Sie kennen und mögen sich. Als der französische Staatschef Emmanuel Macron am Mittwoch auf dem Flughafen Bern-Belp landete, begrüsste ihn Bundespräsident Alain Berset nicht einfach formell per Handschlag, sondern mit einer herzlichen Umarmung. Die beiden frankofonen Magistraten haben sich wiederholt getroffen und sind per Du.
Für den innenpolitisch umstrittenen Macron ist der Staatsbesuch in der Schweiz eine willkommene Abwechslung. Die «Eiszeit» nach dem Entscheid des Bundesrats für den US-Kampfjet F-35 anstelle des französischen Rafale vor zwei Jahren scheint beendet zu sein. Heute sind die Probleme im nachbarschaftlichen Verhältnis überschaubar.
Entsprechend locker war die Atmosphäre beim offiziellen Empfang in Bern. Für Aufsehen sorgte der atemberaubend stilsichere Auftritt von Première Dame Brigitte Macron, die mit ihren 70 Jahren alle Frauen auf der Seite der Gastgeber alt aussehen liess. Beim «Bad in der Menge» auf dem Bundesplatz gab sich das französische Präsidentenpaar nahbar.
Alain Berset wiederum kann mit der Visite von Freund Emmanuel den wohl letzten Höhepunkt seiner langen und turbulenten Bundesratskarriere zelebrieren. Mehr als sechs Jahre hatte sich Macron Zeit gelassen, um wie die meisten seiner Vorgänger seit François Mitterrand die Schweiz zu besuchen. Nur Nicolas Sarkozy hatte sich nie blicken lassen.
Der Staatsbesuch konnte allerdings nicht kaschieren, dass es in einem zentralen Punkt Differenzen gibt: beim Verhältnis zur Europäischen Union. Obwohl Macron wie alle französischen Staatschefs die nationalen Interessen betont, ist der 45-Jährige ein überzeugter Europäer, der die EU als globalen Player stärken möchte. Und dabei zu seinem Leidwesen häufig vom wichtigen Verbündeten Deutschland gebremst wird.
In Bern ermahnte er die Schweiz, sie müsse ihre Beziehungen zur EU klären. Die vor 15 Jahren im Grundsatz beschlossenen Verhandlungen über die institutionellen Fragen müssten zum Erfolg führen. Mit Charme und Augenzwinkern liess er die Schweiz wissen, sie seien durch ihren täglichen Austausch mit ihren Nachbarn eigentlich längst Europäer.
Gastgeber und Freund Alain Berset hingegen verhielt sich bei diesem Thema defensiv. Die Schweiz habe «stabile Beziehungen mit der EU», sagte er und verwies auf die Ausarbeitung eines Verhandlungsmandats, die der Bundesrat letzte Woche beschlossen hatte. Sie sei eine «wichtige Etappe» zum Ausbau der bilateralen Beziehungen.
Viel mehr war nicht, schon gar kein klares Bekenntnis zu diesem Ausbau. Das erstaunt nicht. Alain Berset ist, obwohl Sozialdemokrat, ein zögerlicher und zweifelhafter Europäer. In der schier endlosen und teilweise quälenden Debatte um das institutionelle Rahmenabkommen vertrat der Freiburger stramm die Linie der Gewerkschaften.
Anfangs wurde er von Parteikollegin Simonetta Sommaruga unterstützt. Vor dem «Showdown» im Mai 2021 allerdings soll sie «kalte Füsse» bekommen und sich gegen einen totalen Verhandlungsabbruch ausgesprochen haben. Berset hingegen blieb stur und brachte das Abkommen zusammen mit den SVP-Bundesräten und Karin Keller-Sutter (FDP) zum Absturz.
Der Innenminister sei «ein harter Gegner der Annäherung an die EU», kommentierte die «Handelszeitung», nachdem Berset im Juni seinen Abgang auf Ende Jahr bekannt gegeben hatte. Das mag ein unfaires Verdikt sein, doch als glühenden «Euroturbo» kann man ihn sicherlich nicht bezeichnen. Seine Haltung ist durch Indifferenz bis Skepsis geprägt.
Das zeigte sich beim Besuch von Maia Sandu im Oktober. Während die Präsidentin der von Russland bedrängten Republik Moldau beim gemeinsamen Auftritt an der ETH Zürich betonte, dass sie bis 2030 «oder früher» der EU beitreten möchte, redete Berset auf eine Frage aus dem Publikum zur Schweizer EU-Politik wortreich um den heissen Brei herum.
Nicht viel anders lief es am Donnerstag, als er sich mit Emmanuel Macron an der Universität Lausanne unter dem Motto «Parlons Europe» zu den Studierenden wandte. Berset beliess es beim Bekenntnis zu der auf Initiative von Macron nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gegründeten Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG).
Sie ist ein informelles, zahnloses Gremium und tut der Schweiz nicht «weh». Immerhin bot Berset die Durchführung eines EPG-Gipfels an. Entscheidend aber bleibt das Verhältnis zur EU, und daran müsste der abtretende Vorsteher des Innendepartements ein Interesse haben, wegen der Forschungszusammenarbeit oder des angestrebten Gesundheitsabkommens.
Bis Ende Jahr will der Bundesrat ein neues Verhandlungsmandat verabschieden, noch vor Alain Bersets definitivem Abgang. Erst einmal wird nach dem Glamour des Staatsbesuchs der graue Alltag zurückkehren. Am Freitag dürften die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat laut der NZZ ihren Bericht zu den Corona-Leaks veröffentlichen.
Es geht um die mutmasslichen Indiskretionen seines früheren Kommunikationschefs an den Ringier-CEO, mit denen angeblich Entscheide des Bundesrats während der Pandemie beeinflusst werden sollten. Die grosse Frage lautet, ob Berset Bescheid wusste. Eine klare Antwort wird der Bericht kaum liefern. Aber schmeichelhaft ist die Affäre für ihn nicht.
Dort hat er zusammen mit den SVP Bundesräten für die strikte Neutralitäts Auslegung bei möglichen Waffen Lieferungen, beziehungsweise deren nicht Weitergabe durch befreundete Staaten gesorgt.
Er hat sich sogar dazu versteigert, die Befürworter als kriegslüstern darzustellen.
Die Haltung der Schweiz gegenüber der kriegsgebeutelten Ukraine ist beschämend.
Wir lassen uns faktisch von der Nato beschützen und zieren uns mit einer aus der Zeit gefallenen Neutralität.