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SP-Aussenpolitiker Molina über die Schweiz im Nahost-Konflikt

Molina über die Aussenpolitik des Bundesrats: «Ich nenne es institutionalisierte Feigheit»

Fabian Molina, 34, Aussenpolitiker und scharfer Kritiker des Bundesrats, fordert die Einsetzung eines Schweizer Sonderbotschafters für die Kurdenfrage. Denn es drohe ein weiterer Krieg.
26.06.2025, 19:3226.06.2025, 19:32
Henry Habegger / ch media
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Unter Micheline Calmy-Rey betrieb der Bundesrat ausdrücklich eine aktive Aussenpolitik, mischte sich ein. Jetzt ist das nicht mehr so, der Bundesrat schweigt lieber.
Fabian Molina: Jetzt ist es eine passive Aussenpolitik.​

Ist das den Personen geschuldet oder der Weltlage?
Es ist eine Kombination aus ideologischer Verblendung und der Angst, sich zu exponieren. Der heutige Bundesrat schiebt die Gefährdung der Wirtschaft vor. Ich nenne es institutionalisierte Feigheit.

Nationalrat Fabian Molina, SP-ZH, spricht waehrend der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 18. Juni 2025 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina.Bild: keystone

Der Bundesrat begründet die Passivität unter anderem damit, er wolle seine Vermittlerrolle, die Guten Dienste, nicht gefährden.
Diese Rolle ist längst nicht mehr gefragt. Parteien reden heute oft auch direkt miteinander. Die Schweiz ist nur als Briefträger gefragt, wie im Fall USA–Iran.

Welche internationale Rolle kann die Schweiz denn heute noch spielen?
Die Grundlage unserer Aussenpolitik ist die Verteidigung des internationalen Rechts. Aber genau hier versagt die Schweiz zunehmend. Man kann die Verletzung von Völkerrecht nicht einmal verurteilen, wie im Falle Russlands, aber ein anderes Mal schweigen, wie das Aussenminister Cassis bei Israel oder den USA tut. So verliert die Schweiz an Glaubwürdigkeit.

Der Bundesrat hat letzte Woche 269 Millionen für das internationale Genf gesprochen, das unter Trumps Subventionskürzungen leidet.
Es war auch höchste Zeit, hier aktiv zu werden. Wir haben ein fundamentales Interesse daran, Organisationen wie die UNO oder die WTO zu stärken. Das internationale Genf ist quasi der Hauptsitz der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, des Multilateralismus. Diese Verrechtlichung ist heute in Gefahr. Das zeigten die Bomben auf iranische Nuklearanlagen: Die USA setzten sich über das völkerrechtliche Gewaltverbot hinweg.

Sie sind Aussen- und Sicherheitspolitiker. Wie verändert sich das Machtgefüge in den Kriegen in Nahost?
Die grossen Player wie der Iran, aber auch Russland und selbst die USA verlieren gerade an Gewicht. Israel gewinnt hingegen gerade massiv an Bedeutung.

Weshalb?
Weil die Israeli mit diesen jüngsten Kriegen die Verbündeten des Irans wie die Hisbollah, die Hamas, die Huthi und natürlich den Iran selbst schwächen. Und weil sie sich von den USA emanzipieren.

Warum werden die USA geschwächt? Trump warf gerade Bomben auf iranische Nuklearanlagen und wertet das als Zeichen der Stärke.
Die USA verlieren wirtschaftlich an Bedeutung und weil sie sich seit Jahren zurückziehen. Von Israel werden sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Israel ist zunehmend so selbstbewusst, dass es seine Politik sehr eigenständig definiert. Das konnte man schon unter Biden in Gaza sehen. Er konnte warnen und mahnen, Netanyahu machte trotzdem, was er wollte. Und jetzt hat Trump die Bomber nach Iran geschickt, weil Netanyahu das forderte.

Ist das Regime im Iran am Ende?
Das kann derzeit wohl niemand voraussagen. Aber das unmenschliche Mullah-Regime ist zumindest massiv geschwächt und dürfte in der Region vorderhand keine zentrale Rolle mehr spielen.

Die Zehntausenden von Toten, den Terror-Angriff der Hamas, das unvorstellbare Elend in Gaza ausgeblendet: Sind die Umwälzungen längerfristig positiv für die Region?
Es kommt darauf an, für wen. Es werden Gruppen in den Fokus kommen, die zuletzt kaum eine Rolle spielten. Ich denke vor allem an die Kurdinnen und Kurden. Das kurdische Volk, immerhin 40 Millionen Menschen, ist seit dem Vertrag von Lausanne im Jahr 1923 auf vier Staaten verteilt: Türkei, Syrien, Irak und Iran. Hier ist etwas Positives im Gang.

Was meinen Sie?
Mit dem Fall von Assad letztes Jahr wurde Rojava in Nord- und Ostsyrien gestärkt. Rojava ist eine teilautonome kurdische Region, die an die Türkei grenzt und die der Türkei ein massiver Dorn im Auge ist. Es ist ein Hoffnungsprojekt, ein säkular-demokratisches Projekt in der Region. Mit der Schwächung der Mullahs könnte auch im Iran eine selbstbewusste kurdische Autonomie entstehen.

Das Modell Rojava könnte sich auf die ganzen Kurdengebiete ausdehnen?
Ja. Ein kurdischer Korridor vom Iran über den Irak bis nach Syrien entsteht. Dann fehlt nur noch der kurdische Teil in der Türkei. Der türkische Staat ist entsprechend nervös. Jetzt ist er auch noch konfrontiert mit Israel, welches seine Dominanz über die Region ausbaut.

Ist Israel kurdenfreundlich?
Das ist Teil des Problems der Türkei: Israel war im Vergleich zu den arabischen Staaten immer sehr kurdenfreundlich. Darum stösst die Türkei einen Versöhnungsprozess mit den Kurden an, selbst die Ultranationalisten fordern ihn. Die Einheit der Türkei steht auf dem Spiel. Und hier muss die Schweiz aktiv werden, hier kann sie noch eine Rolle spielen.

Welche?
Der Bundesrat muss einen Sonderbotschafter, eine Sonderbotschafterin für die Kurdenfrage ernennen. Denn die Schweiz hat grosse Erfahrungen in der Friedensvermittlung, sie hat grosse Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit, mit Föderalismus.

Was soll der Sonderbotschafter tun?
Es geht darum zu verhindern, dass hier der nächste Krieg ausbricht, weil sich kurdische Gebiete abspalten. Mit der Schwächung der Zentralstaaten Iran und Syrien besteht diesbezüglich ein gewisses Eskalationsrisiko. Die Schweiz kann dazu beitragen, diese Fragen durch Verhandlungen und im Konsens zu lösen.

Im Hinblick auf ein Kurdistan?
Nein, im Hinblick auf die Autonomie der kurdischen Gebiete. Ein unabhängiger Kurdenstaat scheint mir in weiter Ferne.

Und der Palästinenserstaat – ist auch der in weiter Ferne?
Das muss nicht sein. Die Schweiz muss Palästina endlich anerkennen. Das erlaubt es auch, den Konflikt als das zu betrachten und zu lösen, was er ist: nämlich einen zwischenstaatlichen Konflikt.

Und wo soll dieser Palästinenserstaat sein?
Zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer gibt es genug Platz für zwei Staaten. Mit dem Friedensprozess von Oslo von 1993 war man ja schon nah dran. Aber leider übernahmen dann die Extremisten auf beiden Seiten, die immer zum Ziel hatten, dass eines dieser beiden Völker verschwinden muss. Aber das darf nicht passieren.

Für die Palästinenser sieht es aber nicht gut aus. Während alle Welt von Iran und Israel spricht, werden weiterhin täglich um die 100 Menschen in Gaza getötet.
Der israelische Angriff auf den Iran war auch ein Ablenkungsmanöver Netanyahus von seinen Kriegsverbrechen in Gaza. Die mehr als 20‘000 Menschen, die in Bern letzten Samstag auf die Strasse gingen, zeigen, dass die Bevölkerung vom Bundesrat endlich ein aktives Engagement zu Gunsten der Menschen in Gaza erwartet.

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