Jahrelang schrieb der Bund Überschüsse. Jetzt drohen Defizite in Milliardenhöhe. Verglichen mit früher: Wie schlecht steht es um die Bundesfinanzen?
Thomas M. Studer: Um das vergleichen zu können, stellt man das Defizit ins Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP). Bei jährlichen strukturellen Defiziten von 2 bis 4 Milliarden Franken, wie sie der Bund erwartet, sind das gemessen am aktuellen BIP rund 0,25 bis 0,5 Prozent. In der Schuldenkrise der 1970er-Jahre waren es bis zu 0,9 Prozent, in den 1990er-Jahren sogar bis 2 Prozent. So schlimm ist es heute noch nicht. Was die Geschichte aber zeigt: Es ist schwierig, aus einer Defizitphase herauszukommen, wenn man mal drin ist.
Wie hat man das in den 1990er-Jahren geschafft?
Bundesrat Otto Stich hat damals drei Sanierungspakete vorgeschlagen. Substanzielle Mehreinnahmen brachte die Mehrwertsteuer, die im vierten Anlauf eingeführt werden konnte. Ausgabenseitig kürzte man unter anderem alle Subventionen temporär von 1993 bis 1995. Doch das alles reichte nicht. Die Wende kam dann unter Finanzminister Kaspar Villiger, der schliesslich die Schuldenbremse einführte.
Wie kam es früher zu roten Zahlen, etwa in den 1970er-Jahren?
Da muss ich etwas ausholen: Nach dem Zweiten Weltkrieg war man lange sehr zurückhaltend bei den Ausgaben. Das rächte sich in den 1960er-Jahren, als sich zeigte, dass grosser Nachholbedarf besteht. Dann baute man Autobahnen und erhöhte die AHV. Daraufhin passierte das Gleiche wie heute: Die Ausgaben wuchsen, und irgendwann wuchsen sie schneller als die Einnahmen. Von 1971 bis 1985 schrieb der Bund durchgehend Defizite.
Wie hat die Politik damals reagiert?
Sie versuchte, neue Einnahmen zu generieren. Der Souverän lehnte das aber mehrmals ab – 1974 die Wehrsteuer, 1977 und 1979 die Einführung der Mehrwertsteuer. 1975 stimmte das Volk immerhin einer kleinen Wehrsteuererhöhung zu. Der Bundesrat brachte zudem mehrere Sparpakete. Die Situation entspannte sich aber erst mit dem konjunkturellen Aufschwung in den 1980er-Jahren. Die strukturellen Haushaltsprobleme kamen später wieder an die Oberfläche, als 1991 die Rezession ausbrach.
Rutschte der Bund in den 1990er-Jahren wegen der Rezession in die roten Zahlen?
Nein. Das Problem war wie heute, dass neue, nicht gegenfinanzierte Ausgaben beschlossen wurden. Das Muster ist immer dasselbe: In guten Zeiten werden Ausgaben beschlossen, die automatisch wachsen, und irgendwann wachsen sie schneller als die Einnahmen. Wenn dann noch eine Krise dazukommt, sieht es schlecht aus.
Die Verschuldung der Schweiz ist heute im Vergleich zum Ausland tief. Wie sieht es im historischen Kontext aus?
Die Verschuldungsquote ist nach dem Zweiten Weltkrieg stark angestiegen. Dank dem Wirtschaftswachstum sank die Quote von allein wieder. In den 1970er-Jahren stieg die Schuldenquote dann leicht, in den 1990er-Jahren deutlich, bis die Schuldenbremse eingeführt wurde. Diese führt dazu, dass die Staatsverschuldung abnimmt, wenn die Wirtschaft wächst. Die Verschuldungsquote sank daher markant. Heute ist sie immer noch tief, trotz Corona-Schulden. Allerdings sind wir in der schwierigen Situation, dass der Bund die Corona-Schulden tilgen muss – gleichzeitig aber Defizite drohen.
Ist die Situation heute wegen der Schuldenbremse anders als in den 1990er-Jahren? Und wie löst man das Problem?
Mit Sparen! Für die Schuldenbremse ist es der erste richtige Stresstest. In den vergangenen Jahren konnte die Politik trotz Schuldenbremse neue Ausgaben beschliessen, weil die Einnahmen stärker stiegen. Jetzt will man dem Militär mehr Geld geben, gleichzeitig muss die Schuldenbremse eingehalten werden.
Insbesondere von linker Seite kommt immer wieder Kritik an der Schuldenbremse: Diese sei zu rigide. Sollte man die Schuldenbremse reformieren?
Die Schuldenbremse ist zentral zur Aufrechterhaltung der Budgetdisziplin, weshalb sie keinesfalls gelockert werden sollte. Sie zwingt zur Prioritätensetzung und dies ist im Moment zentral. Häufig wird der Vorwurf laut, dass die Schuldenbremse nicht genug Investitionen zulässt. Verschiedene ökonomische Analysen haben aber gezeigt, dass die Schuldenbremse keine «Investitionsbremse» ist. Der Anteil der Investitionen am Bundeshaushalt nach der Einführung der Schuldenbremse konstant geblieben ist.
Danke für die klaren Worte
Ein Ökonom ("Produktionsleiter"???) des "Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik"? Okay...
Zur Verortung dieses "Instituts": Gegründet von Ex-NZZler René Scheu, den die NZZ zu wenig rechtsliberal war. Finanziert wird das "Institut" auf eher undurchsichtigen Wegen (bzw. die Finanziers möchten nicht genannt werden, vgl. WOZ-Artikel dazu), was der Uni Luzern einige kritische Fragen einbrachte (vgl. Watson-Artikel dazu). Politische Stossrichtung ist aber klar: sehr SVP-nah...
Um die Einnahmen zu erhöhen könnte man ja z.B. einige Der Geschenke die man Dem 1% in Den letzten Jahren gemacht hat rückgängig machen.