Einen solchen Volksentscheid hat die Schweiz noch nie erlebt. Erstmals hat das Stimmvolk einen von links geforderten Ausbau des Sozialstaats angenommen. Vorbei sind die Zeiten, in denen es solchen Versuchungen widerstand. Manche Bürgerliche haben noch immer Mühe, das Ja zur 13. AHV-Rente zu verdauen. Das zeigt sich in der laufenden Frühjahrssession.
Teilweise reagieren sie genervt, wenn man sie auf das Ergebnis anspricht. Ein schlechter Verlierer ist der Arbeitgeberverband, der im Abstimmungskampf kaum zu sehen war. Mit dieser «unverantwortlichen und kurzsichtigen Vorlage» hätten die Initiantinnen und Initianten «der Generationengerechtigkeit einen Bärendienst erwiesen», teilte er mit.
Die unter 50-Jährigen hätten sich klar gegen das Vorhaben ausgesprochen, klagt der Verband. Doch so klar ist die Sache nicht. Gemäss der Tamedia-Nachbefragung haben 40 Prozent der unter 35-Jährigen mit Ja gestimmt. Im Segment 35 bis 49 war es fast die Hälfte. Selbst bei einem Fehlerbereich von plus/minus fünf Prozent ist das beachtlich.
Unter den Jüngeren hat eine erhebliche Minderheit eine Vorlage befürwortet, von der sie nicht direkt profitieren. Das relativiert den Generationengraben und die Kritik an den Babyboomern, die in den Kommentarspalten als egoistisch und verantwortungslos angeprangert werden. Das mag teilweise zutreffen, aber die Sache ist komplizierter.
Einem grossen Teil der Pensionierten in der Schweiz geht es gut, auch weil die Vermögen immer später vererbt werden. Aber bis zu 20 Prozent sind je nach Statistik von Altersarmut betroffen. Und viele realisieren erst mit dem sich anbahnenden Ruhestand, dass ihre Rente aus AHV und Pensionskasse deutlich tiefer sein wird als das letzte Einkommen.
Das kann schwierig werden, wenn man wie die Boomer zum Konsumieren «verleitet» wurde. Konsum ist das Schmiermittel unseres Wirtschaftssystems. Muss man sich im Alter einschränken, wächst die Versuchung einer 13. AHV-Rente. Und es erklärt womöglich auch die Zustimmung vieler jüngerer Leute, doch das müsste genauer untersucht werden.
Unsere Drei-Säulen-Altersvorsorge ist eben nicht so gut, wie viele meinen. Sie funktioniert nach dem Grundsatz «Wer hat, dem wird gegeben». Eine hohe AHV-Rente geht meist einher mit einem entsprechenden Bezug aus der Pensionskasse, und oft kommt eine solide dritte Säule hinzu. Wer im Erwerbsleben wenig verdient hat, erhält oft nur die AHV.
Länder wie Dänemark sorgen für einen Ausgleich zwischen der ersten und zweiten Säule, mit dem erwünschten Nebeneffekt, dass es kaum Altersarmut gibt. In der Schweiz ist das System notorisch reformresistent, weshalb manche nun der 2017 abgelehnten Altersvorsorge 2020 nachtrauern. Und jetzt kommt die 13. AHV-Rente hinzu.
Die Initianten müssten Lösungen aufzeigen, wie die Initiative «umgesetzt und finanziert werden soll», fordert der Arbeitgeberverband. Zuständig aber ist der Bundesrat. Er muss möglichst schnell eine Vorlage erarbeiten, denn schon mit Einführung der Zusatzrente ab 2026 rutscht die AHV ins Minus, hat das Bundesamt für Sozialversicherungen berechnet.
Der AHV-Ausgleichsfonds springt in solchen Fällen ein, damit die Renten weiterhin bezahlt werden können (alles andere würde einen Volksaufstand auslösen). Doch anders als nach der Abstimmung teilweise suggeriert, ist der Fonds kein Sparschwein, das man einfach «plündern» kann. Es braucht von Gesetzes wegen zwingend eine Zusatzfinanzierung.
Verschiedene Ideen werden herumgereicht, wobei einige wie Erbschaftssteuer (EVP und Grüne) oder Finanztransaktionssteuer (Mitte) unrealistisch erscheinen. Die SVP möchte bei den Ausgaben für Asylsuchende oder Entwicklungshilfe sparen. Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller, in der Asylpolitik eher ein Hardliner, hält wenig davon.
«Wenn der Bund beim Asylwesen spart, droht eine Verlagerung der Kosten auf die Kantone», sagt der Standesvertreter im Gespräch. Die von den Initianten bevorzugten Lohnabzüge beurteilt Müller ebenfalls kritisch. Wegen des Arbeitskräftemangels werde sich der Faktor Arbeit ohnehin verteuern, worunter die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz leide.
Eine Aufweichung der Schuldenbremse kommt für Damian Müller ebenfalls nicht infrage. Er bevorzugt eine temporäre Erhöhung der Mehrwertsteuer, bis im Rahmen der nächsten Revision die Diskussion über die strukturelle AHV-Sicherung geführt sei. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider wird eine entsprechende, vom Parlament «bestellte» Reform bis Ende 2026 vorlegen.
Die 13. AHV-Rente sei dabei aufgrund des Volksentscheids «sakrosankt», betont Damian Müller. Gleichzeitig wächst das «Heer» der Rentnerinnen und Rentner weiter an. Über das Ausmass der Herausforderung macht sich der FDP-Sozialpolitiker aus Luzern keine Illusion. Der Gesamtbundesrat müsse die AHV-Revision «sehr feinfühlig» angehen.
So brauche es auch Anreize, um länger zu arbeiten. Denn ein höheres Rentenalter ist mit der Abfuhr für die Volksinitiative der Jungfreisinnigen vorerst vom Tisch. Im Gespräch ist dafür eine Lebensarbeitszeit. Wer nach einer Berufslehre durchgehend arbeitet, könnte vielleicht mit 60 die volle Rente beziehen und «Gstudierte» erst mit 70.
Das wirkt einleuchtend, doch Damian Müller ist auch in diesem Punkt skeptisch: «Der Teufel liegt im Detail.» Einfache Lösungen gibt es nicht. Das gilt auch für die zweite Säule. Selbst wer laufend in die Pensionskasse einzahlt, und mit zunehmendem Alter immer mehr, durfte in den letzten Jahren einen Sinkflug der künftigen Rente mitverfolgen.
Das liegt an den «Konstruktionsfehlern» im System. Die Reform der beruflichen Vorsorge, über die im Herbst abgestimmt wird, will sie teilweise beheben. So sollen die Lohnabzüge «geglättet» und auf zwei Stufen reduziert werden. Die Linke bekämpft die BVG-Reform trotzdem mit dem Referendum und dem bewährten Slogan «Rentenklau».
Die Bürgerlichen geben Durchhalteparolen aus, doch hinter vorgehaltener Hand wird die Abstimmung bereits als verloren betrachtet. Ein möglicher Scherbenhaufen bei der beruflichen Vorsorge, dazu eine AHV-Reform mit Konfliktpotenzial und immer mehr Rentnerinnen und Rentner: Die Schweizer Altersvorsorge bleibt eine Grossbaustelle.
Die 13. AHV-Rente ist dabei höchstens ein Zusatzelement, wenn auch ein teures, mit Mehrkosten von rund fünf Milliarden Franken pro Jahr. Sie wird die Ungleichheit im System nur bedingt abfedern. Aber sie könnte dazu beitragen, dass längerfristig der grosse Traum der Linken in Erfüllung geht: Eine Stärkung der AHV auf Kosten der Pensionskassen.
Dass hier mal erwähnt wird, dass die PK-Rente um 13% gesunken ist in den letzten rund 20 Jahren
Dass AHV und PK-Rente zusammen knappe 40% des letzten Lohndurchschnitts ausmacht und dass man mit der 3. Säule auf knapp über 50% kommt
Guter Artikel dazu in der Republik
im Übrigen hat bürgerlich rechts eine Klatsche kassiert und nun werden Schuldige gesucht und von Sozialismus geredet anstatt die eigene Überheblichkeit zu thematisieren
Vielleicht wäre es an der Zeit, dass diese Prozentzahlen einander angeglichen werden, damit die zwei Säulen gleich stark werden?