Zugang zum Zivildienst soll verschärft werden: Gehen den Kitas nun die Männer aus?
Alarm in der Krabbelgruppe: Eine von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit beschlossene Verschärfung des Zivildienstgesetzes hat negative Auswirkungen auf die Situation in Kindertagesstätten (Kitas) und anderen Betreuungseinrichtungen.
Dies zumindest die Warnung einer Allianz aus Parteien (Grüne, SP, EVP) und so unterschiedlichen Organisationen wie dem Lehrerinnen- und Lehrerverband, der Heilsarmee, der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) oder dem Zivildienstverband Civiva. Am Mittwoch legten Vertreter dieser Allianz in Bern dar, weshalb sie das Referendum ergreifen. Eine Abstimmung wird im Juni oder September 2026 erwartet.
40 Prozent weniger Zivildienstleistende erwartet
Das Parlament stimmte in der Herbstsession sechs Massnahmen zu, um den Zugang zum Zivildienst zu erschweren. Diese sollen die Zahl der Wechsel in den Zivildienst von Armeeangehörigen nach bestandener Rekrutenschule senken (2024: 2199 Fälle).
Der Armee gingen dadurch Angehörige verloren, in deren Ausbildung schon viel Zeit und Ressourcen investiert worden seien, so der Bundesrat. Diese Wechsel verschärften das sich abzeichnende Alimentierungsproblem der Armee.
Die beschlossenen Gesetzesänderungen erhöhen die Wechselhürden für Armeeangehörige, die bereits einen beträchtlichen Teil ihres Armeedienstes geleistet haben. Sie sollen neu beispielsweise mindestens 150 Diensttage im Zivildienst leisten. Bislang mussten sie dort das 1,5-fache der noch verbleibenden Armeediensttage absolvieren. Laut Bundesrat sollen die beschlossenen Massnahmen die Zulassungen zum Zivildienst um über 40 Prozent reduzieren.
Männliche Vorbilder in weiblicher Branche
Und damit wären wir wieder in der Krabbelgruppe angekommen. Aktuell gelten 227 Kindertagesstätten als Einsatzbetriebe. Es handelt sich um Kitas, die gemäss Zivildienstverordnung als gemeinnützig anerkannt sind. Im vergangenen Jahr wurden dort 859 Zivildiensteinsätze mit insgesamt 77'341 Diensttagen absolviert.
Die Einsätze von Zivildienstleistenden helfen laut Maximiliano Wepfer von Kibesuisse, dem Verband Kinderbetreuung Schweiz, die negativen Folgen des Personal- und Fachkräftemangels in der Branche abzumildern. «Ohne sie würden sich unsere Mitglieder in einer noch kritischeren und angespannteren Lage befinden», so Wepfer an der Medienkonferenz der Referendumsallianz.
Die «Zivis» würden nicht dem gesetzlich vorgeschriebenen Betreuungsschlüssel angerechnet, betont Wepfer. Vereinfacht gesagt: Kitas müssen entsprechend der Anzahl Kinder jederzeit genügend ausgebildetes Fachpersonal einsetzen – Zivildienstleistende hin oder her.
Deren Arbeit werde von allen Beteiligten sehr geschätzt: «Es ist eine Win-Win-Win-Situation», sagt Wepfer. Die Zivildienstleistenden verrichteten sinnstiftende Arbeit und sammelten dabei wichtige Erfahrungen. Die Kitas profitierten von den Zivis, die Aufgaben wahrnehmen können, für die sonst im Betreuungsalltag kaum Zeit bleibt. Davon profitierten besonders die Kinder, das sei auch im Sinne der Eltern. Für die Kinder sei es besonders wertvoll, dass sie dank den Zivildienstleistenden in der meist weiblich geprägten familienergänzenden Bildung und Betreuung auch männliche Bezugspersonen erleben.
«Blauer Weg» statt Wechsel zum Zivildienst
Gemäss Zahlen von 2016 waren schweizweit nur acht Prozent des Personals in der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung Männer. Im Vorschulbereich, also bei den Kitas, waren es noch weniger. Der Männeranteil bei den Abschlüssen im Lehrgang Fachperson Betreuung mit Fachrichtung Kind lag 2024 bei unter 15 Prozent.
Gemäss Erfahrungswerten der Kibesuisse-Mitglieder würden bis zu 10 Prozent der jungen Männer, welche ihren Zivildiensteinsatz in einer Kita leisten, sich für einen entsprechenden Beruf in der familienergänzenden Bildung und Betreuung entscheiden, erläutert Maximiliano Wepfer: «Zivis sind nicht nur Lückenfüller, sondern wichtig für die Erhaltung des Fachkraftpotenzials.»
Nebst Kitas würden mit der Gesetzesänderung zukünftig auch in Einsatzbetrieben wie Spitälern, Pflegeheimen oder Bergbauernhöfen Zivildienstleistende fehlen, warnt die Referendumsallianz.
Die beschlossenen Massnahmen machten den Zivildienst unattraktiv, ohne dass sie der Armee helfen, sagte SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf (ZH), Co-Präsidentin von Civiva. Armeeangehörige, die heute zum Zivildienst wechseln, würden künftig wieder vermehrt den blauen Weg über die medizinische Ausmusterung wählen, so Seiler Graf: «Diese jungen Leute fehlen dann in beiden Organisationen.» (aargauerzeitung.ch)