Erstmals seit 27 Jahren ist in der Schweiz eine Reform der Altersvorsorge gelungen. Die Reaktionen der beiden Lager am Sonntag aber sprachen Bände. Während die Freude bei den Befürwortern gedämpft war, herrschte bei der Gegnerschaft dicke Luft. Kein Wunder: Die AHV 21 wurde den Frauen von den Männern regelrecht aufgezwungen.
Rund zwei Drittel der Männer sagten gemäss der Tamedia-Nachbefragung Ja, ein ähnlich grosser Anteil der Frauen aber lehnte die Vorlage ab. Vom grössten Geschlechtergraben «aller Zeiten» bei einer Volksabstimmung war die Rede. Es ist mehr als ein Schönheitsfehler. Eine deutliche Mehrheit der Frauen ist nicht bereit, einfach so ein Jahr länger zu arbeiten.
Das ist nachvollziehbar: Die Frauen stossen im Berufsleben nach wie vor auf zahlreiche Hürden. Gleichzeitig erledigen sie den grössten Teil der Arbeit im Haushalt. Man kann es ihnen nicht verdenken, dass sie mit 64 pensioniert werden wollen. Dabei ist gerade die AHV ein Bereich, in dem Frauen bevorteilt werden (sie beziehen mehr Geld, als sie einzahlen).
Für die Bürgerlichen ist dies ebenso ein Warnsignal wie das knappe Endergebnis. Ihr Erfolg gegen die vereinte Linke ist kein Freipass für weitere «einseitige» Reformen. Der Handlungsbedarf aber bleibt. Nach der Reform ist bei der Altersvorsorge vor der Reform. Mehrere Vorlagen aus verschiedenen politischen Lagern sind in der Pipeline.
Das Problem bei der AHV ist relativ simpel: Sie braucht vor allem genügend Geld. Anders sieht es bei der zweiten Säule aus, der beruflichen Vorsorge. Sie hat strukturelle Probleme. Es findet eine systemwidrige Umverteilung von Beitragszahlenden zu Rentenbezügern statt, weil der Umwandlungssatz, der die Rentenhöhe berechnet, nicht refinanzierbar ist.
Eine BVG-Reform ist im Parlament hängig. Dabei soll der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt werden, mit einer Kompensation für die tieferen Renten. Der Nationalrat hat sie letztes Jahr verabschiedet, doch selbst bürgerliche Politiker finden, die Kompensation sei zu niedrig ausgefallen, um die Vorlage durch eine allfällige Volksabstimmung zu bringen.
Der Ständerat und seine Sozialkommission tun sich schwer mit der Reform. Sie soll nun in der Wintersession behandelt werden. Ein weiterer Knackpunkt ist die Benachteiligung von Beschäftigten mit tiefen Einkommen und mehreren parallelen Jobs durch den sogenannten Koordinationsabzug. Davon sind vor allem Frauen betroffen.
Dies ist der Hauptgrund, warum die Frauen im Durchschnitt rund ein Drittel weniger Rente haben als die Männer. Die Bürgerlichen sind offen für Verbesserungen. Es gibt jedoch einen Pferdefuss: Geringverdienende müssten höhere Abzüge bei ihren ohnehin tiefen Löhnen in Kauf nehmen, um irgendwann eine halbwegs anständige Pensionskassenrente zu erhalten.
Mehrere Volksinitiativen streben ebenfalls Anpassungen bei der Altersvorsorge an, darunter die im Juli 2021 eingereichte Renteninitiative der Jungfreisinnigen. Sie will das Pensionsalter auf 66 Jahre erhöhen und danach an die Lebenserwartung koppeln. Die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat war offenbar bereit, die Initiative zur Annahme zu empfehlen.
SP-Sozialminister Alain Berset konnte diesen «Angriff» abwehren. Der Bundesrat empfiehlt die Renteninitiative nun ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Ihre Chancen sind nach dem knappen Ja zum Frauenrentenalter 65 ohnehin gering. Weshalb die Initianten und ihre «Mutterpartei» FDP laut Tamedia auf einen Gegenvorschlag des Parlaments hinarbeiten.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat mehrfach versucht, die AHV mit einer Volksinitiative auszubauen, zuletzt mit der 2016 gescheiterten AHVplus-Initiative. Sein neuster «Streich» ist die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente. Die Kosten will er mit den Gewinnen der Nationalbank decken. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab.
Angesichts der eher überschaubaren Erfolgschance einer 13. AHV-Rente hat der SGB zusätzlich die Volksinitiative «Nationalbankgewinne für eine starke AHV (SNB-Initiative)» lanciert. Sie zielt ausserdem auf die Erlöse aus den Negativzinsen. Auf diese «abgesehen» hat es auch ein Volksbegehren von der anderen Seite des politischen Spektrums.
Der Bund der Steuerzahler, präsidiert vom Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer, hat es vor bald einem Jahr angekündigt, bis heute aber nicht offiziell lanciert. Das erstaunt wenig, denn die Negativzinsen sind seit dem letzten Donnerstag Geschichte. Und 2006 scheiterte bereits die KOSA-Initiative, die ebenfalls die Nationalbank-Gewinne in die AHV «umleiten» wollte.
Gesammelt werden derzeit auch Unterschriften für die sogenannte Generationen-Initiative. Ihr «Spiritus rector» ist der Pensionskassenexperte Josef Bachmann. Er will die «Umverteilung» von den Jungen zu den Rentnern stoppen, mit einer Erhöhung des Pensionsalters. Auch Rentenkürzungen werden nicht ausgeschlossen, was einem Tabubruch gleichkäme.
Daneben ist auch der Bundesrat gefordert. Das Parlament verlangt von ihm, bis Ende 2026 die nächste AHV-Reform vorzulegen. Allerdings ohne Rentenalter 67, wie die Gegner der AHV 21 in ihrer irreführenden Kampagne behauptet hatten. Denn eine zu ambitionierte Reform ist zum Scheitern verurteilt, wie die 2017 abgelehnte Altersvorsorge 2020 zeigte.
«Bei diesem sensiblen Thema werden weiterhin nur moderate, ausgewogene Vorlagen eine Chance haben», räumte selbst die NZZ in ihrem Abstimmungskommentar ein. Zwei Ideen stehen im Raum. Für den Rentenbezug soll nicht mehr ein Referenzalter massgebend sein, sondern die Lebensarbeitszeit. Die Umsetzung dürfte jedoch nicht einfach werden.
Im Gespräch ist auch eine Art Schuldenbremse, wie sie der frühere SVP-Präsident Albert Rösti gegenüber Tamedia skizzierte: Falls der AHV-Fonds unter ein bestimmtes Niveau fällt, «könnte automatisch eine leichte Mehrwertsteuererhöhung verbunden mit ein paar Monaten Rentenaltererhöhung erfolgen».
1. Abschaffung des Koordinationsabzug.
2. Kumulierung aller Anstellungsverhältnisse.
3. Sparen der Altersrente bereits mit Vollendung des 17. Altersjahres, wie dies bisher nur für die Versicherung für Tod und Invalidität galt.
4. Über das ganze Erwerbsleben derselbe Prozentsatz für die Beiträge. Dadurch keine Benachteiligung für ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt.
SNB Gewinne für die AHV, dafür werden allfällige SNB Verluste auch durch die AHV-Rente ausgeglichen.
Dann gibts mal 15 Renten, in anderen Jahren nur 6.
Wir haben demokratisch abgestimmt Männer wie Frauen konnten teilnehmen und über alles gesehen gab es eine Mehrheit für die Vorlage. Klar kamen mehr Ja-Stimmen von Männern, aber ohne die Ja-Stimmen von Frauen hätte das auch nicht gereicht.
Das Resultat gilt es jetzt von allen Seiten zu Akzeptieren. Wenn einem die neue Situation nicht gefällt, dann kann man ja versuchen diese politisch zu ändern, aber jetzt zu demonstrieren und von einer “Schande” zu sprechen ist fehl am Platz!