Sowohl das knapp angenommene Verhüllungsverbot als auch die wuchtig abgelehnte E-ID fallen ins Zuständigkeitsgebiet von Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP). Sie, die in ihrer zweijährigen Amtszeit bislang vier Abstimmungen gewann, erlitt nun also eine doppelte Niederlage.
Sie sprach – wegen der Coronapandemie – von einer Kampagne «hors-sol», weil keinerlei Veranstaltungen stattgefunden haben. «Es gab keinen Austausch mit der Bevölkerung», sagte Keller-Sutter am Abend. Das sei schwierig gewesen. Was bleibt sonst von diesem Abstimmungssonntag? Eine Analyse in fünf Punkten.
Um die Ergebnisse dieses Abstimmungssonntags besser zu begreifen, muss man ins Archiv steigen. Zum ersten Mal seit Mai 2014 (und der Pädophileninitiative) sagte die Bevölkerung Ja zu einer Initiative. In den vergangenen sieben Jahren gingen Bundesrat und Parlament fast 50 Mal als Sieger aus einem Abstimmungskampf hervor. Zwar gab es in diesem Zeitraum auch happige Niederlagen für die Behörden, etwa bei der Unternehmenssteuerreform III oder der Rentenreform 2020. Aber Regierung und Parlament ritten auf einer soliden Erfolgswelle.
Zuletzt taten sich die Behörden allerdings schwer, die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihre Vorlagen zu bringen. Bei den acht Abstimmungen, die in die Coronakrise fielen, setzte es für Bundesrat und Parlament drei Niederlagen ab. Bedenkt man zudem, dass die Kampfjets nur knapp passierten und die Konzerninitiative nur am Ständemehr scheiterte, fragt man sich: Schwindet das Vertrauen in den Bundesrat? Bei der E-ID war die Klatsche derart deutlich, dass diese Vorlage auch in normalen Zeiten gescheitert wäre. Bei den anderen zwei Vorlagen war der Ausgang enger.
Auffällig ist die hohe Stimmbeteiligung. Sie könnte ein Hinweis darauf sein, dass die aufgeladene Stimmung im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Coronakrise zu einer stärkeren Mobilisierung von regierungskritischen Wählerinnen und Wählern führte. Bundesrätin Keller-Sutter sagte bereits im Vorfeld: Man spüre im Bundesrat durchaus, dass der Unmut zugenommen habe und das Verständnis für die Coronaeinschränkungen abnehme.
Auffällig war in diesem Abstimmungskampf aber auch, dass die etablierten Parteien nicht die wichtigsten Stimmen waren. Bei der E-ID war der Politaktivist Daniel Graf prägend, bei der Burkainitiative das Egerkinger-Komitee rund um SVP-Nationalrat Walter Wobmann.
Es ist ein Adjektiv, das in den vergangenen Wochen oft zu lesen war: gespalten. Die Fronten in den Abstimmungskämpfen waren alles andere als klar gezogen. Angefangen bei der Verhüllungsinitiative: Die FDP und die Partei Die Mitte fassten auf nationaler Ebene jeweils die Nein-Parole. Doch die Abweichler waren prominent, zu nennen sind etwa Marianne Binder (Mitte) oder Jacqueline De Quattro (FDP). Und selbst bei der SP, die sich deutlich gegen die Initiative positionierte, sympathisierten führende Köpfe damit. Darunter Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard und die langjährige Ständerätin Géraldine Savary. Auch an der Basis gärte es allenthalben.
Nicht anders sah es bei der E-ID aus: Das Misstrauen gegenüber einer nicht staatlichen Lösung reichte weit ins bürgerliche Lager, obwohl die offiziellen Parteidevisen jeweils eindeutig schienen. Während bei der sonst stets so geschlossenen SVP über ein Drittel der Delegierten für ein Nein votierten (nachdem die Parteispitze ohne deren Zutun die Ja-Parole durchboxen wollte), fiel beim Freisinn die bekannte Nationalrätin Doris Fiala als lautstarke Abweichlerin auf. Bei den Grünliberalen schliesslich beschlossen die Delegierten entgegen der Haltung ihrer Bundeshausfraktion deutlich die Nein-Parole zur E-ID-Vorlage – ein aussergewöhnlicher Meinungsumschwung.
Trotz fehlender Geschlossenheit, trotz Uneinigkeit von Elite und Basis: Die Parteien können ihr Gesicht wahren. Denn auch wenn die drei nationalen Vorlagen zweifellos ihre inhaltliche (oder zumindest ihre symbolische) Bedeutung hatten, zählten sie nicht zu den ganz grossen, strategisch wichtigen Geschäften in Bundesbern.
Bei solchen Vorlagen sind die Parteien viel eher darauf bedacht, dass ihre Aushängeschilder auf Linie sind; dass Unterlegene nicht offen Widerstand leisten und sich wenn schon enthalten.
So gesehen war dieser 7. März 2021 aus demokratischer Sicht ein guter Tag: Endlich wieder interner Streit! Ausgetragene Konflikte sind der Meinungsbildung zuträglich. Verstärkte sich im Parlament jüngst die Tendenz zur Fraktionsdisziplin, liessen die Parteispitzen erfrischend viel eigenständiges Denken zu – und eine Fülle der Auffassungen.
Für die Schweizer Wirtschaft und ihren politischen Arm war dies kein berauschender Tag. Zum einen verwarfen die Stimmbürger die private, von einheimischen Konzernen getriebene E-ID wuchtig, zum anderen nahmen sie das Freihandelsabkommen mit Indonesien nur äusserst knapp an. In diesen Resultaten spiegelt sich ein Grundmisstrauen ebenso wie eine (überraschend breite) globalisierungskritische Haltung.
Schon seit Jahren zeichnet sich ab, dass die Wirtschaftselite nicht mehr mühelos in der Lage ist, eine Mehrheit des Stimmvolks zu überzeugen. Symptomatisch dafür war auch die knappe Abstimmung über die Konzerninitiative. Klassische Argumente wie Arbeitsplatzverluste und Standortnachteile – beides jahrzehntelang Selbstläufer – verfingen nicht mehr.
Biegt der Bundesrat am 13. Juni wieder auf die Erfolgsstrasse ein? Gleich fünf Gelegenheiten hat die Regierung, um ihre zwei Niederlagen auszumerzen. Und klar ist: Dann wird es um mehr gehen. Im Fokus wird wiederum Karin Keller-Sutter stehen, die ihre Vorlage zur Bekämpfung des Terrorismus verteidigen muss. Simonetta Sommaruga (SP) muss derweil beim C02-Gesetz mit starkem Gegenwind rechnen.
Ungemütlich gar dürfte der Abstimmungskampf für Guy Parmelin werden, der gegen zwei Initiativen antritt. Vor allem die Trinkwasserinitiative, welche die Schweizer Agrarpolitik fundamental umpflügen würde, geniesst bis in die FDP hinein grosse Sympathien. Schliesslich kommt auch das Covid-19-Gesetz zur Abstimmung. Dieser Urnengang wird zum Stresstest dafür werden, wie breit die Bevölkerung die Pandemiepolitik des Bundesrates stützt.
Dass bei der "Burka-Initiative" (in der es auch um andere, nicht islamistische Verhüllungen ging) ein "lauwarmes Ja" herausgekommen ist, signalisiert unseren muslimischen MitbürgerInnen ja im Grunde zweierlei:
1. Ca. die Hälfte der Stimmenden hat durchschaut, dass es dem "Egerkinger Komitee" (SVP) vor allem darum ging, gegen Muslime zu hetzen, indem sie ein nicht vorhandenes Problem aufbauschten.
2. Burkas sind grässliche, schwarze "Säcke für Halb-Tote".