Weshalb selbst politische Gegner «Anti-Rösti» Guy Parmelin schätzen
Der Rücken plagt ihn immer wieder: Guy Parmelin, 66, sieht man oft leicht gebückt durch Bern gehen. Schon mehrmals wurde über einen gesundheitsbedingten Rücktritt des Waadtländer SVP-Vertreters spekuliert.
Das amtsälteste Bundesratsmitglied strafte die Gerüchte Lügen – und blieb. Am Mittwoch wird Parmelin zum zweiten Mal zum Bundespräsidenten gewählt. Fast auf den Tag genau zehn Jahre nach seiner Wahl in die Landesregierung.
Der «Parmelin-Rücken» prägt auch die Postur seines 90-jährigen Vaters Richard. Der Sohn hat sich damit arrangiert. «Je me penche sur la question», kommentierte Parmelin 2024 im «Tages-Anzeiger» die häufigen Nachfragen, ob er denn an Rückenschmerzen leide – «ich beuge mich über die Frage».
Die «welsche Leichtigkeit»
Schlagfertigkeit und Humor werden Parmelin von links bis rechts attestiert. Dieser Humor lebe davon, dass er auch über sich selber lachen kann.
«Er hat eine welsche Leichtigkeit», sagt etwa Bauernverbandspräsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter (SG). In zahlreichen Gesprächen mit Parlamentariern und im Bundesratsumfeld wird Parmelin als Mann beschrieben, der sich nicht wichtiger nimmt und nicht wichtiger macht, als er ist.
Und als authentischer Typ, der sich in der Öffentlichkeit nicht verstellt, um zu gefallen. Die Outfits von Parmelin auf der jährlichen Bundesratsreise haben Kultstatus: Dächlikappe, kurze Hosen, das Handy in der Gürteltasche.
«I can English understand»
Nicht ganz ernst nahmen Parmelin zu Beginn seiner Amtszeit auch andere. Am 9. Dezember 2015 wählte ihn die Bundesversammlung aus einem SVP-Dreierticket. Seine Wahl verhinderte den Einzug von Parteifavorit Thomas Aeschi in den Bundesrat. In den anderen Parteien galt der Zuger vielen als Hardliner. Parmelin hingegen wurde als netter, harmloser, konzilianter SVP-Vertreter gesehen, als schwächerer Bundesrat.
Zunächst schien er diesem Bild zu entsprechen. Parmelin war kein Lautsprecher, kein Alphatier, kein Parteisoldat im Bundesrat. Im Verteidigungsdepartement VBS gelang es ihm zwar, das Armeebudget zu erhöhen, doch er hinterliess auch einige Baustellen.
Bei der ersten Gelegenheit wechselte er Ende 2018 ins Wirtschaftsdepartement WBF. Die Skepsis war gross: Würde Winzer Parmelin den Bauern nach der Pfeife tanzen, fragten sich Freihandelsfreunde. Würde er die Arbeitnehmer schwächen, fragten sich Gewerkschafter.
Und alle fragten sich: Würde er an der Spitze dieses stark international ausgerichteten Departements auf dem diplomatischen Parkett bestehen? Parmelin hatte bei einem Hearing vor seiner Wahl gesagt: «I can English understand, but je préfère répondre en français.» Die Zweifel an seinen Englischkenntnissen waren sogar der «New York Times» eine Schlagzeile wert.
Sieben Jahre später sind diese Zweifel ausgeräumt. Diesen Herbst reiste Parmelin drei Mal für die Zollverhandlungen nach Washington – und parlierte dabei problemlos auf Englisch.
Auf der ganz grossen internationalen Bühne stand er 2021 während seines ersten Präsidialjahres beim Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Kremlherrscher Wladimir Putin in Genf. Gastgeber Parmelin geriet dabei nie ins Stolpern.
Dass ihm die Sorgen der Bauern besonders am Herzen liegen, bestreitet niemand. Doch unter seiner Ägide schloss die Schweiz zahlreiche Freihandelsabkommen ab – etwa mit Indien. Zu den Gewerkschaften pflegt er einen guten Draht.
«Wer ihn nicht kennt, unterschätzt ihn»
Jacqueline de Quatro ist nicht überrascht, dass Parmelin an Statur gewonnen hat: «Wer ihn nicht näher kennt, tendiert dazu, ihn zu unterschätzen», sagt die Waadtländer FDP-Nationalrätin. Sie kennt Parmelin seit über 25 Jahren. Er dränge sich nicht in den Vordergrund, suche keine grossen Auftritte oder öffentlichen Auseinandersetzungen. Parmelin sei aber als Bundesrat sehr kompetent, zielgerichtet und erfolgreich: «Er kennt die Dossiers und hat ein Gespür für politische Mehrheiten», sagt de Quattro.
«Er ist ein Pragmatiker, kein Dogmatiker», sagt der Waadtländer SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard. Auch der Präsident des Gewerkschaftsbundes SGB kennt Parmelin seit Jahrzehnten. Parmelins Stärke sei es, die politisch entscheidenden Kräfte zusammenzubringen und mit ihnen Kompromisse zu erarbeiten. Dies hat Maillard etwa bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern über die Lohnschutzmassnahmen zum neuen EU-Vertragspaket erlebt.
Eine zentrale Rolle bei diesen Verhandlungen spielte Helene Budliger Artieda. Parmelin berief sie im Sommer 2022 zur Staatssekretärin für Wirtschaft. Maillard rühmt sie, wie alle Gesprächspartner, als starke Persönlichkeit und gute Verhandlerin. Parmelin lasse ihr viel Spielraum. Er störe sich nicht daran, dass ihm seine Staatssekretärin manchmal das Rampenlicht stehle oder an Medienkonferenzen widerspreche: «Parmelin ist kein autoritärer oder eitler Typ», so Maillard.
Auch SP-Nationalrat und Europafreund Eric Nussbaumer (BL) ist zufrieden mit Parmelins «kollegialer und engagierter» Rolle bei den Lohnschutz-Verhandlungen. Von Parmelin sei keinerlei öffentliches Störfeuer gegen das EU-Vertragspaket gekommen. «Auch nicht zwischen den Zeilen eines Interviews», sagt Nussbaumer mit Blick auf Parmelins Parteikollegen Albert Rösti, der genau dies beim Stromabkommen mit der EU tat, das er vertritt.
Am Kontrast zu Rösti lässt sich Parmelins Rolle im Bundesrat und in seiner Partei nachzeichnen. Zwar wird die Deutschschweizer SVP-Basis aufgrund der Sprachbarriere mit Parmelin weniger warm als mit dem jovialen Berner Oberländer Rösti. Dennoch ist Parmelin in der Partei und der Fraktion fest verankert.
Geht es im Bundesrat um Zuwanderung, EU und Asyl, die Kernthemen der Partei, verfassen die beiden SVP-geführten Departemente in enger Abstimmung scharfe Mitberichte.
Doch während Rösti in den Sitzungen eher mal eine Grundsatzrede halte und die Reibung im Gremium suche, halte sich Parmelin meistens zurück, heisst es aus einem anderen Departement. Er sei ein Teamplayer, der Institution Bundesrat und der Kollegialität verpflichtet:
Für Bauernpräsident Ritter sind die beiden SVP-Magistraten «sehr unterschiedliche Typen und trotzdem vielfach erfolgreich». Rösti, mit seinem ETH-Doktortitel, seiner Karriere in Verwaltung, Verbänden und als Parteipräsident, sei der Intellektuellere der beiden, spiele eher auf der Klaviatur der Machtpolitik, greife stärker in die ihm unterstellten Ämter ein. Parmelin komme von der bäuerlichen Basis, trete zurückhaltender auf, delegiere mehr.
Beim Zolldeal «schlecht kommuniziert»
Unter die vielen freundlichen Worte mischt sich auch Kritik. So habe Parmelin das mit den USA vereinbarte Grundlagenpapier zur Lösung des Zollstreits «schlecht kommuniziert», sagen mehrere Parlamentarier.
Das Weisse Haus publizierte am Tag der Einigung ein Faktenblatt mit der US-Sichtweise auf das «Joint Statement». Vom Bundesrat kamen nach Parmelins Pressekonferenz keine weiteren offiziellen Informationen. Dies nährte Spekulationen über Zugeständnisse an die Trump-Regierung. Parmelin reagierte mit einer Interview-Offensive. Dort zeigte er sich – was bei ihm selten vorkommt – verärgert über die Kritiker.
Im Sommer schossen sich Kritiker auf Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter ein, auf deren verhängnisvolles Telefonat mit Donald Trump Ende Juli der 39-Prozent-Zollhammer folgte. Parmelin verteidigte die Finanzministerin öffentlich mit einer Vehemenz, mit der sich kaum je ein Bundesratsmitglied für ein anderes stark macht.
Emojis im Bundesratschat
Ihm wird nachgesagt, mit allen Kollegen gut auszukommen. Persönliche Fehden sind nicht bekannt. «Er nimmt politische Differenzen nicht persönlich und ist nicht nachtragend», heisst es aus dem Umfeld des Bundesrats.
Zu Beginn ihres Präsidialjahres liess Karin Keller-Sutter ihre Bundesratskollegen und die Öffentlichkeit wissen, dass sie über die Festtage Trumps Buch «The Art of the Deal» gelesen habe. Guy Parmelin mag Asterix-Bücher.
Keller-Sutter gilt als streng kontrolliert. Der umgängliche Parmelin dürfte den Bundesrat mit mehr Lockerheit führen. Diese kommt auch in der verschlüsselten Threema-Chatgruppe der Landesregierung zum Vorschein: Dem Vernehmen nach kommuniziert Parmelin dort gerne mit Emojis.
In seinem zweiten Präsidialjahr muss der lange unterschätzte Parmelin seine gewachsene Statur nochmals unter Beweis stellen. Es stehen entscheidende Weichenstellungen an. Im Januar empfängt er US-Präsident Donald Trump am WEF in Davos. Das Treffen ist zentral für die anlaufenden Verhandlungen über ein rechtsverbindliches Zollabkommen.
Im Frühjahr reist Parmelin nach Brüssel. Er wird dort das EU-Vertragspaket unterzeichnen, das seine Partei als «Unterwerfungsvertrag» vehement bekämpft. Als Teamplayer wird Parmelin in Brüssel loyal die zustimmende Position des Bundesrats vertreten.
Seine Rückenprobleme werden ihn weiterhin begleiten. Doch auch auf einem gebeugten Rücken kann ein aufrechter Kopf sitzen. Ende 2026 wird Guy Parmelin das Bundespräsidium weitergeben. Und wohl spätestens zum Abschluss der Legislatur auf Ende 2027 aus dem Bundesrat zurücktreten – erhobenen Hauptes. (aargauerzeitung.ch)
