Im Rahmen ihrer Kampagne «Wähle den Wandel» unterstützt die Operation Libero 41 Nationalratskandidatinnen und -Kandidaten in 11 Kantonen. In ihrem Wahl-Appell ruft die Operation Libero die Wählerinnen und Wähler dazu auf, ihre Stimme den «fortschrittlichen Köpfe aus verschiedenen Parteien» zu geben, welche die «Blockade» der vergangenen Legislatur zu überwinden helfen würden. Denn in den vergangen vier Jahren habe in Bern eine «Koalition der Verhinderer» regiert. Inhaltlich geht es bei der Kampagne um die Kernthemen der Operation Libero wie Europa, Bürgerrechte oder die «Ehe für alle». Aber auch Forderungen zu Themen wie der Altersvorsorge oder den Kampf gegen den Klimawandel gehören dazu. Zur Wahl empfohlen werden je sieben Kandidierende von der SP und den Grünen, sechs von der GLP, neun FDP-Politiker, acht von der CVP und vier von der BDP.
In einem am Donnerstag erschienen Artikel berichtet die «Wochenzeitung» (Woz) über ein vertrauliches Papier. Die Zeitung schreibt von «einer Art Vertrag», in dem sich die Kandidierenden zu vorformulierten Positionen bekennen müssten, um im Gegenzug Werbung finanziert zu erhalten. Das Fazit der «Woz»: «Die Operation Libero versucht, KandidatInnen zu kaufen.»
Den unterstützen Politikern sei ein Kampagnenbudget von 1,5 Millionen Franken in Aussicht gestellt worden. Die Wochenzeitung wirft die Frage auf, ob das Vorgehen der Operation Libero verfassungswidrig sei. Schliesslich verpflichtet Artikel 161 der Bundesverfassung verpflichtet die Parlamentsmitglieder, «ohne Weisungen» zu stimmen. Gegenüber der «Woz» sagt der Basler Verfassungsrechtler Markus Schefer zwar, Artikel 161 werde nicht verletzt, allerdings widerspreche das Vorgehen der Grundidee des Instruktionsverbots.
Operation Libero kauft für über eine Million Franken Nationalratskandidaten ein. Der Verein zahlt, wenn man im Gegenzug den EU-Unterwerfungsvertrag unterstützt. Ist das nur gruusig oder schon korrupt? https://t.co/lpRcSNfOTp
— Roger Köppel (@KoeppelRoger) August 29, 2019
Auf Twitter schossen sich infolge des «Woz»-Artikels insbesondere Vertreter der SVP auf die Operation Libero ein. Nationalrat und Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel etwa stellte den Korruptionsvorwurf in den Raum, andere SVP-Vertreter schrieben von einem «Spendenskandal» oder «Verrat an der Schweiz». Die SVP selber gibt grundsätzlich keinerlei Auskünfte über ihr Budget und die Herkunft von Geldern bei Wahl- und Abstimmungskämpfen.
Am Donnerstagnachmittag veröffentlicht die Operation Libero eine Stellungnahme auf Twitter und stellt das in der «Wochenzeitung» zitierte vertrauliche Papier auf ihrer Website online.
Stellungnahme: Eine Berichterstattung der Woz unterstellt unserem Wahlprojekt Verfassungswidrigkeit & dass Kandidaten gekauft worden seien. Beidem widersprechen wir entschieden. Fragebogen an Kandidaten teilen wir gerne: https://t.co/V9cFhOCl3C #WahlCH19 #Wahlen19 #WandelWahl pic.twitter.com/XDXlv1aROV
— Operation Libero (@operationlibero) August 29, 2019
Bei dem Dokument handele es sich nicht um einen Vertrag «und am allerwenigsten um ein Instrument zur Gleichschaltung der vielfältigen, persönlichen Meinungen und Haltungen unserer Kandidatinnen und Kandidaten», sagt Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, zu watson. Mit dem Fragebogen habe man herausfinden wollen, welche Kandidatinnen und Kandidaten politische Werte hätten, welche den Inhalten der Operation Libero entsprechen.
Zimermanns Einschätzung wird auch von Mark Balsiger weitgehend geteilt. Er ist Politikberater in Bern und hat schon bei mehreren Abstimmungskampagnen fürs gleiche Lager gekämpft wie die Operation Libero, etwa bei der Schlacht gegen die Selbstbestimmungsinitiative. Ein Mandat für die Operation Libero hatte er aber noch nie. «Was die Operation Libero macht, tun Verbände und Gewerkschaften schon seit Jahrzehnten», relativiert Balsiger.
«Natürlich begibt sich ein Kandidat immer in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis, wenn er durch eine Organisation unterstützt wird», so Balsiger. Dies gelte auch, wenn diese Unterstützung nur indirekt über Wahlempfehlungen und Inserate erfolge und nicht direkt durch Wahlkampfspenden. Doch die politischen Inhalte der «Wandelwahl»-Kampagne der Operation Libero seien relativ allgemein gehalten und offenbar nicht bindend. Dafür habe keiner der ausgewählten Kandidierenden seine politischen Überzeugungen verraten müssen.
Die Aargauer SP-Nationalrätin Yvonne Feri wird von der Operation Libero zur Wahl empfohlen. Dass Verbände und Organisationen Fragebogen an Politiker verschickten, um herauszufinden, wer ihre politischen Positionen teile, sei ein normaler Vorgang, sagt sie auf Anfrage von watson Und auf die Ergebnisse dieser Fragebogen stützten Verbände ihre Wahlempfehlungen ab. Sie werde beispielsweise auch vom Aargauer Lehrerverband unterstützt.
Nur weil sie eine Mehrheit im Fragebogen erwähnten Positionen von Operation Libero teile, mache sie sich dadurch nicht käuflich: «Weder habe ich meine Positionen jener der Operation Libero angepasst, noch erhalte ich Spendengelder für meine Wiederwahl.» Sie habe bei einigen Fragen mit «Nein» oder «eher Nein» geantwortet, wo sich ihre Positionen von denen der Operation Libero unterscheide: «Ich unterstütze beispielsweise keine schrittweise Erhöhung des Rentenalters» sagt Feri.
Ähnlich tönt es bei der grünen Nationalrätin Aline Trede, Nationalrätin aus dem Kanton Bern. Sie habe den Fragebogen der Operation Libero gemäss ihren politischen Überzeugungen ausgefüllt, sagt Trede, Teil des «Wandelwahl»-Teams im Kanton Bern. Sie habe teilweise inhaltliche Differenzen zu den im Fragebogen festgehaltenen Positionen der Operation Libero. Dies habe sie offen mitgeteilt. Sie teile aber die grundlegenden politischen Inhalte der Kampagne.
Den Vorwurf, die Operation Libero habe sich Kandidaten gekauft, weist Co-Präsidentin Laura Zimmermann entschieden zurück: «Es fliesst kein Geld an die Kandidierenden.» Die Kampagne basiere auf der Übereinstimmung zwischen der Operation Libero und den Kandidierenden «in wichtigen Punkten für die Zukunft der Schweiz», so Zimmermann.
Die grüne Nationalrätin Aline Trede stellt ebenfalls in Abrede, von der Operation Libero gekauft worden zu sein: «Ich reagiere äusserst sensibel auf potenziell heikle finanzielle Unterstützung und lehne Spenden ab, bei denen ich ein schlechtes Gefühl habe», sagt die Bernerin. Bei der «Wandelwahl»-Kampagne sei von Anfang an klar gewesen, dass kein Geld von Operation Libero an die Kandidaten fliesse, sondern der Verein lediglich im Rahmen seiner eigenen Kampagne Wahlempfehlungen ausspreche. Auch SP-Frau Yvonne Feri betont, dass sie keine Spendengelder für ihre Wiederwahl erhalte.
Die von der «Woz» genannten 1,5 Millionen Franken für die «Wandelwahl»-Kampagne seien eine sehr ambitionierte Zielgrösse, so Laura Zimermann von der Operation Libero: «Aber wir mögen ambitionierte Ziele». Das Zielgrösse sei aktuell noch nicht erreicht. Gemäss der Website der Operation Libero sind derzeit lediglich 26'000 Franken für die Wandelwahl-Kampagne eingegangen. «Bei Wahlen sitzt das Geld bei potenziellen Spendern sehr viel weniger locker als bei Abstimmungskampagnen», so der Kommentar von Politikberater Mark Balsiger, der gar von einem «sehr ambitionierten» Ziel spricht.
Über die Herkunft der Spendengelder will die Operation Libero Mitte September mit einem Zwischenstand informieren. Dabei werden Grossspender über 10'000 Franken namentlich genannt, geringere Beiträge summarisch aufgelistet. Die Finanzierung der Kampagne setze sich aus Crowdfunding und Spenden von Privatpersonen zusammen, so Zimmermann.
Das Ziel der Kampagne ist es gemäss Laura Zimermann, im Parlament «mehr progressive Politikerinnen und Politiker zu haben, die zu überparteilichen Zusammenarbeit bereit sind». Von den 41 unterstützten Kandidierenden sitzen sieben bereits im Parlament: Nebst Aline Trede und Yvonne Feri sind dies SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (BL), die Grüne Sibel Arslan (BS) CVP-Nationalrat Philipp Kutter (ZH) und die GLP-Nationalräte Beat Flach (AG) und Kathrin Bertschy (BE).
Politikberater Mark Balsiger bezweifelt, ob es die Operation Libero schafft, dank ihrer Kampagne ihr wohlgesinnte Kandidierende in den Nationalrat zu bringen. Neben den sieben Bisherigen hätten maximal vier «Wandelwahl»-Kandidatinnen und Kandidaten realistische Wahlchancen. Im Zentrum seien nicht alleine die Wahlaussichten gestanden, sondern vor allem die Inhalte, entgegnet Laura Zimmermann «Es ist uns darum gegangen, auf die vielen progressive Kandidierenden aufmerksam zu machen, gerade auch auf Junge und auf Frauen.»
Ein Argument, das Mark Balsiger nicht gelten lässt. «In aller Klarheit: Die ‹Wandelwahl› ist eine Leerformel», meint er. Aus diesem Grund sei er überrascht gewesen über das grosse mediale Echo, welches die Operation Libero mit ihren «Wandelwahl»-Kandidatenteams erzielt habe.