke Wut nach dem teilweise gehässig geführten Abstimmungskampf haben Gräben aufgerissen zwischen den Frauen - in Bundesbern und darüber hinaus. Nachdenklich zeigt sich Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG) in der Wandelhalle. «Es ist Tamara Funiciellos gutes Recht, wütend zu sein», schickt die Präsidentin der FDP Frauen voraus. Aber sie empfinde die Kritik als Rückschritt in Zeiten, in denen sich Frauen gegenseitig bekämpft und das Recht auf eine eigene, andere politische Haltung abgesprochen hätten. «Wir müssen uns in Sachfragen, die wir unterschiedlich beurteilen, mit der nötigen Wertschätzung und dem gegenseitigen Respekt begegnen», sagt die St. Gallerin.
Auch SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz störte sich an Funiciellos Aussagen. «Nicht nur linke Politikerinnen verteidigen die Interessen der Frauen, auch bürgerliche Politikerinnen tun das», betont die Genferin. Ihre Aargauer Parteikollegin Martina Bircher sagt: «Bei linken Politikerinnen fehlt manchmal das Verständnis, dass es Frauen gibt, die rechts politisieren.»
«Ich kann nicht beurteilen wie es ist eine bürgerliche Frau in einer bürgerlichen Partei zu sein», entgegnet Tamara Funiciello. Sie wolle den bürgerlichen Kolleginnen nicht erklären, wie sie zu politisieren haben. «Meine Rede vor der Demo war keine Respektlosigkeit ihnen gegenüber, es war eine inhaltliche Kritik an ihrer Politik». Denn schliesslich sei bei der AHV-Abstimmung klar geworden, dass die bürgerlichen Frauen an grossen Teilen ihrer eigenen Basis vorbeipolitisiert haben. «Diese bürgerlichen Wählerinnen haben mit uns zusammen gegen die Anhebung des Frauenrentenalters gestimmt», sagt Funiciello.
Mit dem Ja zu einem höheren AHV-Alter für die Frauen sei ein wichtiges Verhandlungspfand aus der Hand gegeben worden. Jetzt müssten die bürgerlichen Frauen im Parlament ihre Versprechungen aus dem Abstimmungskampf wahrmachen und sich für eine BVG-Reform einsetzen, von der auch Frauen mit tiefen Einkommen profitierten.
FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher spricht von einem «starken, gemeinsamen Willen zu einer echten Besserstellung der Frauen in der beruflichen Vorsorge». Über den richtigen Weg dahin herrsche zwar noch Uneinigkeit, aber sie ist überzeugt davon, dass ein zufriedenstellender Kompromiss erzielt werden könne: «Und ich werde mich dafür einsetzen, dass dies auch dank einer überparteilichen Frauenzusammenarbeit gelingen wird».
Den Wirbel um die AHV-Reform und Funiciellos Aussagen - auch wenn diese sie getroffen hätten - dürfe man nicht überbewerten, sagt Vincenz-Stauffacher: «Diese angeblichen Gräben zwischen den Frauen werden derzeit bewusst bewirtschaftet» Das Thema werde bald wieder in den Hintergrund treten. SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz pflichtet ihr bei: «Ich bin nicht nachtragend». Und Grünen-Fraktionschefin Aline Trede sagt: «Wir müssen jetzt vorwärts schauen. Es ist wichtig, die Zusammenarbeit unter den Frauen zu stärken.»
Diese bleibt wichtig - auch wenn das Parlament seit den letzten Wahlen 2019 so weiblich ist wie nie zuvor. Der Frauenanteil stieg im Nationalrat von 32 auf 42 Prozent, im Ständerat von 15 auf 26 Prozent. Allerdings sind wichtige Posten nach wie vor mehrheitlich in Männerhand: Von den sechs grössten Parteien werden derzeit fünf von Männern präsidiert, einzig die SP hat mit Mattea Meyer eine Co-Präsidentin. Ähnlich sieht es bei den Fraktionspräsidien aus: Vier von sechs dieser Posten sind in Männerhand.
Unter der Bundeshauskuppel sagen manche, als Frau stosse man parteiintern auch im weiblichsten Parlament der Schweizer Geschichte immer noch an Grenzen. Sage eine Frau etwas, werde das anders wahrgenommen als bei einem Mann. Die Zusammenarbeit unter Frauen sei auch wichtig, um die Politikerinnen in den bürgerlichen Parteien, wo die Männer die klare Mehrheit stellen, zu stärken.
Bei allen Differenzen angesichts des Parteibuchs: Die Zusammenarbeit unter den Frauen sei weiterhin gut, sagen verschiedene Politikerinnen, so etwa Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (BL). Für SP-Nationalrätin Tamara Funiciello ist dies vor allem bei solchen Themen der Fall, «bei denen es um Realitäten geht, die wir Frauen unabhängig von unserer Parteizugehörigkeit gemeinsam erleben.» Gewalt gegen Frauen sei ein solches Thema. «Deshalb klappt hier die überparteiliche Zusammenarbeit so gut». Beim Thema Gewalt gelinge es sogar ihr, sagt die pointiert links politisierende Funiciello, Mehrheiten im Parlament zu schaffen.
Dass die Frauenallianzen auch nach der AHV-Abstimmung nicht am Ende sind, zeigte sich in der letzten Sessionswoche. Am Mittwoch reichten Nationalrätinnen von Grünen, SP, GLP, Mitte und FDP gemeinsam einen Antrag ein, der vom Bundesrat mehr Einsatz für die demonstrierenden Frauen im Iran verlangt.
Und am Donnerstag beauftragte der Nationalrat den Bundesrat mit einem Forschungsprogramm zur Gender-Medizin. Damit sollen Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen von Frauen vermieden werden. Den entsprechenden Antrag eingereicht hatten vier Nationalrätinnen der gleichen vier Parteien wie oben. «Es macht einfach Freude, wenn breit abgestützte Zusammenarbeit klappt. Merci!», schrieb GLP-Vizepräsidentin Melanie Mettler auf Twitter.
Es macht einfach Freude, wenn breit abgestützte Zusammenarbeit klappt 💪 Merci! pic.twitter.com/AhnhHmAj3z
— Melanie Mettler (@doppel_m) September 29, 2022
Auch SP-Nationalrätin Tamara Funiciello stellt klar, dass die Frauenallianzen nicht kaputt seien: «Man sollte uns Frauen ein bisschen mehr zutrauen. Die Herren der Schöpfung hier im Bundeshaus schreien sich auch gerne mal gegenseitig an und gehen nachher zusammen ein Bier trinken. Genau so können wir Frauen uns gegenseitig zwischendurch aufs Dach geben und vertragen uns danach wieder - vielleicht bei einem Cüpli statt bei einem Bier.» (aargauerzeitung.ch)
Kann mir eine linke Frau mal erklären wo bei der *AHV* die Frauen benachteiligt werden?
Gleichberechtigung ist kein Wunschprogramm und geht in beide Richtungen.
Dass hier die Linken mal wieder für "alle" Frauen sprechen ist für diese nur ein blanker Hohn.
Frau Funiciello und Co.: hören Sie auf, für "alle" zu sprechen, wenn das einfach nicht stimmt!
Der einzige grund warums ein nein von den linken gab. Es ging immer nur um das verhandlungspfand die benachteiligung von frauen in der ahv ist ein reines märchen das es nie gab, es gab nur vorteile für frauen die heutzutage in der gleichberechtigung keinen platz mehr finden und das ist auch korrekt so.