Schweiz
Interview

Hitze in der Schweiz: Diese drei Städte sind besonders gefährdet

«Zahl der Hitzetoten wird steigen»: Diese drei Schweizer Städte sind besonders gefährdet

Hitzewellen werden häufiger und tödlicher – auch in der Schweiz. Die Epidemiologin Ana Vicedo erklärt, wie man sich schützen kann und weshalb nicht nur ältere Menschen gefährdet sind.
14.08.2025, 15:4014.08.2025, 15:40
Stephanie Schnydrig / ch media
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Die Schweiz ächzt unter einer Hitzewelle. In den zubetonierten Städten stauen sich die Temperaturen und die Nächte sind bis zu sieben Grad heisser als im ländlich geprägten Umland. Das war ein Grund, weshalb meine Kollegin von der Basler Innenstadt aufs Land gezogen ist. Wird es künftig hierzulande vermehrt Leute wie sie geben, die vor der Hitze flüchten?
Ana Vicedo: Nein, das denke ich nicht unbedingt. Unbestritten aber ist, dass es zur neuen Normalität wird, dass im Sommer eine Hitzewelle auf die nächste folgt. Deshalb müssen wir beginnen, «out of the box» zu denken.

Eine Pfadfinderin aus Surrey, England, und ihre Kolleginnen und Kollegen der "Surrey Scouts" kuehlen sich beim Brunnen auf dem Bundesplatz ab, am Dienstag, 22. August, 2023 in Bern. Die Pfad ...
Künftig wird es im Sommer öfter zu Hitzewellen kommen.Bild: keystone

Was heisst das konkret?
Wir brauchen Massnahmen gegen die Hitze, die nicht zu anderen Problemen wie Einsamkeit oder psychischen Belastungen führen. Leute dazu aufzufordern, sich zu Hause in der Kühle zu verkriechen, funktioniert vielleicht für ein paar Tage, aber nicht über Wochen. In der Covid-Pandemie hat man gesehen, wie sehr das auf die Psyche schlägt. Meine Mutter lebt in Spanien und erlebt das gerade: Dort ist es seit Wochen über 40 Grad heiss. Über eine so lange Zeit sich einfach nur drinnen aufzuhalten, macht einen ja kirre!

Was müsste man anders machen?
Zuerst einmal müssen Städte ihre Hitze-Hotspots identifizieren – Orte, an denen es besonders heiss wird. Dort sollte man Betonflächen durch Grün ersetzen, Bäume pflanzen, Schatten schaffen. Wichtig sind auch klimatisierte Schutzräume – Orte, an denen es kühl ist und man nicht allein ist. Gerade ältere Menschen brauchen solche Räume. Sie arbeiten nicht in Büros mit Klimaanlage und gehen auch eher nicht ins Schwimmbad. Das ist eher etwas für Familien. Ebenso wichtig ist eine gute Betreuung: etwa durch die Spitex, die an Hitzetagen gezielt bei gefährdeten Personen vorbeischaut.

Die Hitzeforscherin
Die Umweltepidemiologin Ana Maria Vicedo Cabrera ist Professorin an der Universität Bern und beschäftigt sich insbesondere mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die öffentliche Gesundheit. Die gebürtige Spanierin ist Mitautorin des Weltklimaberichts und publizierte mehrere Studien zu hitze- und kältebedingten Todesfällen in der Schweiz und weltweit. (sny)
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Bild: zvg

Sie haben eine Studie veröffentlicht, wonach hitzebedingte Todesfälle in der Schweiz von heute jährlich 300 auf rund 1200 steigen, wenn sich die Erde um 2 Grad erwärmt; bei 3 Grad werden es bis 2050 fast 2000 sein. Was macht Hitze so gefährlich?
Diese Zahlen basieren auf der Annahme, dass sich die Menschen nicht an die Hitze gewöhnen. Jedoch ist ein gewisser Anpassungseffekt durchaus realistisch. Trotzdem wird auch mit Anpassung die Zahl der Todesfälle steigen. Erstens altert die Schweizer Bevölkerung, und ältere Menschen sind besonders verletzlich. Zweitens hat der menschliche Körper eine physiologische Grenze. Wenn die Körpertemperatur zu stark steigt, werden Entzündungsprozesse ausgelöst. Menschen mit chronischen Krankheiten stossen dann an ihre Grenzen. Wer zum Beispiel Herz-Kreislauf-Probleme hat, kann einen Schlaganfall erleiden. Und inzwischen wissen wir: Auch Schwangere, Kinder, Menschen mit psychischen Erkrankungen und selbst gesunde Erwachsene sind gefährdet.

In einer Studie war kürzlich von «Sommerdepressionen» die Rede – ausgelöst durch die Hitze. Ist das realistisch?
Ja, die gesundheitlichen Auswirkungen sind sehr individuell. Deshalb ist es so wichtig, dass Informationen gezielt vermittelt werden – über die Hausärztin, über Organisationen wie die Spitex, über soziale Medien. Nur so erreicht man alle Gruppen.

Laut Ihrer Studie sind Basel, Locarno und Zürich besonders gefährdet. Warum ausgerechnet diese Städte?
Die unterschiedlichen Auswirkungen in den verschiedenen Regionen der Schweiz und die Komplexität diese Unterschiede zu verstehen, haben ehrlich gesagt auch mich überrascht. Denn es spielen sehr viele Faktoren mit hinein: Die geografische Lage, die Bevölkerungsstruktur, sogar die Stärke der Luftverschmutzung spielt eine Rolle. Die Verletzlichkeit der Bevölkerung hat immer lokale Ursachen. Deshalb sollten Massnahmen auch lokal entwickelt werden, auf der Basis einer nationalen Strategie.

Wie gut ist die Schweiz vorbereitet?
Das hängt stark vom Kanton ab. In Genf, der Waadt oder im Tessin ist das Bewusstsein grösser, denn dort sind Hitzewellen häufiger. Aber insgesamt hat sich viel getan. Ich arbeite seit 15 Jahren zu diesem Thema. Und allein, dass ich heute mit Ihnen darüber spreche, zeigt, wie sehr sich die Wahrnehmung verändert hat. Vor zehn Jahren waren Hitzewellen, die über Wochen anhalten und die Gesundheit gefährden können, noch kein Thema von öffentlichem Interesse. Heute schon.

Gemäss der Suva ereignen sich an Tagen mit Temperaturen über 30 °C sieben Prozent mehr Unfälle als an anderen Sommertagen. Braucht es in Zukunft hitzefrei – allein aus Sicherheitsgründen?
Wir werden Hitzewellen nicht mehr verhindern können, aber wir müssen lernen, damit umzugehen. Natürlich können wir nicht einfach aufhören zu arbeiten. Aber Arbeitgeber müssen flexibler werden. Leistung sinkt bei Hitze, das zeigen zahlreiche Studien.

Ausgerechnet jetzt beginnt wieder die Schule.
Ja, das ist eigentlich absurd. In Spanien beginnt die Schule im September, um die heissesten Wochen zu umgehen. In der Schweiz fängt sie mitten im heissen August an. Aus meiner Sicht sollten wir dringend über alternative Szenarien nachdenken. (aargauerzeitung.ch)

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118 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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maylander
14.08.2025 15:52registriert September 2018
Die Prioritäten in der Stadtplanung müssen endlich angepasst werden. Das vermeiden von Hitzeinseln sollte wichtiger sein als das der Platz einfach zu kärchern ist.
Negative Beispiel sind da die Europaalee und der Sächseläuteplatz in Zürich.

Es braucht wohl eine Landesweiten Effort um mehr Laubbäume anzupflanzen.
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El Vals del Obrero
14.08.2025 16:23registriert Mai 2016
Was ich auch wichtig fände:

Bei der Gestaltung von Plätzen endlich von diesem dogmatischen "alles muss 'lichtdurchflutet' und 'aufgeräumt' und 'flexibel bespielbar' sein" wegkommen.

Und wieder mehr langlebige Bäume pflanzen und nicht für "Aufwertungen" entfernen und stattdessen einge symbolisch Kübelsträuche auf den Asphalt stellen.
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Tatwort
14.08.2025 17:34registriert Mai 2015
Die Kernaussage dieses Interviews: Die Schweiz müsste endlich jene Massnahmen ergreifen, welche Frankreich nach dem Hitzesommer 2003 ergriffen hat.
Aber die PolitikerInnen hier scheinen nach wie vor "zu beobachten"*

*Copyright Covid-Massnahmen-Pressekonferenz
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