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Gutjahr zeigt in der Arena: Die SVP will in der Frauenfrage nichts tun

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Möglichst nichts tun: Wie Gutjahr die Frauen-«Arena» dominierte

Die SRF-«Arena» wollte eigentlich über die Wut der Frauen nach der AHV-Abstimmung diskutieren. Der breite Konsens, dass es Massnahmen brauche, wurde von der SVP-Haltung verdrängt.
01.10.2022, 07:0402.10.2022, 14:28
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SRF-Moderator Sandro Brotz und sein Team hatten keinen einfachen Freitag: Sie bereiteten sich die ganze Woche auf eine «Arena»-Sendung zur Empörung vor, die sich nach der knappen Annahme zur AHV-Reform breit machte. Es hätte eine Debatte zu demokratischen Gepflogenheiten, politischen Machtspielchen und Streikdrohungen werden sollen.

Am Freitagmittag, auf die Minute genau um 12:15 Uhr, wurde aber klar, dass möglicherweise ein anderes Thema hermuss. Bundesrat Ueli Maurer gab seinen Rücktritt bekannt. «Wir arbeiten an einer aktuellen Sendung dazu», twitterte Brotz wenige Sekunden nach der Rücktrittbekanntgabe.

Aktuell wurde sie – zumindest in den ersten 15 Minuten. So betonte SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr: «Er hat unheimlich viel erreicht in seiner Zeit.» Jung-FDP-Chef Matthias Müller sang eine Lobeshymne: «Er hat wirklich einen exzellenten Job gemacht.»

SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen verteilte Häme und erinnerte an Maurers Niederlagen bei der Unternehmens-Steuerreform III, der Stempelabgabe und der Verrechnungssteuer. Und GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy meinte zur möglichen Maurer-Nachfolge: «Die SVP hatte ja noch nie eine Bundesrätin. Die Erste, die sie hatten, wurde sofort aus der Partei ausgeschlossen.» An dieser Stelle sei Maurers Haltung zur Geschlechterfrage bei seiner Nachfolge erwähnt: Ihm sei das egal, solange der- oder diejenige nicht das Pronomen «es» verwende.

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Geleugnete Lohnunterschiede

Die Debatte fokussierte sich nach der ersten Viertelstunde auf wichtigere Themen: zur weiblichen Wut nach der angenommenen AHV-Reform. Was damit gemeint ist, versuchte SP-Nationalrätin Tamara Funiciello Anfang Woche an einer Kundgebung zu erklären (und scheiterte dabei). Ihre Parteikollegin Flavia Wasserfallen präsentierte sich in der «Arena» geschickter mit dem Erklärungsansatz: Das Preisschild der AHV-Reform zeige auf, dass sie von Frauen mit tiefen Einkommen bezahlt werden müsse.

Das Argument fusst darauf, dass es nachweisliche Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Wahrnehmen wollte das SVP-Nationalrätin Gutjahr jedoch nicht: Sie bestritt die Existenz der Lohnungleichheit vehement und verwies dabei (inhaltlich irreführend) auf aktuell veröffentlichte Zahlen, die eindeutige und mögliche Hinweise auf Lohndiskriminierungen bei der Bundesverwaltung aufzeigen. Ihr Vorwurf dazu: «Die Linken drücken den Frauen die Opferrolle mit einem Stempel auf die Stirn.»

Der rhetorische Schachzug sass: Wasserfallen sah sich zur Replik genötigt, welche Gutjahr geschickt unterbrach. Sie liess sich auch nicht von Silvana Tortorella, der Pflegefachfrau in den zweiten Rängen, belehren, die von Lohndiskriminierung bei der Stadt Zürich berichtete.

Kontrollen und Sanktionen gegen solche Fälle lehnte Gutjahr ab, ohne eine konkrete Begründung liefern zu wollen. Stattdessen hörte man von ihr: «Wer bezahlt eigentlich den Lohn? Man hat immer das Gefühl, das sei der Arbeitgeber. Aber es ist der Kunde, der den Lohn bezahlt. Ein Beispiel aus der Gastro zum Thema Tieflohnbereich: Sind Sie bereit, für einen Kaffee 10 Fr. zu bezahlen? Dann würde die Mitarbeitende nämlich auch den doppelten Lohn bekommen.» Damit war allen klar, was aus ihrer Sicht eine Lohngleichheit bedeuten würde: höhere Preise für alle – also schlecht.

Fast grosse Einigkeit bei der Pensionskasse

Eine andere Taktik fuhr sie bei der Debatte zur Pensionskasse. Bevor es in diesem «Arena»-Rückblick nur um die geschickten Rhetoriktricks von Gutjahr handelt, seien die Haltungen der anderen Teilnehmenden erwähnt – denn bei ihnen herrschte ein Minimalkonsens: Müller (FDP), Wasserfallen (SP) und Bertschy (GLP) waren sich allesamt einig, dass die Senkung des Umwandlungssatzes vor allem Frauen mit niedrigen Einkommen betreffen. Zusammenfassend dazu die Worte von Bertschy: «Sie haben zu wenig Vorsorgeguthaben angespart, weil sie zu niedrige Löhne ausbezahlt bekommen haben. Sie waren von der Lohnungleichheit betroffen, insbesondere Frauen.»

Bertschy lieferte dazu konkrete Zahlen zu einer möglichen Lösung des Problems, Wasserfallen kritisierte die Geldmacherei-Problematik der Pensionskasse und Müller betonte, dass die schweizerische Altersvorsorge auf drei Pfeilern aufbaue. Sprich: «Jeder ist angehalten, von diesen Säulen Gebrauch zu machen.» Eine Lösung nach dem Giesskannenprinzip mit der AHV allein käme für ihn nicht infrage. Sowas koste Milliarden von Franken, davon profitierten sogar Millionäre.

Und Gutjahr? Zur Frauen-Problematik bei der Pensionskasse gab es von ihr nichts zu hören. Ihr Vorschlag war zusammengefasst: bei Teilzeitbeschäftigten? «Hier müssen wir ansetzen.» Bei älteren Mitarbeitenden in höheren Lohnsegmenten? «Bei den Altersgutschriften einen Weg suchen.» Zu hören gabs dann noch Allgemeinsätze wie: Es gehe nicht nur um die Rentensicherung, man dürfe die Arbeitsplatzsicherheit nicht vergessen.

Brotz quittierte ihre unkonkreten Erläuterungen mit: «Das war der Plan, Diana Gutjahr.»

Nichts tun, nichts sagen, auch beim Schlusswort

Gutjahrs Strategie – viel über Werte, aber wenig über konkrete politischen Massnahmen zu diskutieren – war indes aus theatralischer Sicht nichts Verwerfliches: Sie sagte während der Debatte sogar, dass die Politik in Frauenfragen ihrer Meinung nach nicht handeln müsste und sie sich als Unternehmerin nichts vorschreiben lassen wolle. Sie platzierte diese Sichtweise so, dass nur die hellhörigen Zuschauerinnen und Zuschauer ihre wahre Position durchschauten. Die anderen empörten sich auf Twitter, weil sie Gutjahrs Voten als mögliche konstruktive Diskussionsbeiträge ernst nahmen. Oder stimmten ihr schlicht zu, weil sie die Sichtweise (sprich: nichts tun) teilten.

Die politische Gegenseite schaffte es nicht darzustellen, dass Gutjahr nicht in derselben Liga mitspielte. Anstatt zu betonen, dass es zwischen der FDP, GLP und SP einen feministischen Minimalkonsens gibt (es gibt Probleme in der Gleichstellung, die angepackt werden müssen) und die SVP allein auf weiter Flur steht, betonten sie stattdessen die eigenen Unterschiede. Etwa dann, als es minutenlang über den Nebenschauplatz «Funiciellos Auftritt» ging.

Die Dominanz der SVP-Haltung in der Diskursführung zeigte sich auch am Ende der Debatte, als Brotz zum «Bild der Woche» kam: Er zeigte ein Foto des Oktoberfests in München. Obwohl es perfekt zum Thema passte, kam niemand auf die Idee, die Arbeitsrealität der Kellnerinnen anzuprangern. Öffentlich bekannt sind die sexistischen Belästigungen der Kellnerinnen. Medienberichte deuten aber darauf hin, dass die Angestellten nicht auf einen gesicherten Lohn und damit nicht auf eine regulierte Altersvorsorge zählen können.

Und so überraschte es nicht, dass das SRF bei der eigenen «Arena»-Zusammenfassung die Frage aufwarf, ob Frauen «wirklich diskriminiert» werden oder «nur in der ‹Opferrolle›» seien.

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153 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Zeit_Genosse
01.10.2022 08:11registriert Februar 2014
Wer die ARENA als eine Problemlösungssendung versteht, geht unter. Das ist eine mediale Bühne, bei der man mit rethorischen Methoden viele Punkte holt.

Beobachtet mal, wie sich Exponenten dort verhalten. Sie reden und argumentieren wie in politischen Kommissionen. Dabei sind sie im TV in einer ARENA, wo der Name schon sagt, gekämpft wird. Laut, schweisstreibend, den Gegner angreifend. Wer das nicht machen möchte, weil ihn/ihr das nicht liegt verliert mehr als er/sie gewinnen kann. Das Konzept der Sendung fördert lärmige und populistische Statements, die man vorher auswendig lernen kann.
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N. Y. P.
01.10.2022 07:41registriert August 2018
Und Gutjahr, SVP? Zur Frauen-Problematik bei der Pensionskasse gab es von ihr nichts zu hören. Auch sonst viel über Werte, aber wenig über konkrete politischen Massnahmen.

Ich frage mich ernsthaft, was das eigentlich bringen soll, Adlaten und Adlatinnen von der SVP einzuladen.
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hüttechäs
01.10.2022 11:21registriert Januar 2015
„… und verwies dabei (inhaltlich irreführend) auf aktuell veröffentlichte Zahlen, die eindeutige u. mögliche Hinweise auf Lohndiskriminierungen bei der Bundesverwaltung aufzeigen.“

Diesem Satz ist eine Medienmitteilung angehängt, deren zweiter Satz ist: „Die Analyse, die durch eine unabhängige Stelle überprüft wurde, hat ergeben, dass die Lohngleichheit in der Bundesverwaltung gewährleistet ist.“

Ist das jetzt ein inhaltlicher Fehler oder Trötzeln und Augenverschliessen vor der Wahrheit, @watson?

Die Wahrheit ist nämlich, dass es zwar Unterschiede gibt, aber keine diskriminierenden.
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