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Nach dem Abgang der Ruag-Chefin: Das laute Schweigen von Viola Amherd

Nach dem Abgang der Ruag-Chefin: Das laute Schweigen von Viola Amherd

Sie kritisierte als Chefin des bundeseigenen Rüstungsbetriebs die Neutralitätspolitik der Regierung: Nach nur einem Jahr muss Brigitte Beck ihren Job abgeben. Doch für Verteidigungsministerin Amherd ist die Affäre damit wohl noch nicht ausgestanden.
08.08.2023, 07:2008.08.2023, 07:20
Stefan Bühler und Francesco Benini / ch media
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Als der Kollege nach dem Interview mit Brigitte Beck in die Redaktion zurückkehrte, wirkte er geradezu entgeistert: Die Ruag-Chefin habe im Gespräch Aussagen gemacht, «mit denen sie ihren Job riskiert, wenn das Interview so erscheint», sagte er. Das war Ende April.

Brigitte Beck ist seit ungefähr acht Monaten CEO der Ruag MRO.
Brigitte Becks Abgang wurde am Montag kommuniziert.Bild: zvg

Das Interview ist dann zwar nicht erschienen. Den Job gekostet hat es Beck jetzt trotzdem. «CEO Brigitte Beck verlässt die Ruag MRO Holding AG», teilte der Rüstungskonzern gestern Montag, 7. August, mit. Der Entscheid erfolge vor dem Hintergrund zweier öffentlicher Auftritte Becks und der daraus entstandenen Kontroverse.

Es sollte das erste grosse Interview Becks werden, damals im April. Im Juni letzten Jahres hatte die als Finanzexpertin mit Erfahrung in der Maschinen- und Energieindustrie angekündigte Managerin ihren Posten an der Spitze der Ruag angetreten. Im Gespräch mit CH Media nahm sie Stellung zu aktuellen Fragen.

Dabei kritisierte sie die Neutralitätspolitik des Bundesrats unverblümt, dies als Vertreterin des Rüstungsunternehmens des Bundes. Und sie räumte ein, dass sich manche Aufträge für die Ruag nicht lohnten - was freilich nicht so schlimm sei, profitiere doch die Armee davon. Man kann das offen nennen. Oder unbedarft.

Jedenfalls trat bei der Autorisierung des Gesprächs jemand im Konzern auf die Bremse. Die von Beck autorisierte Version hatte mit dem Gespräch nicht mehr viel gemeinsam. Selbst Fragen wurden abgeändert. Derweil intervenierte ein PR-Berater bei der Redaktion, bedeutete, dass die Publikation der nicht autorisierten Version eine Klage nach sich ziehen würde, was für CH Media teuer werden könnte. Es sei bereits ein Medienanwalt engagiert. Nach mehrtägigen Verhandlungen entschied die Redaktion, statt des Interviews einen Artikel über die Vorgänge zu publizieren. Angebote, das Interview zu überarbeiten, schlug Beck aus.

Aufruf zu Vertragsbruch: Beck legt nach – vor laufender Kamera

Doch Beck hatte ihre Lektion offenbar nicht gelernt. Nur wenige Tage später trat sie an einem öffentlichen Podium auf, das online gestreamt wurde. Die Debatte drehte sich erneut um die Lieferung von Schweizer Rüstungsgütern an die Ukraine: «Deutschland oder Spanien: Liefert doch dieses Zeug in die Ukraine», sagte Beck: «Sie verlangen von uns, dass wir unsere Gesetze brechen. Aber sie könnten … Was würden wir tun? Nichts.» Sie glaube nicht, dass es Konsequenzen hätte, «wenn sie diese Waffensysteme weiterliefern» würden. Es war ein Aufruf, Verträge mit der Schweiz zu brechen. CH Media machte auch diesen Fehltritt publik.

Die Reaktionen aus der Politik folgten auf den Fuss, die SVP kritisierte Beck scharf. Und selbst Verteidigungsministerin Viola Amherd ging vorsichtig auf Distanz: Sie würde nie einem andern Land Empfehlungen abgeben, was es machen sollte, sagte sie im Fernsehen SRF.

Laut Ruag-Medienstelle sind es diese beiden Vorfälle, die Beck nun den Job gekostet haben. Doch es gab da auch noch die Episode rund um die 96 Panzer des Typs Leopard 1. Diese gehören der Ruag und lagern in Italien. Die Ruag wollte sie an die deutsche Rheinmetall verkaufen, die sie im Auftrag der Niederlande modernisieren und an die Ukraine liefern sollte. Doch der Bundesrat lehnte das Export-Gesuch der Ruag ab, mit Hinweis auf die Neutralität. Amherd soll, entgegen der Regierungsmehrheit, den Deal unterstützt haben.

Amherd verweist auf Verwaltungsrat, doch dieser ist abgetaucht

Das wirft die Frage nach der Rolle von Mitte-Bundesrätin Amherd in der Affäre Beck auf: Fühlte sich die Ruag-Chefin von den Positionsbezügen der Verteidigungsministerin ermutigt, die rigide Neutralitätspolitik des Bundesrats öffentlich zu kritisieren und trotz negativer Signale der Fachbehörden anderer Departemente den Panzerdeal voranzutreiben?

Die Bundesraetin Viola Amherd bei ihrer Rede anlaesslich der Bundesfeier Luzern auf dem Europaplatz vor dem KKL vom Montag, 31. Juli 2023 in Luzern. (KEYSTONE/Urs Flueeler).
Viola Amherd bei ihrer Rede anlässlich der Bundesfeier Luzern vor dem KKL, aufgenommen am 31. Juli 2023.Bild: keystone

Es ist hinlänglich bekannt, dass Amherd seit Ausbruch des Krieges auf eine weniger enge Auslegung der Neutralität drängt und, unterstützt von Aussenminister Ignazio Cassis, wiederholt auf eine Lockerung der Waffenexport-Bestimmungen drängte, freilich erfolglos.

Wie also hat Amherd auf die Äusserungen Becks reagiert - hat sie hinter den Kulissen persönlich auf deren Rücktritt gedrängt? Auf Anfrage teilt ihr Sprecher mit, man nehme Becks Rücktritt zur Kenntnis. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen. Das Geschäft stehe in der Verantwortung des Verwaltungsrats der Ruag MRO Holding. Dessen Präsident, Nicolas Perrin, war freilich am Montag für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Ein paar knappe Sätze des Verwaltungsrats sind im Communiqué zu Becks Rücktritt zu finden. Zunächst die Floskel: «Der Verwaltungsrat respektiert den Entscheid und dankt der scheidenden CEO für ihre Verdienste.» Sodann geht das gut bezahlte Gremium in eine Verteidigungsposition und hält vorsorglich fest: Der Verwaltungsrat habe aufgrund der Vorfälle «seine Aufsichtspflicht wahrgenommen» und die Einzelheiten einer vertieften Abklärung unterzogen.

Das Resultat dieser internen Arbeiten habe weder straf- noch sanktionsrechtliche Vergehen zutage gefördert. «Es führte aber für beide Seiten zur Erkenntnis, dass die anhaltende Kontroverse nur über einen Führungswechsel zu beenden ist.» Womit gesagt ist: Auch der Verwaltungsrat kam offensichtlich zur Einschätzung, dass Beck als operative Chefin des Konzerns nicht länger tragbar ist.

Nebenbei: Weder der Journalist, der das Interview geführt hatte, noch die Redaktionsleitung wurden im Rahmen dieser vertieften Abklärung der Ruag zu den Vorfällen von April und Mai kontaktiert.

Auf Rückfrage von CH Media sagt eine Ruag-Sprecherin, Beck trete per sofort zurück, habe aber eine vertragliche Kündigungsfrist von sechs Monaten. Folglich dürfte sie noch ein halbes Jahressalär erhalten. Geht man davon aus, dass sich Becks Lohn in der Grössenordnung ihrer Vorgänger bewegt, dürfte es sich um über 330'000 Franken handeln.

SP fordert parlamentarische Untersuchung der Affäre Beck

Die SVP hatte früh den Rücktritt von Brigitte Beck gefordert. Nun, da sie ihre Funktion an der Spitze der Ruag tatsächlich aufgibt, gibt sich die Volkspartei zurückhaltend. Nationalrat Thomas Hurter sagt: «Der Rücktritt ist keine Überraschung.» Die Ruag sei im Eigentum des Bundes. Es gehe nicht an, dass sich die Chefin des Unternehmens gegen die Haltung des Bundesrates stelle; Frau Beck habe das mit ihren Äusserungen zu den indirekten Waffenlieferungen an die Ukraine getan.

FDP-Präsident Thierry Burkart spricht von einem «Abgang mit Ansage». Frau Beck habe weder im Verwaltungsrat der Ruag noch in der Politik die nötige Unterstützung aufbauen können. Burkart betont, es sei anspruchsvoll, jemanden für diese Position zu finden. «Es braucht Fachwissen in der Rüstungsindustrie, es braucht innen- und geopolitisches Know-how sowie eine gute nationale und internationale Vernetzung. Der Verwaltungsrat der Ruag sollte sich nun überlegen: Will man eher einen Unternehmer- oder einen Verwaltungstyp für die Spitzenfunktion?»

Mitte-Präsident Gerhard Pfister erklärt, der Abgang Becks sei richtig. Pfister nimmt seine Parteikollegin, Verteidigungsministerin Viola Amherd, in Schutz: Es sei falsch, Amherd wegen Äusserungen von Frau Beck eine Fehlbesetzung vorzuhalten.

Heftig fällt hingegen die Reaktion der SP aus. «Die Geschäftsprüfungskommission sollte die Umstände des Abganges von Frau Beck untersuchen», sagt Nationalrätin Franziska Roth. Es gebe Anzeichen, dass es beim Panzerdeal eine Absprache zwischen der Ruag und dem Verteidigungsdepartement unter der Führung von Bundesrätin Viola Amherd gegeben habe. 96 Leopard-1-Panzer hätten über den deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall an die Ukraine geliefert werden sollen; der Bundesrat stellte sich schliesslich gegen den Plan.

Nationalrätin Roth findet, dass die Ruag-Chefin nicht gut kommuniziert habe - aber es sei nun abzuklären, ob der Bundesrat sie ins offene Messer habe laufen lassen. Die Landesregierung wirke in der versprochenen Unterstützung der Ukraine strategie- und orientierungslos, denn sie verhindere die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial und setze vor allem die Sanktionen gegen das Putin-Regime nicht richtig um. (aargauerzeitung.ch)

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23 Kommentare
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Hierundjetzt
08.08.2023 08:34registriert Mai 2015
Frau Beck war Teamleiterin beim bernischen Energieversorger BKW, angestellt in Dübi als Teamleiterin Erneuerbare Energie in einer kleinst BKW-Tochtergesellschaft

schwuuuups

Direktorin Rüstungskonzern mit 2500 Mitarbeiter

Come on…
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