Im und ums Bundeshaus herum findet zurzeit eine regelrechte Schlammschlacht statt. Laut «NZZ am Sonntag» ist die Affäre derart pikant, dass sie mit der preisgekrönten Serie «House of Cards» verglichen werden kann. Darin spielt Kevin Spacey einen US-Politiker, der sich mit allen Mitteln an der Macht halten will. Selbes soll sich nun auch im Bundeshaus abspielen, wobei niemand weniger als Bundesrat Alain Berset, sein langjähriger Sprecher und andere Bundesangestellte in die Affäre verwickelt sein sollen. Auf den Nebenschauplätzen gebe es Journalistinnen, die Crypto AG und eine grosse Portion Missgunst.
Du verstehst bislang nur Bahnhof? Das ist nicht so schlimm. Wir zeigen dir auf, was du wissen musst, um mitreden zu können.
Um das Ausmass der Affäre verstehen zu können, müssen wir in der Geschichte zwei Jahre zurückreisen. Im Februar 2020 veröffentlichte SRF die Recherche zur Crypto AG: Diese Firma soll es Geheimdiensten weltweit erleichtert haben, verschlüsselte Funksprüche abzuhören. Die Politik entschied sich, diesen Fall aufzubereiten: Eine kleine Gruppe von Nationalrätinnen und Ständeräten recherchierte monatelang in vertraulichen Akten, um allfällige Vergehen und Fehlentscheide der Schweizer Politik zu finden.
Diese kleine Gruppe war die sogenannte Geschäftsprüfungsdelegation (kurz GPDel): Sie ist gewissermassen die «Spürnasen-Sondereinheit» des Parlaments und darf im Auftrag der normalen «Spürnasen» in den beiden Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) von National- und Ständerat beim Bundesrat, Nachrichtendienst und in der Bundesverwaltung herumschnüffeln. So übt das Parlament die Kontrollarbeit über die Exekutive aus, ohne dass Staatsgeheimnisse zu breit gestreut werden.
Diese Spürnasen-Sondereinheit (GPDel) wollte ihre Ergebnisse am 10. November 2020 den normalen Spürnasen (GPK) präsentieren. Einen Tag zuvor waren aber einige Details dieses Berichts im «Tages-Anzeiger» zu lesen.
Vermutlich ziemlich wenig – die genauen Details und Fakten sind aber noch nicht bekannt.
Was man hingegen weiss: Zehn Tage nach dem «Tages-Anzeiger»-Artikel redete niemand mehr über die Crypto AG und den Bundesrat, sondern über das Privatleben des Gesundheitsministers Alain Berset. Der ehemalige SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli veröffentlichte in der «Weltwoche» intime Details über Bersets Liebesleben.
Zwischen beiden Berichten soll es ein Bindeglied geben: Peter Lauener. Sein Name ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, er war aber jahrelang der Kommunikationschef von Bundesrat Alain Berset. Lauener wird nachgesagt, er sei ein Mastermind der politischen Kommunikation: Er wisse, wann er welcher Journalistin oder welchem Journalisten was geben muss, um Berset in ein gutes Licht zu rücken oder dessen Position beliebt zu machen.
Die «NZZ am Sonntag» vermutet, dass Lauener angeblich von Mörgelis Schmutz-Story vorab gewusst haben soll. Bersets Sprecher soll sogar eine Vermutung gehabt haben, wer hinter dieser Indiskretion stecken soll: Markus Seiler, der Generalsekretär von Aussenminister Ignazio Cassis (EDA). Seiler war bis 2018 der Chef des Nachrichtendienstes und im «Spürnasen»-Bericht schlecht weggekommen.
Konkret würde die Vermutung der «NZZ am Sonntag» bedeuten: Lauener soll den Medien vorab unvorteilhafte Informationen gegen Seiler gesteckt haben, als Rache für eine erwartbare Story über Bersets Liebesleben. Stand heute ist das bloss eine Spekulation. Medien, die darüber berichteten, betonen daher auch für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung: Lauener, Seiler, Berset und wer auch immer haben nichts verbrochen, solange kein Gericht es für bewiesen erachtet.
Das hängt mit dem Untersuchungsbericht der «Spürnasen-Sondereinheit» (GPDel) zusammen: Dieser war Anfang November 2020 noch als «geheim» klassifiziert und nur einigen wenigen Personen zugänglich gemacht worden. Indem Details aus dem Bericht an die Medien durchsickerten, wurde das Amtsgeheimnis verletzt.
Die normalen «Spürnasen» des Parlaments (GPK) erstatteten daraufhin eine Strafanzeige, worauf ein ausserordentlicher Staatsanwalt einberufen wurde: Peter Marti, angeblich ein «harter Hund», was Ermittlungsarbeit betrifft, und ehemaliger SVP-Kantonsrat, musste herausfinden, wer was wem und wann ausgeplaudert hat. Marti untersuchte daraufhin, wer alles den Bericht sehen konnte und kam zum Schluss, dass die Namensliste nicht so lange ist.
Verdächtigt werden könnten alle Mitglieder der GPK und der GPDel, die Bundesanwaltschaft, aber auch der Nachrichtendienst und die Bundesratsmitglieder. Marti verdächtigt laut Tamedia drei Personen, laut CH Media sollen die Departemente von Cassis (EDA) und Berset (EDI) beteiligt sein, wo es auch zu Hausdurchsuchungen gekommen sein soll. Mörgeli streute in der «Weltwoche» die Behauptung, dass Lauener einer der Verdächtigen sein soll.
Nichts, was nicht gross überrascht: Peter Lauener kündigte vor zweieinhalb Wochen überraschend seine Kündigung an. Anfragen per Mail werden automatisch beantwortet, wonach er «krankheitsbedingt» nicht antworte.
Für Lauener ist das ungewöhnlich: Wie zuvor erwähnt, galt er als Mastermind der politischen PR. Bundeshaus-Journalisten wurde empfohlen, mit Lauener ein gutes Verhältnis zu pflegen. Während der Pandemie entschied er, wer wann ein Interview mit Berset erhielt. Aus der Sicht des Gesundheitsministers war er ein Geschenk, weil so unliebsame Medienschaffende abgeblockt werden konnten. Doch auch Journalistinnen und Journalisten schätzten ihn als gesprächigen und leicht erreichbaren Sprecher, der auch mal «off the record» – also im Vertrauen – Informationen darüber streute, in welche Richtung die Coronapolitik des Bundesrates gehen könnte.
Diese Frage kann mit einem Nein beantwortet werden. Es gibt zwar Informationen und Dokumente, die ein Staat geheim halten will: Gewisse Fragen benötigen vertiefte Recherchen und Analysen, bevor politische Entscheidungen getroffen werden können. So war es auch nötig, dass die «Spürnasen-Sondereinheit» ungestört ihrer Arbeit nachgehen kann, sonst hätte das gedroht, was auch bei Strafermittlungen immer wieder zu einem Problem werden kann: dass Beweise verschwinden, weil die Falschen zu früh erfahren, dass gegen sie ermittelt oder untersucht wird.
Plauderis werden daher vom Strafrecht wegen Amtsgeheimnisverletzungen sanktioniert. Im politischen Alltag kommt aber dieser Strafartikel selten zur Anwendung, weil Journalistinnen und Journalisten ihre Quellen schützen dürfen. So wird es möglich, dass Whistleblower geheime Informationen über Missstände an die Öffentlichkeit bringen, was zentral in einer funktionierenden Demokratie ist. Staatsanwaltschaften verzichteten daher bislang auf solche Ermittlungen: Sie sollen nur dann erfolgen, wenn sie besonders gravierend sind und es genügend Beweise gibt.
Oder anders gesagt: Ermittlungen wegen möglicher Amtsgeheimnisverletzung sollen verhältnismässig erfolgen. Sämtliche Staatsgeheimnisse werden ohnehin früher oder später bekannt. Erst jüngst entschied ein Zürcher Gericht, dass besonders relevante Informationen auch mal früher via Amtsgeheimnisverletzung bekannt gemacht werden dürfen, wenn es die Öffentlichkeit etwa vor einer Volksabstimmung interessieren muss.
Der ausserordentliche Staatsanwalt Peter Marti entschied sich trotzdem, in diesem Fall eine Reihe von Journalistinnen und Journalisten vorzuladen, wie es aus dem Hause Tamedia heisst: Sie hätten zwar allesamt von ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch gemacht, womit die Vorladungen mehr symbolisch als relevant sind. Fraglich ist aber, welche längerfristige Wirkung die Ermittlungen haben werden: Der eine oder andere Bundesratssprecher dürfte sich künftig doppelt und dreifach überlegen, was zu früh ausgeplaudert werden darf.
Man könnte fast meinen, die bürgerliche Politik sei sehr froh gewesen, dass die Weltwoche plötzlich schmutzige Wäsche vom BR Berset ausgrub und so die Öffentlichkeit ablenkte.
Die Crypto-Affäre ist aber im Vergleich zur Berset-Geschichte die echt brisante Story, denn da geht es um weltweiten Betrug im Namen und vermutlich auch mit Wissen der offiziellen Schweiz, an dem westliche Geheimdienste massiv profitierten.