In der türkischen Gemeinschaft in Basel macht sich Angst breit. Drei hier wohnhafte Türken sind in den vergangenen vier Wochen bei einem Besuch in ihrem Herkunftsland verhaftet worden. Zum Teil direkt am Flughafen von Istanbul.
Was ihnen zum Verhängnis wurde, ist unklar. Die Angehörigen vermuten, dass die offene Sympathie zur kurdischen Oppositionspartei HDP oder Facebook-Posts, die sich gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan richteten, der Grund dafür sind. Anders können sie sich die Inhaftierung nicht erklären.
Die Ungewissheit ist gross: Was wird dem Ehemann, Vater oder Sohn konkret vorgeworfen? Wann steht er vor einem Richter? Und vor allem: Wann kommt er zurück? Gleichzeitig zweifeln viele türkischstämmige Basler, ob sie in diesen Sommerferien noch in die Türkei reisen können oder ob ihnen möglicherweise ein ähnliches Schicksal droht.
Meral (Name geändert) sitzt in ihrem Café, das sie gemeinsam mit ihrem Mann betreibt. Mit ihm fehlt auch der Koch. Das Angebot musste sie auf Getränke und Sandwiches reduzieren. Über eine Woche hat Meral nicht mehr geschlafen. Am 1. Mai reist ihr Mann wegen einem Krankheitsfall in der Familie in die Türkei. «Wir dachten uns nichts dabei. Erdogan hatte Mitte April bekommen, was er wollte. Er ging als Sieger aus der Abstimmung des Verfassungsreferendums», sagt Meral.
Sie und ihr Mann gingen davon aus, dass kritisch denkende Bürger sich nun wieder freier bewegen könnten, dass die Verhaftungswelle verebbte. Sie lagen falsch. Polizisten führten ihren Mann gleich nach der Passkontrolle am Istanbuler Flughafen ab. In der U-Haft erfuhr er, dass ihm zweierlei vorgeworfen wird: Die Mitgliedschaft am Kongress der Demokratischen Gesellschaft (DTK), einer kurdischen Dachorganisation, die acht Jahre zurückliegt; und eine Erdogan kritische Rede vor knapp zwei Jahren anlässlich des HDP-Sieges bei den Parlamentswahlen.
Wieso er seither problemlos mehrfach in die Türkei ein- und ausreisen konnte, ist unklar. Ebenso, wieso ihm die Türkei nun nochmals seine frühere DTK-Mitgliedschaft vorwirft; er verbüsste bereits eine Haftstrafe aus politischen Gründen.
Auch die Angehörigen von Celik (Name geändert) können bloss vermuten, wieso ihn die Polizei in seiner Wohnung in der Türkei festnahm. Seit fast 40 Jahren lebt er im Kanton Baselland. Als sein Vater schwer erkrankte, reiste Celik zu seiner Famlie in die Türkei. Ein paar Tage nach dem Tod seines Vaters Mitte April wartete eine Spezialeinheit auf Celik. Seitdem sitzt er in Haft. Die Angehörigen vermuten als Grund, Posts in den sozialen Netzwerken und seine Mithilfe beim Auftritt einer HDP-Politikerin in Basel.
«Er hat bloss seine politische Meinung kundgetan. Diese war weder militant, noch hat er sich besonders exponiert», sagt ein Angehöriger. Seit Celik in U-Haft sitzt, haben sie keine Informationen aus erster Hand. Der Kontakt ist ausschliesslich über den Anwalt möglich. Von ihm wissen sie, dass Celik stark abgenommen habe, aber immer noch Hoffnung auf eine baldige Freilassung hat. «Er hat ja gegen keine Gesetze verstossen», macht sich auch ein Angehöriger Mut.
Die Sorgen der Familie gelten indes den chaotischen Zuständen in der türkischen Justiz. Aufgrund der zahlreichen Verhaftungen sei es unberechenbar, wann eine Gerichtsverhandlung stattfinde. Celik hat bislang keinen Hinweis in diese Richtung bekommen. Dabei steht er unter einem gewissen Zeitdruck. Er ist im Besitz einer C-Niederlassungsbewilligung. Diese droht er zu verlieren, wenn er länger als sechs Monate ausserhalb der Schweiz verbringt.
Unter den drei Verhafteten, von denen die «Schweiz am Wochenende» Kenntnis hat, befindet sich auch ein Doppelbürger. Auch er sitzt seit Anfang Mai in U-Haft, seine Angehörigen warten seither auf eine Begründung. In solch einem Fall müsste für den diplomatischen Schutz das Schweizer Konsulat informiert werden. Eigentlich. Doch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) warnt auf seiner Webseite, dass die türkische Behörden Doppelbürger «ausschliesslich als türkische Staatsangehörige betrachten» und konsularischen Schutz durch die Schweiz «nicht in jedem Fall» zulassen.
Auf Anfrage teilt das EDA denn auch mit, dass es von der Verhaftung eines schweizerisch-türkischen Doppelbürgers Kenntnis habe. Es wisse zudem von Personen, die an der Ein- oder Ausreise «gehindert wurden». Solche Fälle kennt und fürchtet auch Meral. Im Gespräch mit der «Schweiz am Wochenende» befürchtet sie, dass ihr Mann auch im Fall einer Freilassung das Land nicht verlassen darf. Jede Woche müsste er dann bei der örtlichen Polizei vorstellig werden.
Am Freitag kommt Bewegung in die Sache. Ihr Mann ist überraschend frei gekommen – und bereits in Basel gelandet. Die Gründe für die überraschende Entlassung kennt er nicht. Sicher weiss er nur etwas: In die Türkei reist er nicht mehr so bald. (bzbasel.ch)