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Analyse

Pannen im VBS: Der Swiss Finish bringt Armeeprojekte in Schieflage

Die Drohne Hermes 900 HFE fuer das Aufklaerungsdrohnensystem 15 (ADS 15) wird auf dem Militaerflugplatz in Emmen vorgestellt, am Montag, 9. Dezember 2019. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Eine Hermes 900 der Schweizer Luftwaffe nach der Auslieferung 2019: Vollständig einsatzbereit ist die Drohne bis heute nicht.Bild: KEYSTONE
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Zu viel Swiss Finish schadet der Armee

Die Mängelliste bei Projekten der Armee ist lang. Dazu tragen nicht zuletzt Sonderwünsche der Schweiz bei. In Zukunft soll möglichst nur noch «ab Stange» gekauft werden.
23.01.2025, 18:10
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Als Viola Amherd ihren vom Zeitpunkt her eher unerwarteten Rücktritt ankündigte, tauchte der Vorwurf auf, sie laufe vor den Problemen im Verteidigungsdepartement VBS davon. An solchen mangelt es nicht. Durch den Ukraine-Krieg wurde das VBS von einer «Strafaufgabe» zum Schlüsselressort, doch mit der Zeitenwende tut sich die Schweiz schwer.

Das Parlament will das Armeebudget deutlich aufstocken, doch selbst bürgerliche Politiker vermissen von Amherd eine klare Strategie für die Beschaffung von Kriegsmaterial. Hinzu kommt eine beachtliche Mängelliste bei laufenden Projekten. Es kommt zu Verzögerungen und Mehrkosten. Bei einer neuen Logistik-Software kam es sogar zum Übungsabbruch.

Thomas Suessli, Chef der Armee, links, und Urs Loher, Ruestungschef, sprechen anlaesslich der Armeebotschaft 2024, am Donnerstag, 21. Maerz 2024, auf dem Waffenplatz in Thun. Der Bundesrat hat an sein ...
Armeechef Thomas Süssli und Rüstungschef Urs Loher (r.) schlagen sich mit Beschaffungsproblemen herum.Bild: keystone

Eine Bruchlandung im wahrsten Sinne droht bei einem Prestigeprojekt. 2015 beschloss das Parlament den Kauf von sechs unbemannten Aufklärungsdrohnen vom Typ Hermes 900 des israelischen Herstellers Elbit für knapp 300 Millionen Franken. Das Projekt sollte ursprünglich bis 2019 abgeschlossen werden, doch nun rechnet der Bund mit Ende 2026.

Drohne in Schieflage

Bis 2029 sollen die Drohnen voll funktionsfähig sein. Für die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) aber befindet sich das Projekt in Schieflage. Sie sei «das Ergebnis einer Kombination aus zu ambitionierten Zielen, mangelhafter Planung und Steuerung, unzureichendem Risiko- und Qualitätsmanagement sowie unterschätzter Komplexität», heisst es in einem am Mittwoch publizierten Bericht.

Das ist starker Tobak und bewog das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) und seinen Chef Urs Loher dazu, am Mittwoch im Vorfeld der Publikation ein Mediengespräch mit Fachleuten durchzuführen, getreu dem Motto «Angriff ist die beste Verteidigung». Tatsächlich wies Loher die Kritik zurück: «In wesentlichen Teilen stimmen wir der Finanzkontrolle nicht zu.»

Differenzen mit dem Hersteller

Budget und Zeitplan seien unverändert, und eine Zertifizierung bis 2029 sei «möglich», so der Rüstungschef. Ein Beschaffungsstopp komme ohnehin nicht infrage, denn fünf Drohnen sind ausgeliefert, die sechste folgt im Verlauf dieses Jahres. Dennoch musste Loher Probleme einräumen. So wurde in Indien eine Hermes-Drohne kürzlich bei einem Testflug beschädigt.

Die Situation sei «herausfordernd bis schwierig, sie entspricht nicht meinen Erwartungen», sagte Loher. Ein Grund sei der Krieg in Nahost, der den Hersteller absorbiert. Gleichzeitig räumte er ein, dass der Haussegen mit Elbit schief hängt: «Die Meinungen gehen auseinander.» Dafür verantwortlich sind nicht zuletzt Sonderwünsche der Schweiz.

Schwieriger Alleingang

Sie umfassen unter anderem einen Dieselmotor und eine Enteisungsanlage. Faktisch wurde aus einem Beschaffungs- ein Entwicklungsprojekt, moniert die EFK in ihrem Bericht. Die Aufklärungsdrohnen mussten praktisch neu konzipiert werden. Vor allem die Enteisungsanlage bereite «relativ viele Schwierigkeiten», hiess es am Mediengespräch.

Das grösste Problem aber ist das «Detect and Avoid»-System (DAA). Damit soll die Drohne im zivilen Luftraum selbstständig Objekte erkennen, die nicht aktiv Signale aussenden. Das betrifft etwa Gleitschirme oder Deltasegler. Ein solches System gilt auch im internationalen Kontext als sehr ambitioniert, doch die Schweiz glaubt, es ganz allein entwickeln zu können.

Erinnerung an Mirage-Affäre

Ein Durchbruch ist nicht in Sicht, weshalb die gelieferten Drohnen auf Testflügen im unkontrollierten Luftraum und am Tag einen «Geleitschutz» durch Flugzeuge oder Helikopter benötigen. Bei Armasuisse bleibt man zuversichtlich, dass das DAA bis 2029 einsatzbereit ist, doch letztlich zeigt sich darin ein bekanntes Problem: der Swiss Finish.

Eine Mirage 3 S im Landeanflug, undatierte Aufnahme. Das Departement fuer Verteidigung, Bevoelkerungsschutz und Sport (VBS) teilte am Donnerstag, 8. Maerz 2001 mit, dass sie bis heute sechs Maschinen  ...
Schon bei der Mirage-Beschaffung explodierten vor 60 Jahren die Kosten.Bild: KEYSTONE

Die Schweiz tendiert dazu, Beschaffungen – nicht nur im militärischen Bereich – mit Sonderwünschen zu «helvetisieren». Nicht selten führt dies zu Verzögerungen und Mehrkosten. Das zeigte schon die Mirage-Affäre in den 1960er-Jahren: «Extrawürste» der Schweiz führten beim Kauf des französischen Kampfflugzeugs zu massiven Mehrkosten.

«Aufhören mit der Helvetisierung»

Jetzt endlich scheint ein Umdenken stattzufinden. «Wir müssen aufhören mit der Helvetisierung und ab Stange kaufen», proklamierte Urs Loher vor den Medien. Das gelte für alle Beschaffungen, bestätigte der Rüstungschef auf eine Frage von watson. Als Beispiel nannte er die «European Sky Shield»-Initiative, der die Schweiz letztes Jahr beigetreten ist.

Die Schweiz soll vom europaweit gemeinsamen Einkauf von Luftabwehrsystemen profitieren. Die SVP ortete einen Verstoss gegen die Neutralität, doch letztlich ist es ein Entscheid der Vernunft. Mit den Kriegen in der Ukraine und in Nahost ist die Nachfrage nach Rüstungsgütern «explodiert». Für Sonderwünsche gibt es immer weniger Spielraum.

Sonderfall IT

Alle Probleme lassen sich damit nicht beseitigen. Das zeigen Verzögerungen bei IT-Projekten, etwa bei der Ablösung des veralteten Luftüberwachungssystems Florako. Es muss länger als geplant betrieben werden, weil das neue System Skyview auf sich warten lässt. Gleichzeitig gehen dem VBS die Spezialisten aus, die Florako bedienen können.

Die IT-Pannen sind kein Ruhmesblatt für Armeechef Thomas Süssli. Verteidigungsministerin Amherd hatte den Wirtschaftsinformatiker als «Quereinsteiger» rekrutiert, um die Schweizer Armee in diesem Bereich auf Vordermann zu bringen. Das aber ist leichter gesagt als getan, denn gerade bei der IT geht es nicht immer ohne einen Schweizer «Extrazug».

Armeedaten auf Amazon?

Das zeigt sich beim Grossprojekt Neue Digitalisierungsplattform der Armee (NDP). Sie soll einen standardisierten und bedarfsgerechten Datenaustausch innerhalb der Teilstreitkräfte und des Sicherheitsverbunds Schweiz (SVS) ermöglichen. Auch bei diesem Projekt gibt es Verzögerungen. So ist eines von drei geplanten Rechenzentren bisher nicht einsatzbereit.

Lösungen «ab Stange» aber sind gerade im digitalen Bereich ein Unterfangen nicht ohne Nebenwirkungen, wie Projektleiter Luca Antoniolli vor den Medien erklärte: «Wollen wir unsere Daten im Ausland aufbewahren, bei Amazon oder Microsoft?» Nicht nur aus diesem Grund sei die Armee überzeugt, dass die NDP für die Schweiz eine Notwendigkeit sei.

Tabuthema Milizarmee

In den meisten Bereichen aber macht der Verzicht auf den Swiss Finish Sinn. Wobei auch eine andere sehr schweizerische Eigenart aufgegeben werden muss: der Hang zum Perfektionismus. «Wir warten, bis alles perfekt funktioniert», meinte Urs Loher. In Israel könne man sich das nicht leisten. Dort müsse man nehmen, was man bekommen könne.

ZUR ARMEEBOTSCHAFT 2018, STELLEN WIR IHNEN HEUTE, 20. MAERZ 2018, FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - Infantry recruits at foot drill on a green field, pictured on May 17, 2013, in the infantry re ...
Ist die Schweizer Milizarmee der Komplexität heutiger Systeme gewachsen?Bild: KEYSTONE

Der eigentliche Knackpunkt aber ist eine Frage, die am Mediengespräch vom Mittwoch nur am Rande angetönt wurde: Ist die Schweizer Milizarmee überhaupt in der Lage, die zunehmend komplexen Systeme bedienen zu können, und das nicht nur im IT-Bereich? Es ist fast schon ein Tabu, geht es dabei doch um ein Grundprinzip unseres Landes.

Für die aktuellen Probleme kann man Viola Amherd nur bedingt verantwortlich machen. Die Beschaffung der israelischen Drohnen wurde unter ihrem Vorvorgänger Ueli Maurer beschlossen. Die von den Bürgerlichen forcierte Aufrüstung der Armee aber ist in mancher Hinsicht eine Herausforderung, mit der ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin umgehen muss.

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bild: watson/keystone
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149 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Katerchen
23.01.2025 20:26registriert März 2023
Man kauft eine Drohne die 2019 Einsatzbereit sein sollte aber nun ist sie es erst 2029?
Ist die Drohne 10 Jahre später nicht schon veraltet?
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Foxtrott
23.01.2025 19:57registriert Oktober 2019
Wir hätten eine sehr gute Industrie welche eine Drohne für den heimischen Markt herstellen könnte. Leider verhindert unser veraltetes und ewig gestrige Kriegsmaterialgesetz deren Ausfuhr was aber für eine kostengünstige Produktion unumgänglcih wäre um Stückzahlen zu erreichen. Es läge auch in den Händen des Stimmvolkes hier Nägel mit Köpfen zu machen. Aber so kaufen wir halt leider (zu) teuer im Ausland ein. Im Ernstfall werden wir aber keine Schraube mehr importieren können um u s zu verteidigen
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000614.06c54067@apple
23.01.2025 20:52registriert März 2024
Gebt der Armee noch mehr Geld. Und es werden noch mehr Projekte scheitern.
… denn sie wissen nicht was sie tun ( oder tun sollten)
😑🙈🙊🙉
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149
    Deutlich weniger Asylgesuche im letzten Jahr

    Mehr als 8,2 Prozent weniger Asylgesuche hat das Staatssekretariat für Migration 2024 im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet. Insgesamt gingen fast 28'000 Gesuche ein. Mehr als 11'000 der Gesuche, also 41 Prozent, wurden laut der Nichtregierungsorganisation Save the Children indes von Minderjährigen gestellt.

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