Es kommt nicht oft vor, dass eine vormalige Direktorin des Schweizer Fernsehens ihre Nachfolgerin kritisiert. Ingrid Deltenre tut das nun. Sie äussert ihr Unverständnis über die Absetzung des Gesellschaftsmagazins «Gesichter und Geschichten».
Deltenre war SRF-Direktorin von 2004 bis 2009. Sie betont, dass «G & G» kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen eine Plattform biete, die es in anderen SRF-Sendungen nicht gebe. «Die Sendung leistet einen echten Service public», meint Deltenre.
SRF müsse sparen und wolle sich auf Sendungen in der Primetime konzentrieren. Das sei grundsätzlich nicht falsch, erklärt die ehemalige Fernsehchefin.
Die Produktion der Sendung kostet jährlich 2 Millionen Franken; das Budget von SRF beträgt rund 600 Millionen.
Die Kritik an Nathalie Wappler kann man in einem Buch lesen, das am Montagabend in Zürich vorgestellt worden ist. «Glanz & Gloria» – so der ursprüngliche Name des Vorabendformats – des Journalisten Thomas Renggli war fast fertiggestellt, als Wappler am vergangenen 5. Februar verkündete: «G & G» sei nur noch bis Ende Juni im Programm. Also wurden einzelne Kapitel überarbeitet.
An der Buchvorstellung brachte Rolf Knie die vorherrschende Meinung der Anwesenden so auf den Punkt:
Einerseits verliert die Schweizer Cervelat-Prominenz ihren Grill. Die Redaktoren von «Gesichter und Geschichten» besuchten aber auch die Premieren von Kabarettisten, Konzerte von Sängerinnen, Kunstvernissagen.
Schweizer Kulturschaffende sind entsprechend aufgebracht über das Ende von «G & G.» Sie verweisen darauf, dass ihre Branche 2018 gegen die No-Billag-Vorlage eine wirksame Kampagne aufgezogen habe. Ein vergleichbares Engagement dürfe man nicht erwarten, wenn es darum gehe, im kommenden Jahr die Halbierungsinitiative abzuwehren. Die Enttäuschung über die SRG sei zu gross.
Als SRF-Chefin Wappler entschied, «G & G» abzusetzen, hätte sie das wohl besser mit sofortiger Wirkung getan. Die Mitglieder der Redaktion beschreiben sich als verschworenes Team. Die Journalisten üben sich zwar nicht in offener Rebellion, sie halten mit ihrer Meinung aber nicht hinter dem Berg.
Jennifer Bosshard und Michel Birri haben einen Podcast lanciert, der vom Ende der Sendung handelt. «B & B abgsetzt» stösst auf ein riesiges Interesse – die Talkshow der beiden Moderatoren erreicht Spitzenplätze in den Apple-Charts.
Zehn Folgen sind geplant. Die beiden sprechen von einer «Selbsttherapie». Es geht aber nicht nur um eine Verarbeitung des Schocks, Bosshard hält auch ein Plädoyer für den Fortbestand der SRG.
Wird das Aushängeschild von «G & G» weiter für den öffentlich finanzierten Rundfunk arbeiten? «Ich kann dazu noch nichts sagen», erklärt sie.
Offenbar hat aus dem vierköpfigen Moderationsteam niemand ein gutes Angebot für ein weiteres Engagement vor der Kamera bekommen. Am Leutschenbach können das viele nicht verstehen. Bosshard ist inzwischen eines der bekanntesten SRF-Gesichter; ihr Moderationstalent ist unbestritten.
Ein Teil der Redaktion darf bleiben und soll künftig andere Sendungen mit Gesellschaftsbeiträgen versorgen. Es gibt allerdings Zweifel, ob das funktionieren wird. «SRF will in der Information offenbar keine leichteren Stoffe – obwohl sie ideal zum Medium Fernsehen passen», sagt ein TV-Redaktor.
Das Buch über «Gesichter & Geschichten» war zum Jubiläum des 20-jährigen Bestehens geplant worden. Nun ist es ein Buch über einen Abschied. Paola Felix schreibt im Vorwort: «Mit dem Ziehen des ‹G & G›-Steckers bleibt auch ein Teil unserer kulturellen Vielfalt auf der Strecke.»
In meinen Augen braucht auch nicht jede Hundsverlochete eine Plattform im Staatsfernsehen.
Früher als nötig wurden die FM Frequenzen eingestellt. Beliebte, wenn auch nicht mein Geschmack, Formate werden eingestellt. Die Wissenschaftsredaktion wird gestrichen. Etc...
Man könnte fast meinen, da steckt ein Plan dahinter, um die Leute für die Halbierungsinittiative zu begeistern.