Die Operation Libero hat in den letzten Jahren einiges erreicht. Sie hat kräftig mitgeholfen, wichtige Abstimmungen insbesondere gegen die SVP zu gewinnen. Auf nationaler Ebene ist ihre Bilanz makellos. Das bleibt nicht ohne Folgen: Die Libero-Aushängeschilder Flavia Kleiner und Laura Zimmermann sind zu veritablen Hassfiguren rechter Wutbürger geworden.
Nun kommt die Organisation auch von links unter Beschuss. Die «Wochenzeitung» hat ihr am Donnerstag «fragwürdige Methoden» im Wahlkampf vorgeworfen. Die Liberos würden die von ihnen unterstützten 41 Kandierenden für den Nationalrat von FDP bis Grünen quasi dazu nötigen, sich zu vorformulierten Positionen zu bekennen. Im Gegenzug erhielten sie Geld für Werbung.
Operation Libero kauft für über eine Million Franken Nationalratskandidaten ein. Der Verein zahlt, wenn man im Gegenzug den EU-Unterwerfungsvertrag unterstützt. Ist das nur gruusig oder schon korrupt? https://t.co/lpRcSNfOTp
— Roger Köppel (@KoeppelRoger) August 29, 2019
«Der Verein versucht, KandidatInnen zu kaufen», lautet das knackige Fazit der WoZ. Was der linken Zeitung zu denken geben müsste: Der Applaus in den sozialen Medien für ihre «Enthüllungen» kommt fast durchweg von rechts bis rechts aussen. Mit Begeisterung kommentierten SVP-Politiker wie Roger Köppel die angeblich korrupten Machenschaften.
Scheinheiligkeit, ick hör dir trapsen, kann man da nur sagen.
Erst vor rund zwei Monaten hat der Nationalrat in der Sommersession das letzte nach der Kasachstan-Affäre vom Frühjahr 2015 eingebrachte Reformversüchlein versenkt, mit dem ein wenig Licht in die Lobbying-Dunkelkammer gebracht werden sollte. Professionelle Lobbyisten, die im Bundeshaus akkreditiert sind, hätten in einem Register ihre Auftraggeber offenlegen sollen.
Der Nationalrat aber weigerte sich, auf die Vorlage auch nur einzutreten. Dagegen stimmten auch SVP-Vertreter wie Roger Köppel und Barbara Steinemann, die sich nun über Operation Libero empören. Das Bizarre, ja Groteske daran: Die Lobbyisten selbst waren für das Register. Sie betrachteten die Reform als Chance, Druck auf die «schwarzen Schafe» in der Branche auszuüben.
So weit, so nachvollziehbar. Eine bürgerliche Mehrheit im Nationalrat aber wollte davon nichts wissen. Das wirklich problematische Lobbying finde ausserhalb des Bundeshauses statt, im Restaurant oder per Telefon, hiess es. Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz, bezeichnete dieses Argument gegenüber den Tamedia-Zeitungen als «einfach nur zynisch».
Noch klarer äusserte sich Reto Wiesli, als Präsident der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (SPAG) so etwas wie der oberste Lobbyist im Land. Viele Politiker würden vom heutigen System profitieren: «Wenn sie uns zu Transparenz zwingen würden, müssten sie selbst ebenfalls transparenter werden. Davor fürchtet man sich im Bundeshaus.»
Das ist der springende Punkt: Die grössten Lobbyisten in Bundesbern schleichen nicht in der Wandelhalle herum. Sie sitzen in National- und Ständerat. Viele Parlamentarier verfügen über lukrative Mandate von Organisationen, deren Interessen sie in der Politik vertreten. So war Ignazio Cassis (FDP) vor seiner Wahl in den Bundesrat Präsident des Krankenkassenverbands Curafutura.
Im Prinzip müssen die Parlamentarier ihre Interessenbindungen deklarieren. Doch dies lässt sich kaum kontrollieren, und sie müssen nicht angeben, wie profitabel die «Nebeneinkünfte» sind. «Nur ein knappes Viertel der Ratsmitglieder legen offen, wie viel sie mit ihren Mandaten verdienen», kritisiert der Verein Lobbywatch. Vor allem die Bürgerlichen sind intransparent.
Der Milizparlamentarier, der einer regulären Arbeit nachgeht und Politik quasi als Hobby betreibt, ist ein vor allem von der SVP kultivierter Mythos. Wer es versucht, zahlt manchmal einen hohen Preis: Der frühere FDP-Präsident Rolf Schweiger und die heutige Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (SVP) erlitten ein Burnout, ebenso Christoph Blocher nach der EWR-Abstimmung 1992.
Viele National- und Ständeräte sind Berufspolitiker, die ihr Einkommen mit Mandaten aufbessern. Der Einfluss des Geldes auf die Politik hat viele Facetten, und er beschränkt sich nicht auf die Bürgerlichen. So ist der Eiertanz der SP beim Rahmenabkommen mit der EU auch eine Folge davon, dass sie von den Gewerkschaften und ihrer Finanzkraft abhängig ist.
Worauf das hinausläuft, zeigte die Kasachstan-Affäre: Die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder hatte einen Vorstoss eingereicht, den eine Lobby-Agentur im Auftrag kasachischer Kreise verfasst hatte. Die Wahl zur Nationalratspräsidentin schaffte sie trotzdem problemlos. Kein Wunder: Kaum jemand im Rat hat in Sachen Lobbying eine weisse Weste.
Dabei ist Lobbying an sich nichts Schlechtes. Es ist sogar ein Indiz für eine funktionierende Demokratie, wenn für ein Anliegen gekämpft werden muss. Schwierig wird es, wenn die Methoden grenzwertig sind. So bemängelt der Europarat seit Jahren die fehlende Transparenz in der Schweiz bei der Politikfinanzierung. Ein überparteiliches Komitee hat dazu eine Volksinitiative eingereicht.
In der Bevölkerung scheint ein Unbehagen vorhanden. Das zeigte sich im Frühjahr 2018, als ausgerechnet im erzkonservativen Kanton Schwyz eine Transparenzinitiative der Juso (!) angenommen wurde. Das Gesetz zur Umsetzung aber wurde im Kantonsparlament nach Kräften verwässert, auch und gerade von der SVP, die gerne als Hüterin des Volkswillens aufspielt.
Man kann es nicht anders sagen: In der ganzen Schweizer Politik wird mehr oder weniger legale Korruption praktiziert. Man kann der Operation Libero eine gewisse Naivität vorwerfen. Aber sie macht nichts anderes als Verbände und Organisationen jedweder Couleur. Wer sich empört, soll sich für mehr Licht in der Dunkelkammer einsetzen. Etwa mit einem Ja zur Transparenzinitiative.
Um bei den Worten der Lobbyisten zu bleiben: Wer sind denn jetzt die „schwarzen Schafe“? 😒