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Militärjustiz bestraft Unteroffiziere wegen Hitler-Memes

«Subtiler schwarzer Humor» – Militärjustiz bestraft Unteroffiziere wegen Hitler-Memes

Die Militärjustiz bestraft zwei Unteroffiziere wegen Rassendiskriminierung. Es geht um eine Grundsatzfrage: Wann sind Nazisprüche auf Whatsapp strafbar?
21.02.2022, 13:27
Andreas Maurer / ch media
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Benjamin sah es mit 19 Jahren als seine patriotische Pflicht an, die Rekrutenschule zu absolvieren. Als er sein Zimmer in der Kaserne bezog, wurde er dort von seinen Kameraden in einen Whatsapp-Gruppenchat mit 14 Teilnehmern aufgenommen. Auf dem Smartphone blinkten nun verstörende Meldungen auf.

  • Ein Meme zeigt Adolf Hitler in einer Schule. Er schreibt auf eine Wandtafel: «Ich vergesse – ich vergass – ich vergaste».
  • Ein Meme zeigt Hitler vor einem Konzentrationslager. Dazu steht: «Du kannst Juden nicht hassen, wenn es keine Juden gibt – Adolf 1942».
  • Ein Meme zeigt Hitler mit dem Text: «DAS LEBEN IST WIE BELGIEN – MANCHMAL MUSST DU EINFACH DURCHMARSCHIEREN».

Benjamin erschrak. Er ist Jude, doch er traute sich nicht, etwas zu sagen. Nazisprüche waren allgegenwärtig und niemand widersprach.
Er versuchte, Hilfe zu holen. Zuerst wandte er sich an die Seelsorge der Armee, doch diese war abwesend. Dann meldete er sich beim psychologischen Dienst, der den Fall dem zuständigen Kommandanten weiterleitete. Dieser hatte jedoch kein Verständnis für Benjamins Sorgen und schimpfte mit ihm.​

ARCHIVBILD ZUR MELDUNG, DASS ALLE WKS DER ARMEE, DIE KEINEN BEZUG ZUR CORONAVIRUS PANDEMIE AUFWEISEN, BIS ENDE JAHR AUSGESETZT WERDEN, AM MITTWOCH, 28. OKTOBER 2020 - Soldaten mit Schutzmasken bei der ...
Soldaten bei der Fahnenabgabe des Infateriebataillons 65, Juni 2020.Bild: keystone

Wie der «Fall Benjamin» publik wurde

Nach zwei Monaten brach Benjamin die RS ab und meldete sich für den Zivildienst an. Er wusste nicht, wie er mit dem Erlebten umgehen sollte, und fragte den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund um Rat. Dort kannte ein Mitglied einen Schulkommandanten und erzählte ihm vom Fall. Dieser schaltete die Militärjustiz ein.

Dann passierte lange Zeit nichts. Als die Ermittler nach mehr als einem Jahr noch kein Resultat vorweisen konnte, meldete sich Benjamin beim «Tages-Anzeiger», der die Geschichte publik machte – auf drei Zeitungsseiten.

Nun sah sich die Armee zum Handeln gezwungen. Sie schuf ein Pilotprojekt zur Sensibilisierung und eine unabhängige Anlaufstelle bei Problemen.

Wann sind Nazisprüche auf Whatsapp strafbar?

Mittlerweile hat die Militärjustiz ihre Verfahren abgeschlossen. Sie verurteilt zwei ehemalige Rekruten wegen Rassendiskriminierung. Diese sogenannten Strafmandate sind rechtskräftig und liegen CH Media vor.

Die Strafverfahren gehören zu den ersten in der Schweiz, welche die Frage klären, wann Rassendiskriminierung in Gruppenchats strafbar ist. Im normalen Strafgesetz gelten diesbezüglich die gleichen Grundsätze wie im Militärgesetz. Dazu ist zu wissen: Rassismus ist in der Schweiz nicht strafbar, sondern nur Rassendiskriminierung.

Ein Beispiel: Das Tragen einer Armbinde mit einem Hakenkreuz ist nicht verboten. Dies gilt als Bekenntnis, das durch die Meinungsfreiheit geschützt ist. Der Bundesrat hat eine Verschärfung kürzlich abgelehnt. Verboten ist aber etwa, ein Hakenkreuz an eine Wand zu malen. Dies gilt als Verbreiten der Ideologie und somit als Rassendiskriminierung.

Schwierige Abgrenzung zwischen öffentlich und privat

Bei Gruppenchats ist entscheidend, ob sie als öffentlich oder privat eingestuft werden. Massgeblich ist dabei nicht die Teilnehmerzahl, sondern die Beziehung der Mitglieder.

Ist die Gruppe privat, kann davon ausgegangen werden, dass die Teilnehmer die Inhalte nicht weiterverbreiten. Das würde zum Beispiel für einen Familienchat gelten. Dort dürfen Hakenkreuze und Hitler-Memes ohne strafrechtliche Folgen geteilt werden. Keine Privatheit besteht hingegen, wenn die Mitglieder der Gruppe nur in losem Kontakt zueinander stehen. Das würde zum Beispiel für einen Klassenchat gelten – oder für den Chat einer Militäreinheit, wie die Strafmandate zeigen.

Die Täter müssen nur kleine Bussen zahlen

Beide Rekruten stritten zuerst alles ab. Erst als die Militärjustiz ihnen die gesicherten Dateien vorlegte – im einen Fall waren es 23, im anderen vier – gaben sie alles zu. Der eine sagte, er habe sich nichts überlegt und solchen «Scheiss» einfach geschickt. Er wollte die Kollegen damit beeindrucken. Der andere behauptete, es handle sich um «subtilen schwarzen Humor».

Die Memes können gemäss der Militärjustiz aber nichts als «Spass» oder «Entgleisung» abgetan werden, da damit öffentlich eine systematisch herabsetzende Ideologie verbreitet werde. Sie verhängt bedingte Geldstrafen. Werden die Täter nicht rückfällig, müssen sie nur Bussen von 180 und 50 Franken zahlen und Gerichtsgebühren von je 450 Franken.

Beide dürfen zudem in der Armee bleiben. Sie machten inzwischen sogar Karriere und sind heute Wachtmeister und Fourier (höherer Unteroffizier).

Haben sie etwas gelernt?

Benjamin interessiert sich nicht für die Strafen. Damit werde das Problem nicht gelöst. Die grösste Enttäuschung war für ihn ohnehin nicht das Verhalten der Rekruten, sondern des Kommandanten, der das Problem nicht ernst nahm. Benjamin sagt: «Ich hoffe, dass in der Armee ein Umdenken stattfindet.»

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76 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ELMatador
21.02.2022 14:31registriert Februar 2020
Ich teile die Meinung von Benjamin. Wenn ich von solch einem Kdt wind bekommen würde, würde ich alles in Bewegung setzen, damit er seinen Posten verliert. Es geht nicht darum, was gezeigt wurde, sondern dass sich der Schulkommandant (Lehrbeauftragter) über eine ihm zum Schutz und zur Ausbildung unterstellte Person und deren leid lustig gemacht hat.

Dies ist nicht tolerierbar und führt nur dazu, dass das Militär noch weniger ernst genommen wird. Bei und gilt steht eine Politik der offenen Tür, egal für welchen Rang und Funktion und dies sollte in jeder Einheit so sein.
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Qui-Gon
21.02.2022 14:40registriert April 2015
In der Armee erlebt man seit je her sehr viel Grusiges und nicht Zitierbares. Heute wird es wegen Watts App und Co. einfach mehr publik.
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Salvatore_M
21.02.2022 14:18registriert Januar 2022
Nazisprüche sind in der Schweizer Armee inakzeptabel. Leider aber kommen sie vor. Wenn die Generation von Schweizer Soldaten, die in den 40-er Jahren im Aktivdienst war, die ‘lockeren’ Sprüche der heutigen Generation lesen würde (oder noch lesen könnte), es würde sich ihnen der Magen umdrehen.
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