Drei Sitze im Kanton St.Gallen, zwei im Thurgau, einen in Schaffhausen, sechs im Aargau und zwei im Jura: Die Grünliberalen räumten in den kantonalen Wahlen in diesem Jahr ab. Sie reihen Sieg an Sieg – und doch hängt der Haussegen schief.
Das hat mit einer persönlichen Botschaft zu tun, welche die 160 Delegierten nach der Versammlung vom Samstag erhielten. «Ich verstehe meine Partei immer weniger… tut weh als Gründer», schrieb Nationalrat Martin Bäumle. Er bestätigt die Nachricht.
Sie sei aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, betont er. Sein Ärger hängt mit zwei Entscheiden der Delegierten zusammen: Erstens beschlossen sie die Ja-Parole zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Und zweitens die Nein-Parole zur elektrischen Identitätskarte, der E-ID.
Für Bäumle geht die KVI «viel zu weit», wie er sagt. «Sie schafft unnötige neue Risiken für die Wirtschaft. Das ist gerade in der heutigen Zeit ein Problem.» Dass er schon länger seine Mühe hat mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik der GLP, ist ein offenes Geheimnis. Sie ist ihm zu links geworden.
Bei der E-ID ortet Bäumle ein neues Konfliktfeld innerhalb der Partei: den Datenschutz. «In den letzten ein bis zwei Jahren hat sich die Datenschutz-Politik der GLP deutlich verändert», sagt er. «Die Gewichtung des Datenschutzes ist mir zu hoch, so könnte der notwendige Digitalisierungsschub unnötig gebremst werden.»
Der Konflikt zeigt sich auch bei der Covid-App. Bäumle wollte Interoperabilität mit Daten wie Luftfeuchtigkeit, CO2 und freiwilligen Bewegungsdaten. Dagegen wehrte sich die Partei. «Einen Digitalisierungsschub braucht es aber auch beim Gesundheitswesen und bei der Energiewende», sagt er. «Sonst können wir etwa automatisch gesteuerte Fahrzeuge vergessen.»
Dass Bäumle seine eigene Partei «immer weniger versteht», ist nicht ohne. Über ein Jahrzehnt lang war er der Mister GLP. 2004 hatte er die Partei im Kanton Zürich gegründet, nach einem Streit mit dem heutigen Grünen-Präsidenten Balthasar Glättli. Von 2007 bis 2017 war er Präsident der nationalen Partei.
Die GLP hat sich seither stark gewandelt. Sie ist im Nationalrat jünger, weiblicher und urbaner geworden. Mit dem
glp Lab gründete die Partei 2016 ein offenes Politlabor und damit einen Thinktank, der ihren eigenen Charakter stark verändern sollte: Die GLP entwickelte sich weg von einer hierarchischen Partei hin zu einer Bewegung, die demokratisch-partizipatorisch funktioniert.Das zeigt sich in Sachen Datenschutz exemplarisch. Mit den neu gewählten Nationalräten Judith Bellaïche und Jörg Mäder sitzen zwei IT-Experten im 59-köpfigen Vorstand, die in Sachen Datenschutz oft andere Meinungen vertreten als Martin Bäumle. Softwareentwickler Jörg Mäder gesteht das unumwunden ein. «Beim Datenschutz bin ich in gewissen Themen mitverantwortlich, dass Bäumle unzufrieden ist», sagt er.
Etwa bei der Covid-App und bei der E-ID. «Bei der App war mir Datenschutz sehr wichtig», sagt Mäder. «Und bei der E-ID gehört es zur Kernaufgabe des Staates, seine Bürger elektronisch identifizieren zu können.»
Die Verwaltung sei «nicht weit genug mit dem digitalen Denken», betont Mäder. Sie müsse lernen, mit grossen Datenmengen umzugehen, zum Beispiel beim Contact-Tracing. Er habe aber beim Datenschutz durchaus Anknüpfungspunkte mit Bäumle: «Wir sehen es beide nicht gerne, wenn der Staat übertrieben viele Daten sammeln will.»
Jörg Mäder lobt Bäumle: «Er ist ein wichtiger Quer- und Vordenker», sagt er. Dass er die Partei, die er aufgebaut habe, in andere Hände übergab, «hätten ihm viele nicht zugetraut».
Nationalrätin Corina Gredig, Co-Präsidentin der GLP des Kantons Zürich, sagt: «Eine gewisse Vielfalt ist eine Stärke. Das erträgt eine Partei.» Und Vizepräsidentin Isabelle Chevalley hält fest, persönlich könne sie Bäumle verstehen. «Wir müssen als Partei zeigen, dass wir nicht einfach Grüne sind», betont sie und fügt an:
Und Gründer Bäumle? Freut er sich über die GLP-Erfolge? «Sehr», betont er. «Genau deshalb müssen aber wirtschaftspolitische und finanzpolitische Themen weiter ein Kern der GLP-Politik bleiben.»