Frontex ist derzeit gefordert. An der EU-Aussengrenze zur Ukraine hilft die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache den betroffenen Ländern bei der Bewältigung der Flüchtlingswelle. Gleichzeitig vermeldete Frontex für das erste Quartal 2022 die höchste Zahl an illegalen Grenzübertritten seit sechs Jahren.
In diesem Zusammenhang gibt es regelmässig Vorwürfe an die Behörde. Sie soll in illegale Pushbacks verwickelt sein oder diese toleriert und vertuscht haben. Dies zeigt unter anderem eine letzte Woche veröffentlichte Recherche mehrerer Medien, darunter «Repulik» und SRF. Darauf hat Frontex-Chef Fabrice Leggeri seinen Rücktritt angeboten.
In zehn Tagen stimmt die Schweiz über eine Erhöhung des jährlichen Beitrags an Frontex von 14 auf 61 Millionen Franken ab. Als assoziiertes Schengen-Mitglied arbeitet die Schweiz seit 2011 mit Frontex zusammen. Sie ist mit dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) auch personell an Einsätzen an der EU-Aussengrenze beteiligt.
Eine Herausforderung ist der Abstimmungskampf für die politischen Pole. Während GLP, FDP und Mitte die Frontex-Vorlage deutlich befürworten, befinden sich SP und Grüne auf der einen sowie die SVP auf der anderen Seite in einer Zwickmühle:
SP und Grüne setzen sich für eine offene Migrationspolitik ein. Ihnen sind die Frontex vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen ein Dorn im Auge. Sie betrachten die Agentur als Wachmannschaft einer «Festung Europa», die sich gegen Migranten abschottet. Beide Parteien haben die Nein-Parole beschlossen.
Gleichzeitig ist SP und Grünen das Europa der offenen Grenzen ein Anliegen, das durch das Schengener Abkommen ermöglicht wird. Bedingung dafür ist ein effizienter Schutz der Aussengrenzen. Bei der Abstimmung über die EU-Waffenrichtlinie vor drei Jahren hatten sich beide Parteien mit der Warnung vor einem Schengen-Rauswurf für ein Ja eingesetzt.
Dieses Szenario drohe bei einem Nein zum Frontex-Beitrag erneut, warnt der Bundesrat. Die Wählerschaft von SP und Grünen scheint daraus ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. In der zweiten SRG-Trendumfrage sagten 54 Prozent der SP-Basis Ja zur Vorlage. Bei den Grünen waren es 50 Prozent. Das passt nicht wirklich zu den Parolen der Parteien.
In der dritten Tamedia-Umfrage sind eine Mehrheit der SP-Sympathisanten und eine relative Mehrheit bei den Grünen für den Frontex-Beitrag. Dieser Elite-Basis-Konflikt ist letztlich ein Ausdruck der zwiespältigen Europapolitik von Linksgrün. So lehnten SP und Grüne das EU-Rahmenabkommen ab, während ihre Basis europafreundlich tickt.
Die Sozialdemokraten üben sich deshalb im «Eiertanz». Während das Referendumskomitee um das Migrant Solidarity Network ziemlich unverblümt die Abschaffung von Frontex fordert, setzt sich die SP für eine «ausgeglichene» Vorlage ein. Als Gegenleistung für den höheren Beitrag solle die Schweiz alle zwei Jahre 4000 anerkannte Flüchtlinge aufnehmen.
Um einen Schweizer Ausschluss aus dem Schengener Abkommen zu verhindern, will die SP eine neue Vorlage im Schnellzugstempo durchs Parlament bringen, vorzugsweise schon in der Sommersession im Juni. Das wäre eine zumindest gewagte Wette.
Bei der Volkspartei ist die Ausgangslage umgekehrt. Sie hatte bereits den Schweizer Beitritt zu Schengen und zum Dubliner Asylabkommen 2005 bekämpft und lehnt europapolitische Vorlagen aus Prinzip ab. Gleichzeitig aber befürwortet sie scharfe Grenzkontrollen. Migranten aus ärmeren Ländern sollen gar nicht erst in die Schweiz einreisen können.
Weil Frontex eine EU-Behörde ist, steckt die SVP im Dilemma. Das zeigt sich auch in den Erhebungen. In der ersten SRG-Trendumfrage waren 50 Prozent der SVP-Basis sicher oder eher für Frontex und 45 Prozent dagegen. In den am Mittwoch veröffentlichen letzten Abstimmungsumfragen gab es jedoch zweimal eine Ja-Mehrheit bei der SVP.
Der Grund ist die Delegiertenversammlung vom 9. April in Chur. Die SVP beschloss mit 204 zu 104 Stimmen überraschend klar die Ja-Parole, nachdem die Zürcher Nationalrätin Barbara Steinemann für ein Ja und der Aargauer Nationalrat Andreas Glarner für ein Nein geworben hatten. Den Ausschlag aber gab wohl, dass der populäre SVP-Bundesrat Ueli Maurer für die Vorlage zuständig ist.
Im Abstimmungskampf engagiert sich die SVP jedoch kaum, denn die Skepsis bleibt. Im besonders zuwanderungskritischen Schwyz beschloss die Kantonalpartei ein Nein. Auch die kantonale SP scherte aus. Sie entschied sich für Stimmfreigabe. Schwyz mag ein «Extremfall» sein, aber er illustriert die Krux der Polparteien mit der Frontex-Vorlage.
Die von den Gegnern erhoffte «unheilige Allianz» wird es kaum geben. Ohnehin folgt die Wählerschaft einer Partei längst nicht immer der offiziellen Vorgabe. Und gemäss den letzten Umfragen dürfte die Frontex-Vorlage klar angenommen werden.