Schweiz
Banken

Twint: Wie digitale Bezahlung zur Schuldenfalle für Junge werden kann

Symbolbild: Frau vor Laptop-Bildschirm.
Beim Onlinekauf locken Angebote von «Buy now, pay later»-Anbietern mit Krediten ohne Gebühren und Zinsen.Bild: Shutterstock

Wie digitale Zahlungsabwickler zur Schuldenfalle für Junge werden können

Digitale Zahlungsabwickler werben mit Raten- und Rechnungskauf ohne Gebühren und Zinsen. Vor allem junge Erwachsene werden damit angesprochen. Experten sind besorgt.
10.07.2025, 21:4811.07.2025, 14:58
Meret Häuselmann / ch media
Mehr «Schweiz»

Es ist kurz vor dem Zahltag, das Bankkonto ist leer, aber das Angebot zu gut – das neue Handy muss gekauft werden. Also wird die Bestellung abgeschickt. Bezahlt wird später. Ob Nike, Ikea, Conforama oder Interdiscount – die Zahl der Unternehmen, die dies anbieten, steigt. Viele nutzen dafür den schwedischen Zahlungsabwickler Klarna. Auf seiner Website führt dieser bereits mehr als tausend Schweizer Händler auf.

Doch im Gleichschritt mit der Popularität wächst auch die Kritik an dem «Buy now, pay later»-Modell (BNPL). Vor allem die im März dieses Jahres angekündigte Zusammenarbeit zwischen Klarna und dem US-Essenslieferanten Door Dash löste ein grosses mediales Echo aus. Es gebe «jetzt also auch Pad Thai und Quesadillas auf Kredit», schrieb etwa die NZZ. Vor allem in den USA warnten verschiedene Experten vor dem durch die Ausbreitung solcher Bezahlmodelle steigenden Risiko einer Überschuldung.

Verzugszinsen und Mahngebühren drohen

Dabei handelt es sich bei «Buy now, pay later» in seiner Grundform um die klassische Bezahlung auf Rechnung – nur digital. Anbieter wie Klarna und Cembra Pay ermöglichen mit einem Klick eine um 30 Tage verschobene Zahlungsfrist. Auch für die Händler lohnt sich der Rückgriff auf solche Zahlungsabwickler: Klarna verspricht den Händlern, dass sie ihre durchschnittlichen Bestellwerte um 23 Prozent steigern können, die Kaufhäufigkeit um 46 Prozent.

Dazu kommt eine finanzielle Absicherung: Die digitalen Zahlungsabwickler garantieren oder überweisen den geschuldeten Betrag vorab. Damit werden sie zu Gläubigern – und das kann für Konsumenten unter Umständen teuer enden.

Etwa für einen 19-Jährigen, der die Funktion «Später bezahlen» von Twint und der Cembra-Tochter Swissbilling genutzt hat. Mit dieser kann die Zahlung in Online-Shops um bis zu 30 Tage aufgeschoben werden. So habe der junge Mann in wenigen Monaten rund 3000 Franken Schulden angehäuft hat. Diesen Fall schildert Pascal Pfister, Geschäftsleiter der Schuldenberatung Schweiz. «Und weil Swissbilling auf jede der vielen kleinen Rechnungen hohe Mahngebühren draufschlägt, belaufen sich die Schulden von Jonas jetzt auf 4500 Franken», hält er im Blog der Schuldenberatung fest.

Schulden
Auch Ratenzahlung kann zur Schuldenfalle werden.Bild: shutterstock

Auch bei Klarna wird gemäss den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Kauf auf Rechnung pro Zahlungserinnerung eine Mahngebühr «von bis zu 30 Franken sowie weitere Gebühren» fällig. Wer zudem bei Ablauf der Zahlungsfrist nicht bezahlt hat, gerät «ohne weitere Mahnung in Verzug» und muss Verzugszinsen von 8 Prozent bezahlen.

«Schuldenrisiko besteht»

«Das ist insofern problematisch, als junge Personen die Später-Bezahlen-Angebote anders wahrnehmen als Kredite», sagt Pascal Pfister auf Anfrage. «Klarna und Co. werben damit, dass weder Zinsen noch Gebühren anfallen.» Damit würden gezielt junge Personen, die Respekt vor Kreditkarten hätten, angesprochen. Verlässliche Zahlen dazu, wie viele junge Personen aufgrund dieser Anbieter zur Schuldenberatung kommen, liegen laut Pfister keine vor. «Aber wir stellen fest, dass tatsächlich ein Schuldenrisiko besteht.»

Auch bei der Ratenzahlung, welche bei den meisten digitalen Zahlungsabwicklern ebenfalls Teil des Angebots ist: Wer beispielsweise ein Sofa des Online-Möbelhändlers Beliani über Klarna bezahlen möchte, hat die Möglichkeit, den Gesamtpreis in drei monatlichen Zahlungen zu begleichen. Wer mehrere solche Verträge abschliesst, riskiert, den Überblick über die Höhe der monatlich fälligen Zahlungen zu verlieren.

So bewirbt der Online-Möbelhändler Beliani die Klarna-Ratenzahlung.
So bewirbt der Online-Möbelhändler Beliani die Klarna-Ratenzahlung.Bild: screensot beliani

Zu diesem Schluss kommt eine im vergangenen Jahr publizierte Studie der Stanford-Universität und der University of California Irvine. Diese zeigt, dass Nutzer von solchen Ratenzahlungen bereits kurze Zeit nach der Erstnutzung höhere Banküberziehungsgebühren und Kreditkartenzinsen verzeichneten als vergleichbare Nicht-Nutzer.

Anbieter betonen genaue Prüfung

«Man muss unterscheiden, was gekauft wird. Bei einer grossen Investition, beispielsweise für eine Weiterbildung, kann ein Kredit Sinn ergeben. Güter für den täglichen Bedarf gehören da nicht dazu», sagt Pfister und warnt: «Die Entwicklung in den USA, eine Essensbestellung auf Rechnung zu bezahlen, verfolge ich mit Sorge.» In den Vereinigten Staaten ist die Bezahlmethode bereits seit längerem auf dem Vormarsch – ein Report aus diesem Jahr zeigt, dass schon 2022 rund ein Fünftel aller Konsumenten mindestens einmal «Buy now, pay later»-Modelle genutzt hatte.

In der Schweiz regelt das Bundesgesetz über den Konsumkredit (KKG) die Pflichten der Unternehmen, die Kredite anbieten. Zwar führten die Anbieter durchaus eine Datenbankabfrage zu bestehenden Schulden und Betreibungen aus, jedoch unterscheide sich diese deutlich von einer Kreditfähigkeitsprüfung, wie sie etwa Banken durchführen müssen, sagt Pfister.

Klarna betont auf Nachfrage, man führe bei jeder einzelnen Transaktion eine Überprüfung von vergangenen Zahlungsdaten und – wenn nötig – externen Kreditauskunfteien durch. Und bei Twint heisst es auf Anfrage, dass die Funktion «Später bezahlen» nur Nutzenden mit positiver Bonitätsprüfung zur Verfügung stehe.

Vorstoss fordert mehr Kontrolle

Auf eine einzelne Ratenzahlung, die innert drei Monaten ohne Aufschub beglichen werden muss, ist das Konsumkreditgesetz grundsätzlich nicht anwendbar, ordnet die auf Konsumkredite spezialisierte Rechtsanwältin Rausan Noori ein. Mit Vorbehalt: Wer etwa mehrere Ratenzahlungen beim selben Anbieter offen hat und die Laufzeiten somit drei Monate übersteigen, «dann ist das KKG aus meiner Sicht wiederum anwendbar», sagt Noori. «Diese Fragen müssten von einem Gericht geklärt werden, was sie wahrscheinlich aber nicht werden. In diesem Bereich gibt es so gut wie nie Rechtsprechungen.» Eine Revision des Gesetzes sei dringend notwendig, findet die Expertin.

Im Frühling hat die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti eine entsprechende Motion eingereicht. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) soll dazu verpflichtet werden, die Aufsicht über die gesetzeskonforme Umsetzung des Konsumkreditgesetzes auszuüben. Der Bundesrat beantragt eine Ablehnung der Motion.

Es gebe sicherlich viele kreditfähige Konsumentinnen und Konsumenten, welche sich BNPL-Kredite leisten könnten, sagt Rausan Noori. Doch es bleibe das Problem, dass – aufgrund der nicht durchgeführten Kreditfähigkeitsprüfung – auch nicht kreditfähige Personen diese Anbieter nutzen. Diese «unkontrollierte Kreditvergabe» führe auch zu einer unkontrollierten Zunahme der Überschuldung, betont die Anwältin.

Genaue Statistiken existieren nicht

Doch wie viele Personen in der Schweiz überhaupt von Verschuldung betroffen sind, weiss niemand so genau. Die Schuldenberatung geht davon aus, dass zwischen 6 und 13 Prozent aller Personen überschuldet sind. Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat letztmals für das Jahr 2022 Verschuldungsdaten erhoben; 12,1 Prozent der Bevölkerung lebte damals in einem Haushalt mit mindestens einem Zahlungsrückstand, wobei Hypotheken auf den Hauptwohnsitz ausgenommen sind. Ob innerhalb des Haushaltes eine Person oder vier Personen Zahlungsrückstände hatten, wurde nicht erhoben. «Der Trend der ansteigenden Verschuldung von jüngeren Personen kann mit den Daten also nicht bestätigt oder widerlegt werden», hält das BFS auf Anfrage fest.

«Das Thema wurde in der Wissenschaft und der Sozialpolitik lange unterschätzt, das spiegelt sich in den Statistiken», sagt Pascal Pfister dazu. Das sei insofern problematisch, da die fehlende Datengrundlage es erschwere, zielgerichtete Massnahmen zu definieren und zu begründen.

Die neueste Erhebung der Schuldenberatung wird im August erscheinen. Diese zeigt, dass der Anteil der unter 30-Jährigen an allen Ratsuchenden im vergangenen Jahr um drei Prozentpunkte auf 26 Prozent angestiegen ist. Das Finanzwissen – vor allem von jüngeren Personen – sei teilweise wenig ausgeprägt, sagt Pfister. «Man ist von den Geschäftsbedingungen überfordert oder versteht die Sprache nicht. Das wird auch gezielt ausgenutzt.»

2022 sei «Buy now, pay later» in der Schweiz noch nicht weit verbreitet gewesen, gibt das BFS an. Bei der nächsten Haushaltsbefragung zur Verschuldung, welche 2026 stattfindet, werde man die BNPL-Option jedoch gemäss Vorgaben von Eurostat in den Ratenzahlungen verbuchen. Publiziert werden die Ergebnisse im Frühjahr 2028. Bis dahin bleiben die Auswirkungen der digitalen Bezahlmethoden auf die Verschuldung im Dunkeln. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Prinz William im Zürcher Letzigrund
1 / 10
Prinz William im Zürcher Letzigrund

Prinz William schüttelt Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider die Hand.

quelle: keystone / michael buholzer
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Neymar, Tom Brady und Co. machen es vor: das bedeutet «Aura Farming»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
81 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Wa’Tsun
10.07.2025 22:43registriert März 2021
Nur Dilettanten rauben eine Bank aus, Profis gründen eine!
Und wieder bewahrheitet es sich…
874
Melden
Zum Kommentar
avatar
bokl
10.07.2025 22:17registriert Februar 2014
Vor allem die irren Mahngebühren müssen zwingend strenger reguliert werden. Erste Mahnung auf jeden Fall kostenlos.
8912
Melden
Zum Kommentar
avatar
Quippo
11.07.2025 06:08registriert August 2020
Das ist nichts Neues, nur das Medium hat sich geändert. Vor 50 Jahren konnte man alles im Katalog bestellen und auf Raten zahlen. Hatte Nachbarn, die selten genug Geld fürs Essen hatten, sich aber - Dank Ratenzahlung - jeden möglichen Luxus leisteten.
550
Melden
Zum Kommentar
81
Der letzte Fischotter
Gezielte Verfolgung, Lebensraumveränderung und Umweltgifte gelten als Ursachen für das Aussterben des Fischotters, wie im Naturama in Aarau vor einem über 100-jährigen, präparierten Exponat zu lesen ist. Das 1990 konstatierte «Ende des Fischotters in der Schweiz» ist eng mit der Wirtschaftsgeschichte verknüpft.
1989 schwamm der vorerst letzte Fischotter in der Schweiz – im Neuenburgersee. Wie viele Menschen sich dieses seltenen Naturschauspiels bewusst waren, lässt sich nicht sagen. Die Fachleute, allen voran die Fischottergruppe Schweiz, wussten, dass die Tage des Fischotters gezählt waren. 1990 schrieben sie in einem Bericht an das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft: «Man wird sich damit abfinden müssen, dass der Fischotter in unserem Land nur in Zoos und Museen vorkommt.»
Zur Story