In der Schweiz wird es keine Impfpflicht geben. Das hat der Bundesrat bereits einige Male klargemacht. Wer sich nicht gegen das Coronavirus impfen will, dem ist dies also freigestellt. Die Zeichen verdichten sich jedoch, wonach Impfverweigerern schon bald das Leben schwer gemacht werden könnte.
So berichtete der «Blick» zum Beispiel, dass der Bundesrat beschlossen hat, geimpften Personen gewisse Freiheiten wiederzugeben. Sie sollen wieder in Clubs, Beizen, zu Konzerten und ins Fitnessstudio gehen dürfen. Die Zeitung bezieht sich dabei auf ein vertrauliches Papier.
Die Staatspolitische Kommission des Ständerates unterstützt dieses Vorhaben. Auch Hoteliers oder der Arbeitgeberverband blasen ins selbe Horn. Mehr noch: Angestellten könnte sogar die Kündigung drohen, wenn sie sich nicht impfen lassen wollen.
Die geplanten oder zumindest angedachten Vorteile für Geimpfte stehen jedoch rechtlich auf wackligen Beinen. Streitigkeiten sind quasi vorprogrammiert. Ein Überblick, wie es nun weitergehen könnte.
Bei den Überlegungen, geimpften Personen gegenüber ihren nicht-geimpften Kollegen Vorteile zu gewähren, wird schnell mal der Vorwurf des indirekten Impfzwanges laut. Dass es also keine staatlich verordnete Impfpflicht gibt, man faktisch aber dazu gezwungen wird, weil einem ansonsten der Zugang zu allen möglichen Dienstleistungen verwehrt wird.
Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel findet diesen Vergleich heikel: «Private Entscheidungen hatten schon immer gesellschaftliche Konsequenzen. Die Frage ist nun, ab wann diese Konsequenzen nicht mehr akzeptabel sind.»
Dafür brauche es laut Schefer eine Unterscheidung. Man müsse jene Bereiche identifizieren, bei denen es aus rechtlicher Sicht wichtig ist, dass die private Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, keine gesellschaftliche Konsequenzen hat.
Klingt kompliziert, ist es auch.
Einen klaren gesetzlichen Rahmen gibt es hierfür nicht. Letztlich muss situativ entschieden werden: Werden meine Persönlichkeitsrechte eingeschränkt, wenn der Beizer mir den Einlass verwehrt? Oder die Migros? Oder die SBB?
Um die Komplexität ein wenig zu reduzieren, bietet es sich an, sich in einem ersten Schritt anzuschauen, ob eine Dienstleistung vom Staat oder von Privaten angeboten wird.
So ist ein Wirt an andere Regeln gebunden als ein staatliches Unternehmen. Die SBB haben zum Beispiel eine Transportpflicht für Reisende. Dies ist im Personenbeförderungsgesetz festgehalten.
Ein Wirt kann selbst entscheiden, wen er bedient und wen nicht. Das bedeutet, dass der Wirt prinzipiell auch entscheiden kann, nur noch geimpften Personen Eintritt zu gewähren. Dasselbe gilt für die meisten anderen privaten Firmen.
Bei Lebensmittelhändlern und Apotheken wird es schon schwieriger. Migros oder Coop werden auch nicht Geimpfte in ihre Läden lassen. Der Zugang zu Esswaren muss gewährleistet bleiben.
Grundsätzlich gelte bei privaten Dienstleistern: Je wichtiger eine Dienstleistung für ein selbstbestimmtes Leben ist, desto weniger sind Einschränkungen tolerierbar, meint Schefer. Für staatliche Unternehmungen gelte das im Prinzip auch, jedoch sind die meisten, wie das Beispiel der SBB zeigt, an weitere, gesetzliche Leistungsaufträge gebunden.
Markus Schefer warnt davor, diese komplexe Materie zu vereinfacht, oder im politischen Kontext zu populistisch zu behandeln. «Wenn man sich den Vorschlag der bürgerlichen Parteien ansieht, die Restaurantöffnungen gesetzlich festzuhalten, dann stellt dies schon fast eine Verzweiflungstat dar. Man will eine Einfachheit herstellen, die faktisch nicht vorhanden ist.»
Letztlich sei es eine Güterabwägung, so Schefer: Wie wichtig ist es, dass eine Person in die Bar an der Ecke gehen darf? Inwiefern tangiert der strikte Einlass von nur geimpften Personen die Grundrechte von nicht Geimpften? Dies wiederum müsse auch in Kontext mit der epidemiologischen Lage gestellt werden. Denn des einen Wahrung der Grundrechte könnte des anderen Wahrung der Gesundheit gefährden. Mehr noch: die Gesundheit der gesamten Gesellschaft.
Schefer plädiert deshalb dafür, kurzfristige Entscheidungen zu treffen. «Der Bundesrat sollte schauen, wo konkret Probleme entstehen und dann darauf reagieren.» Auf lange Sicht planen wäre schwierig, da sowohl die epidemiologische Lage als auch die Probleme schwierig vorherzusehen seien.
Es stehen jedoch nicht nur Dienstleistungen im Fokus, sondern auch die Arbeitsplätze. Gegenüber dem «Blick» sagte Daniella Lützelschwab vom Arbeitgeberverband: «Im privatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnis muss es für die Arbeitgeber möglich sein, einen Unterschied zu machen zwischen geimpften und nicht geimpften Arbeitnehmenden.»
Konkret heisst das: Arbeitnehmende sollen zurück ins Büro, sobald sie geimpft sind. Verwehrt sich jemand der Nadel, so sollen auch Kündigungen möglich sein. Wenn Impfverweigerer nicht versetzt werden können, dann könne auch eine ordentliche Entlassung zur Diskussion stehen.
Oder anders gesagt: Nicht der Staat, sondern Arbeitgeber würden eine Impfpflicht anordnen.
Die Suva und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) halten in einem Informationsblatt zwar fest, dass eine Zwangsimpfung auf Anordnung des Arbeitgebers auch im Falle einer Pandemie nicht durchsetzbar sein dürfte. Dies war jedoch vor der Corona-Pandemie. Gemäss einem wissenschaftlichen Beitrag des Schweizer Juristen Kurt Pärli wird eine Impfung auf Anordnung zulässig sein, «wenn der Schutz der gefährdeten Personen nicht mit anderen Mitteln zu realisieren ist». Dies dürfte jedoch nur für Arbeitnehmende mit Kontakt zu besonders gefährdeten Personen gelten. Also Pflegende, zum Beispiel.
Möchte sich der Arbeitnehmende trotzdem nicht impfen lassen, so ist eine Entlassung durchaus möglich. Es kommt allerdings darauf an, um was für eine Tätigkeit es geht. Arbeitsrechtlerin Romina Carcagni erklärt: «Man muss aufgrund der konkreten Umstände die Interessen abwägen. Überwiegen die Interessen des Arbeitgebers und seine Schutzpflichten gegenüber Mitarbeitern und Kunden, oder geht das Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmenden vor?» Eine allgemeingültige Antwort darauf gebe es nicht. «Im Streitfall werden die Gerichte entscheiden müssen.»
Im Pflege- und Gesundheitsbereich haben Impfverweigerer jedenfalls schlechte Karten. «Wo in engem Kontakt mit Risikopersonen gearbeitet wird, ist die Vorgabe, dass sich Arbeitnehmende impfen müssen, grundsätzlich legitim», sagt Carcagni. Wer sich ohne zwingende Gründe gegen die Impfung entscheide, deshalb nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden könne und in der Folge entlassen werde, der werde vor Gericht einen schweren Stand haben.
Doch was ist mit Branchen, die keinen Kontakt zu Risikopersonen haben? Auch für diese sieht es nicht rosig aus. «Verschiedenste Branchen könnten betroffen sein, wenn Länder nur noch geimpfte Personen einreisen lassen», sagt Carcagni, «was machen Firmen dann zum Beispiel mit ihren Verkäufern, wenn diese nicht mehr reisen können?»
Die Arbeitswelt wird sich mit der Frage der Impfpflicht also auseinandersetzen müssen, denn: «Zu Normalzeiten hat der Arbeitgeber nichts zu melden, wenn es darum geht, ob Mitarbeiter sich gegen eine Krankheit impfen lassen oder nicht, das ist Privatsache. Nun haben wir aber Corona-Zeiten.» Mitarbeiter zur Impfung auffordern, weil sie sonst nicht einsetzbar sind oder andere gefährden, sei keine böse Schikane. «Firmen müssen ihren Betrieb ja irgendwie am Laufen halten.»
Noch spielt all dies auf einer hypothetischen Ebene, bei der es viele Detailfragen gibt. Eine staatliche Impflicht wäre aus heutiger Sicht nicht möglich. Geht es aber um die Job-Frage, sind durchaus Einschränkungen wie Versetzungen oder gar eine Kündigung möglich, wenn man sich der Impfaufforderung des Arbeitgebers widersetzt.