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Freisprüche im Sklavinnen-Prozess von Moutier

«Strafrechtlich nicht relevant»: Freisprüche im Sklavinnen-Prozess von Moutier

24.11.2022, 11:3824.11.2022, 16:00
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Ein Gericht in Moutier BE hat einen Vater und seine vier Söhne aus dem Balkan teilweise zu bedingten Strafen verurteilt. Sie sollen ihre Frauen schlecht behandelt haben. Für eine Verurteilung wegen Menschenhandels reichten die Beweise nicht.

Une vue de l'entree du Tribunal regional, agence du Jura bernois le mercredi 23 novembre 2022 a Moutier. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)
Die Verhandlung fand vor dem Bezirksgericht in Moutier statt.Bild: keystone

Nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten», liess das Gericht die schwersten Vorwürfe fallen. Der Vater wurde wegen Verstössen gegen das Ausländergesetz zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 150 Tagen verurteilt. Er entgeht einer Ausweisung aus der Schweiz.

Einer der Söhne erhielt eine bedingte Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu 50 Franken wegen Beleidigung und Drohung. Gegen einen weiteren Sohn verhängte das Gericht eine bedingte Freiheitsstrafe von 120 Tagen, wegen sexueller Handlungen mit Kindern. Die zwei weiteren Söhne wurden freigesprochen.

Beweise nicht hieb- und stichfest

Man brauche solide Beweise, um Menschen hinter Gitter zu bringen, sagte Gerichtspräsident Josselin Richard bei der Bekanntgabe des Urteils.

Das Gericht sei mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert worden, von Seiten der Angeklagten und der Opfer. Bei den Frauen seien die Vorwürfe gegen ihre Männer mit der Zeit immer schärfer ausgefallen. Zudem hätten sie sich manchmal widersprüchlich oder gar unglaubwürdig geäussert.

Wären die Frauen als Opfer von Menschenhandel anerkannt worden, hätten sie von einer Aufenthaltsbewilligung profitiert, kam der Richter zum Schluss.

Gescheiterte Integration

Er ging aber auch mit den Männern hart ins Gericht. Sie hätten ein völlig veraltetes, engstirniges Frauenbild. Die Männer stünden alle unter dem Einfluss der Traditionen ihres Heimatlandes. Die Familie soll nach dem mittelalterlichen albanischen Gewohnheitsrecht des Kanun leben.

Die balkanstämmige Familie bezeichnete Richard als ein Beispiel gescheiterter Integration in der Schweiz. Der Clan sei nur auf sich selbst und und seine Landsleute fixiert.

Der Patriarch soll die Heirat seiner Söhne arrangiert haben, indem er minderjährige Mädchen aus dem Balkan einfliegen liess. Einmal verheiratet, wurden die Frauen laut Anklage unter sklavenartigen Bedingungen gehalten. Die Taten sollen sich rund 15 Jahre lang in Dörfern im Berner Jura ereignet haben.

Weiterzug noch offen

Das Urteil kann an die nächst höhere Instanz weitergezogen werden. Ob dies geschieht, ist noch offen, wie der Rechtsvertreter der Frauen, Dominic Nellen, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.

Der Verteidiger sprach von grosser Erleichterung über das Urteil bei den Angeklagten. Nellen hingegen bezeichnete das Urteil als «desaströs». Das Urteil sende die Botschaft aus, dass die Schweiz die Existenz von Parallelgesellschaften quasi akzeptiere und dies für die Betroffenen keine Konsequenzen habe. (sda)

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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Alter Mann
24.11.2022 12:21registriert September 2020
Nach allem was in der Presse geschrieben wurde ein unverständliches Urteil. Entweder hat die Staatsanwaltschaft bei der Beweissicherung unheimlich geschlampt, oder die Verteidiger waren viel besser, oder mindestens die Hälfte von dem geschriebenen war erfunden. Aber wieder einmal kein gutes Bild der Schweizer Justiz wenn es um Kinder und Frauenrechte geht.
9010
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Glücklich
24.11.2022 14:10registriert August 2022
'Gegen einen weiteren Sohn verhängte das Gericht eine bedingte Freiheitsstrafe von 120 Tagen, wegen sexueller Handlungen mit Kindern.'

Unglaublich aber wahr 'sexueller Handlungen mit KINDERN (Mehrzahl!!)' = BEDINGTE Freiheitsstrafe von 120 Tagen.

Gopf, was ist das für ein Signal für solche Täter?
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Amateurschreiber
24.11.2022 12:15registriert August 2018
Ok, dieser Ausgang hat mich wirklich überrascht!
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32
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317 Menschen haben im vergangenen Jahr am Opferschutzprogramm Menschenhandel der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in der Deutschschweiz teilgenommen. In drei Vierteln der Fälle handelte es sich um Opfer von Menschenhandel.

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