Die Schweiz hat jetzt einen Feld-, Wald- und Wiesen-Bundesrat. Das ist nicht despektierlich gemeint. Die Magistratin aus der grössten Gemeinde ist Karin Keller-Sutter: Wil im Kanton St.Gallen hat 24'000 Einwohner. Die anderen Mitglieder der Landesregierung kommen aus Ortschaften, die noch kleiner sind.
Am Mittwoch standen zwei Städter zwei Landbewohnern gegenüber. Die Bundesversammlung verschmähte die Basel-Städterin und den Stadtzürcher. Bei der Wahl von Elisabeth Baume-Schneider spielte die Agrarlobby eine wichtige Rolle. Das Branchenblatt «Schweizer Bauer» titelte Ende November: «Herzog will bei Bauern kürzen, Baume nicht.» Da zeichnete sich ab, dass die Favoritin aus dem Stadtkanton am 7. Dezember straucheln könnte.
Dass Eva Herzog als Finanzdirektorin in engem Kontakt stand mit der Pharmabranche, die aus dem Stadtgebiet mehr Güter exportiert als jeder andere Schweizer Wirtschaftszweig – es spielte eine untergeordnete Rolle. Wichtig waren hingegen die Vertreter des Agrarsektors, der für kümmerliche 0.6 Prozent des Bruttoinlandprodukts aufkommt, dafür aber jedes Jahr Milliarden an staatlichen Subventionen einstreicht.
Es zählt die bäuerliche, ländliche Schweiz. Die grossen Schweizer Städte zählen nicht. Diese Klage ist nun zu hören. Kein einziger Städter ist im Bundesrat. Es finden sich dort nur Politiker aus den Nehmerkantonen: Stände, die aus dem nationalen Finanzausgleich Geld beziehen. Die grossen städtischen Geberkantone Zürich, Basel-Stadt und Genf bleiben aussen vor.
Die Städte tragen allerdings eine Mitschuld an diesem Missverhältnis. Severin Pflüger war Präsident der Stadtzürcher FDP und sitzt seit 2009 im Gemeindeparlament. Er sagt: «Der Gemeinderat diskutiert über die optimale Höhe der Randsteine für Velofahrer. Und über die Lösung des Kurdenproblems. Den Rest lässt er weg.» Das heisst: Das Stadtparlament nimmt sich lokalen und internationalen Themen an. Mit nationalen Streitfragen beschäftigt es sich hingegen nicht.
Die Nabelschau wird dadurch begünstigt, dass es den Städten gut geht. Die Zeiten, als man von den «A-Städten» sprach – Arme, Arbeitslose, Auszubildende, Ausländer, Alte – sind vorbei. Die Steuererträge sprudeln dank florierender Unternehmen. Und viele Gutverdiener ziehen nicht mehr in die Vororte. Sie leben lieber in den Städten, auch wenn dort die Steuersätze höher sind.
Die rot-grün dominierten Exekutiven und Parlamente arbeiten an der Optimierung der eigenen Lebenswelt. Dazu gehört die Förderung des Langsamverkehrs, dazu gehört das subventionierte Wohnen. Wenn es hingegen um Wirtschaftsfragen geht oder um einen leistungsfähigen Nahverkehr in die Agglomerationen, kommt nicht viel.
Corine Mauch (SP) ist Zürcher Stadtpräsidentin seit 2009, trotzdem ist sie keine national bekannte Figur. Sie bringt sich wenig ein in Themen, die das ganze Land beschäftigen. Ihr Vorgänger Elmar Ledergerber (SP) veröffentlichte ein Manifest zur Asylpolitik, er griff den Bundesrat an wegen dessen Haltung im Fluglärmdossier. Mauch muss gerade erklären, warum die Stadtverwaltung jedes Jahr stark wächst.
Die Berner Stadtpolitiker Kurt Wasserfallen und Alexander Tschäppät sassen beide im Nationalrat und warben dort für städtische Anliegen. Den Zürcher Stadträten wurde das mit der sogenannten Lex Wagner verunmöglicht: Die Ämterkumulation ist verboten. Obwohl die Stadträte, die sich auf nicht weniger als neun Departemente verteilen, nicht arbeiten müssen bis zum Umfallen.
Die Lobbyorganisation der Städte ist der Städteverband – und hier liegt eine weitere Schwierigkeit. Der Verband hat 131 Mitglieder. Die grossen Städte haben andere Probleme als die kleinen, aber der Vorstand muss versuchen, die unterschiedlichen Anliegen auf einen Nenner zu bringen. Das führt dazu, dass die Stellungnahmen zuweilen nicht mit übermässiger Prägnanz auffallen.
Arbeitet der Bundesrat ein Gesetz aus, muss er die Kantone konsultieren, die Städte jedoch nicht. Finanzminister Ueli Maurer wollte nicht mit dem Verband reden, als es um die Reform des Finanzausgleiches ging. Das mag damit zusammenhängen, dass die meisten Städte rot-grün regiert sind. Im bürgerlich dominierten Bundesrat wie auch im Parlament löst das Abwehrreflexe aus. Der Städteverband wird darum von einem Freisinnigen geführt. Er heisst Anders Stokholm, was nach einer richtig grossen Stadt klingt. Er ist aber Stadtpräsident von Frauenfeld.
Die grossen Städte sind im politischen System der Schweiz ohnehin benachteiligt aufgrund des Ständemehrs bei Verfassungsänderungen. Und im Ständerat haben die kleinen Landkantone ein viel zu grosses Gewicht, gemessen an der Bevölkerungsstärke. Verschiedentlich sind darum Vorschläge präsentiert worden, wonach die grossen Städte eigene Ständeratssitze bekommen sollten.
Diese Pläne sind illusorisch. Weder im Parlament noch vor dem Volk würde eine solche Verfassungsänderung wohl bestehen. Was die Städte hingegen brauchen, sind Politiker, die aus dem Schneckenloch herauskommen und ihre Begehren öffentlichkeitswirksam vortragen.
Die Regierungen der zehn grössten Schweizer Städte sollten sich überlegen, ob es nicht an der Zeit wäre, eine neue Lobbyorganisation zu gründen. Sie würde mit klaren Positionsbezügen auf sich aufmerksam machen, und einige ihrer Exponenten würden sich um eine Wahl ins Bundesparlament bemühen. Dort müssten sie ein ebenso effizientes Lobbying aufziehen wie der Bauernverband. Wer weiss, vielleicht wären im Bundesrat bald nicht mehr so viele Politiker aus strukturschwachen Landregionen. (bzbasel.ch)
Herr Maurer ist in Wernetshausen Kt. ZH , ca 800 Einwohner aufgewachsen. Die beiden BR waren also keinesfalls typische Vertreter der Urbanität.
Also hat sich eigentlich nichts geändert.
Vogt hatte gegen Rösti keine Chance. Aber ein Ticket Herzog/Jositsch wäre wohl akzeptiert worden. Niemand hätte etwas gesagt, wenn Baume nicht aufs Ticket gekommen wäre.
Ein Ticket Allemann/Herzog hätte übrigens ebenfalls eine städtische BR gebracht.
Ergo hat es diesmal die SP verbockt. Aus dieser Partei sollte deshalb niemand diesen Umstand kritisieren.
Als einer der täglich in der Stadt Zürich unterwegs ist und auch viel mit den Behörden zu tun hat und dies auf allen Ebenen erachte ich diesen läppischen Satz als ein sattes Verkennen zB der Stadt Zürich und ich denke dass es in Basel nicht anders ist.
Man qualifiziert ja die ländlichen Gegenden nicht anhand ihrer Siedlungspolitik die katastrophal ist oder an Hand des Runs auf Steuerzahler, das käme zwar der Wahrheit teilweise ganz nahe aber wäre klar übertrieben.