Schweiz

Präimplantationsdiagnostik: 62.4 Prozent sagen Ja zur Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes

62,4 Prozent: Schweiz sagt Ja zur Präimplantationsdiagnostik

Im Reagenzglas gezeugte Embryos dürfen künftig vor der Einpflanzung in den Mutterleib untersucht werden. Die Stimmbevölkerung hat die Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes am Sonntag mit 62,4 Prozent Ja-Anteilen angenommen.
05.06.2016, 16:5705.06.2016, 17:24
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Rund 1'490'000 Personen sagten Ja, 897'900 legten ein Nein in die Urne. Ein Ständemehr war nicht nötig. Die Stimmbeteiligung lag bei 46,7 Prozent. Die Referendumsabstimmung über die Präimplantationsdiagnostik (PID) fiel damit ebenso deutlich aus wie der Urnengang über die Verfassungsänderung vor einem Jahr. Dieser hatten fast 62 Prozent zugestimmt.

Damals ging es um die Grundlagen in der Verfassung, damit Tests an Embryos überhaupt medizinisch sinnvoll durchgeführt werden können. Nun hat auch die Gesetzesänderung die Hürde der Volksabstimmung genommen.

Präimplantationsdiagnostik erlaubt es dem Arzt, für die Einpflanzung ein Embryo auszuwählen, das nicht Träger einer schweren Erbkrankheit ist.
Präimplantationsdiagnostik erlaubt es dem Arzt, für die Einpflanzung ein Embryo auszuwählen, das nicht Träger einer schweren Erbkrankheit ist.Bild: KEYSTONE

Klare Regeln

Mit dieser wird das bisher geltende PID-Verbot aufgehoben. Paare, die Träger schwerer Erbkrankheiten sind, können die Eizellen im Reagenzglas befruchten lassen. Präimplantationsdiagnostik erlaubt es dem Arzt, für die Einpflanzung ein Embryo auszuwählen, das nicht Träger der Krankheit ist.

Auch jene Paare profitieren, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können und deshalb auf künstliche Befruchtung zurückgreifen. Sie dürfen in vitro gezeugte Embryos mittels Aneuploidie-Screening auf numerische Chromosomenstörungen wie Trisomie 21 untersuchen lassen. Das macht eine erfolgreiche Schwangerschaft wahrscheinlicher, weil sich gesunde Embryos besser entwickeln.

Die Bestimmung anderer Eigenschaften, etwa des Geschlechts oder der Augenfarbe, ist auch in Zukunft verboten. Ebenfalls unzulässig ist die Auswahl eines Embryos, das einem kranken Geschwister als Stammzellenspender dienen könnte. Es dürfen höchstens zwölf Embryos in vitro gezeugt werden. Jene, die nicht in den Mutterleib eingepflanzt werden, können für eine spätere Behandlung tiefgekühlt aufbewahrt werden.

Grosse Zustimmung in der Westschweiz

Wie schon bei der Verfassungsabstimmung stimmte die Westschweiz diesen Regeln am deutlichsten zu. In der Waadt sagten 85 Prozent Ja, in Genf 81,5 Prozent, im Kanton Neuenburg 74,3 Prozent und im Jura 70,3 Prozent. Sogar im katholischen Wallis stimmten 60 Prozent für die Zulassung der PID. Grösser war die Skepsis in der Zentral- und Ostschweiz. In Obwalden und in beiden Appenzell kamen sogar knappe Nein-Mehrheiten zu Stande.

Die Präimplantationsdiagnostik hatte die Parteien tief gespalten. In den verschiedenen gegnerischen Komitees waren alle Bundeshausfraktionen vertreten, mit Ausnahme der Grünliberalen. Das spiegelte sich auch in den Abstimmungsparolen: SVP und EVP lehnten die Vorlage ab, SP und Grüne beschlossen Stimmfreigabe, die übrigen Parteien sagten Ja.

Den Befürwortern ging es vor allem um die betroffenen Paare. Im Abstimmungskampf führten sie die grosse Belastung ins Feld, der Frauen durch wiederholte erfolglose Befruchtungszyklen und Mehrlingsschwangerschaften ausgesetzt sind. Mit der Aufhebung des Verbots wollten sie auch dem PID-Tourismus einen Riegel schieben. Viele Paare wichen bisher in Länder mit liberaleren Gesetzen aus, etwa nach Belgien oder Spanien.

Schliesslich wollten die Befürworter den Paaren auch die so genannte Schwangerschaft auf Probe nicht weiter zumuten. Anders als im Reagenzglas darf das Embryo im Mutterleib nämlich schon heute untersucht werden. Manche werdende Eltern entschliessen sich zu einer Abtreibung, falls das werdende Kind nicht gesund ist.

Schiefe Ebene

Gegen die Zulassung der PID wehrten sich christliche Kreise und Behindertenorganisationen. Viele Gegner hatten grundsätzliche Bedenken gegen die Embryo-Untersuchung. Sie stellten die Frage nach den Grenzen der technischen und medizinischen Machbarkeit. Im Abstimmungskampf warnten die Gegner auch davor, dass behinderte Kinder und ihre Eltern wegen der vermeintlichen Vermeidbarkeit von Behinderungen zunehmend unter Druck geraten könnten.

Der Bundesrat hatte ursprünglich vorgeschlagen, PID lediglich für Träger schwerer Erbkrankheiten zuzulassen. Damit hätte ein Teil der Gegner noch leben können. Tests an allen im Reagenzglas gezeugten Embryos gehen ihnen aber zu weit. Sie sehen darin einen Schritt hin zur Auswahl bestimmter Eigenschaften, zu «Designer-Babys» und zur Eugenik. Ihre Warnung vor der «schiefen Ebene» hat jedoch nur eine Minderheit der Stimmbevölkerung gehört. (sda)

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