Er ist das beliebteste Mitglied des Bundesrats: Der Freiburger Sozialdemokrat Alain Berset hat Charme und Charisma. Er kann reden und beherrscht den grossen Auftritt. Im Dezember 2011 wurde er als Nachfolger von Micheline Calmy-Rey in den Bundesrat gewählt. Nur Ueli Maurer und Parteikollegin Simonetta Sommaruga sind noch länger im Amt.
Zehn Jahre sind eine lange Zeit, vor allem in einem «Mega-Departement» wie dem Inneren. Während zwei Jahren musste er zudem die grösste Gesundheitskrise seit 100 Jahren bewältigen. Dies hat Spuren hinterlassen. Ein Rücktritt Bersets womöglich noch in diesem Jahr ist Spekulation. Aber es gibt mehrere Gründe, die dafür sprechen:
Im März 2020 versetzte das Virus SARS-CoV-2 die Welt in den Stillstand und die Politik in den Ausnahmezustand. Als Gesundheitsminister war Alain Berset das «Gesicht» der Krise. Sie hat ihm zugesetzt. Nach der Aufhebung der letzten Massnahmen räumte Berset laut «NZZ» mehrfach ein, dass er diesen Rhythmus nicht mehr lange hätte durchhalten können.
Der Bundesrat wurde von den Gegnern sowie vermehrt von den Befürwortern strikter Massnahmen attackiert. Berset und sein Bundesamt für Gesundheit waren nicht ohne Fehl und Tadel, aber die Mehrheit stand hinter ihnen, wie das zweifache Ja zum Covid-19-Gesetz letztes Jahr zeigte. Insgesamt hat die Schweiz die Krise auch mit Glück recht gut gemeistert.
Die Pandemie aber ist nicht vorbei. Bereits ist eine «Sommerwelle» angerollt, ausgelöst durch einen Subtyp der Omikron-Variante. Und die Bewältigung der Altlasten dürfte noch zu reden geben. Das betrifft etwa mögliche Fehler bei der Beschaffung von Impfstoffen. Berset könnte sie einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin überlassen.
Während seiner Amtszeit hatte Alain Berset eine Affäre mit einer Frau, die hässlich endete. Sie versuchte, den Bundesrat zu erpressen, und wurde per Strafbefehl verurteilt. Allerdings erhoben die «Weltwoche» und andere Medien auch Vorwürfe gegen Berset: Er soll eine Vorzugsbehandlung erhalten und Mitarbeiter zur Bewältigung der Affäre eingesetzt haben.
Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat haben Berset in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht vollumfänglich entlastet. Gleichzeitig gibt es weitere Ungereimtheiten um gelöschte Mails seines früheren Generalsekretärs, wie Tamedia berichtete. Lästig ist die Angelegenheit für den verheirateten Familienvater so oder so.
Die Schwerpunkte des Innendepartements sind die Gesundheits- und die Sozialpolitik. Es handelt sich um Dauerbaustellen. Seit Jahrzehnten ist bei der Altersvorsorge und im Gesundheitswesen keine nennenswerte Reform mehr gelungen. Sämtliche Anläufe scheiterten entweder im Parlament oder spätestens in der Volksabstimmung.
In der Gesundheitspolitik herrscht eine Art Totalblockade. Bei der Altersvorsorge wird am 25. September über die AHV 21 mit dem Frauenrentenalter 65 abgestimmt, wobei Alain Berset die undankbare Aufgabe hat, die von den Bürgerlichen im Parlament geprägte Vorlage gegen seine Partei vertreten zu müssen. Die SP unterstützt das Referendum.
Die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) ist im Parlament hängig. Ein Absturz des komplexen Geschäfts ist alles andere als ausgeschlossen. Immer wieder in die Kritik gerät auch die Invalidenversicherung (IV) mit ihrer verschärften Rentenvergabe. Der Reformstau im Innendepartement hatte schon Bersets Vorgänger Didier Burkhalter zermürbt.
Man vergisst ob Bersets relativ langer Amtszeit beinahe, dass der Freiburger erst 50 Jahre alt und damit das mit Abstand jüngste Mitglied der heutigen Landesregierung ist. Es ist ein ideales Alter, um nochmals einen Neustart zu wagen. Dem telegenen Berset dürften sich einige Möglichkeiten eröffnen, bei Verbänden oder sogar einer internationalen Organisation.
Die SP ist unter Druck. Sie verliert Wähleranteile an die Grünen. Diese schielen auf einen der beiden FDP-Sitze im Bundesrat, doch angesichts der Kräfteverhältnisse im Parlament ist es wahrscheinlicher, dass man ihnen ein SP-Mandat zuschanzt. Tritt Alain Berset noch vor den Wahlen 2023 zurück, ist die Chance jedoch intakt, dass die SP zumindest seinen Sitz halten kann.
Letzte Woche wurde publik, dass Bersets Kommunikationschef Peter Lauener seinen Posten per 1. September aufgeben wird. Es ist mehr als eine kommune Personalie, denn Berset und Lauener, das war wie Pech und Schwefel. Wenn der Bundesrat irgendwo auftrat, folgte ihm sein Medienchef wie ein Schatten. Berset vertraute ihm fast bedingungslos.
Der ehemalige Journalist Lauener war ein cleverer Spindoctor und bei den Medienleuten beliebt, wie Elogen von «NZZ» oder «CH Media» zeigen. Seinen Abgang begründete er mit beruflicher Neuorientierung, doch die Frage stellt sich, ob er ein «Vorbote» von Bersets Rücktritt sein könnte. Bislang jedenfalls wurde «nur» ein interimistischer Nachfolger ernannt.
Es gibt verschiedene Arten von Bundesrats-Rücktritten. Sie können mit Ansage erfolgen, aber auch aus heiterem Himmel, wie etwa bei Didier Burkhalter. Im Fall von Alain Berset bleibt erst einmal alles offen. Es ist durchaus vorstellbar, dass der Freiburger weitermachen wird. Aber man sollte nicht überrascht sein, wenn er aufhört – vielleicht schon bald.
Berseit macht wenigstens einen guten Job.
Aber beim einen bräuchte es wohl noch erhebliche chemische Hilfe um ihn von seinem Stuhl zu entfernen.