Mit der Quagga-Muschel ist es ein wenig wie mit dem Klimawandel: Man weiss um die Gefahr. Man weiss es auch schon länger. Und trotzdem hadert man noch mit der Bekämpfung.
Seit vor über 10 Jahren die erste Quagga-Muschel im Rhein entdeckt wurde – vermutlich eingeführt durch den Menschen, nachweisen kann man dies aber nicht mehr –, breitet sich die invasive Art in vielen Gewässern der Schweiz aus. Betroffen sind mittlerweile etliche Seen und Flüsse wie der Boden- und Untersee, der Rhein, der Neuenburgersee, der Murten- und Bielersee, sowie der Genfersee und der Lac de L'Hongrin.
Die Quagga-Muscheln verbreiten sich in einem horrenden Tempo und können innert kurzer Zeit ein ganzes Ökosystem bedrohen. Die invasive Art geniesst den Vorteil, dass sie sich beinahe bei jeden Bedingungen wohlfühlt, egal wie tief oder kalt das Wasser ist, egal wie hart oder weich der Untergrund. Sie kann sich fast das ganze Jahr durch vermehren (und ist dabei extrem produktiv) und hat zudem fast keine natürlichen Feinde.
Darum ist sich die Fachwelt einig: Einmal in einem See oder Fluss angelangt, ist die Ausbreitung der Quagga-Muschel nicht mehr zu stoppen.
Und diese Ausbreitung könnte viele, teils gravierende Folgen für Natur und Mensch mit sich bringen. So zum Beispiel:
Zusammengefasst: Durch die Quagga-Muschel kann ein ganzes Ökosystem auf den Kopf gestellt werden. Oder wie es Piet Spaak vom Wasserforschungsinstitut Eawag bereits vor zwei Jahren treffend dem SRF gesagt hat:
Spaak ist denn im Gespräch mit watson auch nicht wirklich zuversichtlich für die Zukunft. «Zwar gibt es, Stand jetzt, noch keine konkreten Auswirkungen auf das Ökosystem.» Aber ein Blick in die USA zeige Beunruhigendes.
Der Quagga-Muschel-Experte verweist auf das im letzten November in Zusammenarbeit mit Forschenden aus den USA entstandene SeeWandel-Projekt der Eawag, welches aufzeigt, wie die Zukunft der Schweizer Seen aussehen könnte, falls nichts gegen das Problem und die Ausbreitung unternommen wird.
Um eine Vorhersage machen zu können, schauten sich die Forschenden vergleichbare Seen in den USA an, wo die Quagga-Muschel bereits vor 20 Jahren eingeführt wurde. Anhand eines Dynamik-Vergleichs stellten sie Vermutungen und Prognosen für die Entwicklung der Muschel in hiesigen Gewässern an.
Demnach wird hierzulande ein ähnlicher Ablauf wie in den nordamerikanischen Gewässern erwartet, die Ausbreitungsmuster würden weitgehend übereinstimmen.
In der Schweiz rechnet das Eawag in einzelnen Gewässern mit einem Anstieg der Biomasse pro Quadratmeter um den Faktor 9 bis 20 in den nächsten 22 Jahren, ein Eindringen der Muschel in tiefere Bereiche der Seen sowie eine Veränderung der Nährstoffdynamik, was das Ökosystem durcheinander bringt.
Die Naturschutzorganisation Pro Natura schreibt dazu auf Anfrage: «Das Beispiel der Quagga-Muschel zeigt, was passiert, wenn wir zu wenig in die Vorbeugung investieren. In den bereits betroffenen Seen kann das Problem nun nicht mehr gelöst werden, es geht nur noch um Schadensbegrenzung.»
Aber nicht nur die Natur trägt irreparable Schäden davon, auch für Menschen hat die Quagga-Muschel Konsequenzen. Denn ist sie einmal in einem Gewässer angelangt, kann sie zu Verstopfungen in Rohren bei Wasserentnahmesystemen und Anlagen zur Wärme- und Kältenutzung führen. Die Kosten, um diese wieder zu reinigen, gehen in die Millionen. Beispiele gibt es bereits einige in der Schweiz, siehe Bodensee.
Genau diese Kosten steigen denn auch mit der weiteren Verbreitung der Quagga-Muscheln immer mehr an. Noch könnte man die Folgen (ein wenig) abfedern, indem man die Infrastruktur so gestaltet, dass die Muscheln sich in noch nicht betroffenen Gebieten nicht ausbreiten. Zum Beispiel mit Massnahmen für Bootsbesitzerinnen und -besitzer.
Denn die Ausbreitung findet nur selten auf natürlichem Wege statt, sondern fast immer durch den Menschen.
Wird ein Boot von einem See in einen anderen eingeschifft, besteht die Gefahr, dass sich die am Boot haftenden Quagga-Muscheln in der neuen Ortschaft ebenfalls ausbreiten. Die Larven der Quagga-Muscheln können sich auch im Motor-Kühlwasser sammeln und so in den unterschiedlichen Gewässern ausbreiten.
Diese Gefahr besteht momentan zum Beispiel bei den Zürcher Seen, die gemäss Katharina Weber, Mediensprecherin der Baudirektion des Kantons Zürichs, «mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht» von der invasiven Art befallen sind. Aber statt für Bootsbesitzende eine klare gesetzliche Grundlage zu schaffen, wird im Kanton Zürich auf Eigenverantwortung gesetzt.
Auf der Webseite des Kantons Zürichs hiess es 2022 noch wie folgt: «Das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) erinnert auch in diesem Jahr mit einer Informationskampagne daran, was beim Wechsel von einem Gewässer ins nächste wichtig ist: Kontrollieren, Reinigen, Trocknen.»
Der Kanton ist an der Vorbereitung eines entsprechenden Gesetzes, Weber schreibt dazu: «Da der Zürichsee drei Anrainerkantone hat, braucht es ein abgestimmtes Vorgehen, damit für den ganzen See die gleichen Vorschriften gelten und diese auch umgesetzt werden können.» Zudem würde man die Erfahrungen der Zentralschweizer Kantone einfliessen lassen.
Dort müssen Boote von zertifizierten Waschanlagen gereinigt werden, wenn sie das Gewässer wechseln. Zudem gilt eine Meldepflicht und es drohen Bussen, wird der Nachweis einer professionellen Reinigung bei Wanderschiffen nicht erbracht. In einzelnen Kantonen gibt es zudem Verbote für Wanderschiffe.
Für Spaak ist aber klar:
Denn die Gefahr ist real, dass die Quagga-Muschel in wenigen Jahren in weiteren Gewässern der Schweiz angekommen sein wird, vielleicht bald in allen. Das sieht auch Pro Natura so: «Jetzt ist es wichtig, die noch nicht besiedelten Seen zu schützen.»
Wichtig nicht nur für den Menschen, sondern in erster Linie für die Natur.
Der Kantönligeist steht wie immer beim Lösen von Problemen im Weg.