Schweiz
Asylgesetz

Eklat wegen Asylheim: Seelisberger schicken die Regierungsrätin heim

Die Urner Regierungsraetin Barbara Baer spricht anlaesslich einer Infoveranstaltung ueber eine geplante Asylunterkunft, am Donnerstag 4. August 2016, in der Turnhalle von Seelisberg, Kanton Uri. Aus P ...
Schwerer Gang nach Seelisberg: Die Urner Regierungsrätin Barbara Bär versucht, über die geplante Eröffnung eines Asylheims zu informieren.
Bild: KEYSTONE

Eklat wegen Asylheim: Seelisberger schicken die Regierungsrätin heim

In der Urner Gemeinde Seelisberg ist es bei einem Infoanlass für ein geplantes Asylzentrum zum Eklat gekommen. Die zuständige Regierungsrätin wurde beschimpft und musste ihre Präsentation abbrechen. Nun soll ein runder Tisch einberufen werden.
04.08.2016, 22:5205.08.2016, 00:13
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Gegen 400 Personen zwängten sich am Donnerstagabend für die Informationsveranstaltung in die örtliche Turnhalle im 700-Seelen-Dorf oberhalb des Vierwaldstättersees. Vor Ort wollten die Urner Sozialdirektorin Barbara Bär (FDP), weitere Vertreter des Kantons und des Roten Kreuzes über das geplante Erstaufnahmezentrum für bis zu 60 Personen im Hotel Löwen informieren.

Die Regierungsrätin wurde aber gleich zu Beginn ihrer Präsentation von einer Gegnerin unterbrochen. «So nicht!», sagte die Sprecherin einer Interessengesellschaft gegen das Zentrum. Sie warf der Regierungsrätin Mangel an Respekt und Höflichkeit vor. Die Berggemeinde sei in den Sommerferien vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Sie habe mit ihrer politischen Dreistigkeit Unfrieden in der gesamten Gemeinde gestiftet.

Gegen 400 Seelisberger besuchen eine Infoveranstaltung ueber eine geplante Asylunterkunft, am Donnerstag 4. August 2016, in der Turnhalle von Seelisberg, Kanton Uri. Aus Protest verlassen viele Besuch ...
Bild: KEYSTONE

Landrat Oswald Ziegler (CVP) sagte, der 700-Seelen-Ort Seelisberg lebe vom Tourismus und sei nicht fremdenfeindlich. Man habe stets Gäste beherbergt. Aber bis zu 60 Asylsuchende könne die Gemeinde nicht verkraften und treibe sie in den Ruin. Die Flüchtlinge müssten proportional auf alle 20 Gemeinden verteilt werden.

Weiter hiess es, 60 Asylbewerber auf den Berg nach Seelisberg zu schicken, werde die Dorfgemeinschaft nicht zulassen. An die Adresse der Regierungsrätin sagte eine weitere Bürgerin: «Kommen Sie wieder, wenn Sie einen vernünftigen Vorschlag präsentieren können.»

Abbruch nach einer Stunde

Unter Protest verliessen die Besucher nach und nach den Saal. Einige blieben vergeblich und wollten sich das Konzept der Regierungsrätin anhören. Der Anlass wurde schliesslich rund eine Stunde nach Beginn nach einem Vorschlag von Gemeindepräsident Karl Huser-Lüönd abgebrochen.

Das Hotel Loewen direkt neben dem Schulhaus von Seelisberg, fotografiert anlaesslich einer Infoveranstaltung ueber eine geplante Asylunterkunft, am Donnerstag 4. August 2016, in Seelisberg, Kanton Uri ...
Hier sollen dereinst bis zu 60 Asylsuchende untergebracht werden.
Bild: KEYSTONE

Regierungsrätin Barbara Bär hatte mehrmals vergeblich versucht, ihren Vortrag fortzusetzen. Sie zeigte sich enttäuscht über die vehemente Gegenwehr der Gemeinde. Die Regierungsrätin kritisierte, Gemeindevertreter hätten die Stimmung noch angeheizt anstatt die Wogen zu glätten.

Bär will am Standort festhalten

Bär erklärte nach Abbruch der Veranstaltung im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda, sie wolle am geplanten Standort für das Asylzentrum in Seelisberg festhalten. Die Zahl der aufzunehmenden Asylbewerber, die der Kanton mit maximal 60 angegeben hat, sei nicht in Stein gemeisselt. Bär will nun einen runden Tisch einberufen mit Vertretern des Kantons, des Gemeinderats und der Interessengemeinschaft.

Das geplante Asylzentrum für 60 Personen im ehemaligen Hotel Löwen in Seelisberg ist neben einer grösseren Unterkunft in Altdorf die einzige solche Anlage im Kanton Uri. Bisher wurden Flüchtlinge in kleineren Gruppen und vor allem in Wohnungen untergebracht.

Per Flugblatt angekündigt

Die Urner Regierung hatte das Vorhaben in Seelisberg nach Beginn der Sommerferien per Flugblatt angekündigt. Das Erstaufnahmezentrum soll Anfang September für zwei Jahre eröffnet werden. Die Regierung will dort vor allem junge Männer einquartieren.

Eine Aufschrift mit dem Text "Vernuenftige Asylloesung", fotografiert anlaesslich einer Infoveranstaltung ueber eine geplante Asylunterkunft, am Donnerstag 4. August 2016, in Seelisberg, Kan ...
Seelisberg UR wehrt sich gegen ein Asylheim im Dorf.
Bild: KEYSTONE

Um den Betrieb kümmert sich das Rote Kreuz. Das Zentrum wird als 24-Stunden-Betrieb geführt. Die Flüchtlinge werden rund um die Uhr beaufsichtigt.

Eine Interessengruppe im Dorf hatte Ende Juli eine Petition gegen das Projekt lanciert. Eine Sprecherin sagte, eine Mehrheit der Dorfbevölkerung würde das Begehren unterstützen. Der IG gehören etwa der Gemeindepräsident und weitere Mitglieder des Gemeinderats sowie Tourismusvertreter an.

Die IG befürchtet Veränderungen im Dorfleben, Sicherheitsprobleme und wirtschaftliche Nachteile. Sie schlägt Standorte ausserhalb von Kernzonen und abseits von Schulen vor.

Das Hotel Löwen in Seelisberg ist der kantonalen Sozialdirektion als Unterkunft angeboten worden. Weil die Unterbringungskapazitäten für Flüchtlinge in gemieteten Wohnungen erreicht seien, habe der Kanton nach einer grösseren Gruppenunterkunft gesucht. Uri müsse wohl auch 2016 gegen 200 neue Flüchtlinge aufnehmen. Derzeit sind in Uri knapp 480 Personen in 80 Wohnungen in 14 Gemeinden untergebracht. (kad/sda)

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132 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rösleriti
05.08.2016 01:53registriert Januar 2016
Knapp 10% der Einwohner sollen Asylanten sein, das sind wirklich sehr viel.
Aber jemandem mangelden Respekt und Höflichkeit vorwerfen und dabei die Veranstaltung zu Beginn schon unterbrechen. Dies zeugt ebenfalls nicht von Höflichkeit und Respekt.
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ElenderKuschelwuschel
05.08.2016 09:34registriert Juni 2016
Für alle, die hier vom hohen Ross runter gegen Seelisberg schiesen und die übliche vereinfachende "alles-Rassisten-Leier" anwerfen:
Was der Kanton in Seelisberg geplant hat, ist in etwa das selbe, wie wenn in der Stadt Zürich von 0 auf 100 ungefähr 41'000 Asylbewerber untergebracht werden müssten. Welcher Stadtteil meldet sich freiwillig?
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Friendo-86
05.08.2016 09:17registriert August 2015
Es scheint mir wichtig, auf die örtlichen Verhältnisse aufnerksam zu machen und darauf, dass sich die Wut der Seelisberger in erster Linie gegen die Urner Regierung richten dürfte.

Aufgrund seiner geographischen Lage gehört Seelisberg zwar zu Uri, ist aber abgeschnitten vom Rest des Kantons. Für viele Seelisberger entsteht nun der Eindruck, dass man sich just dann an sie erinnere, wenn es darum gehe, Flüchtlinge unterzubringen.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Ärger nachvollziehbar - wie wäre es beispielsweise gewesen, wenn man sich stattdessen für Andermatt entschieden hätte?
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