Er ist der Koloss unter den Kantonen: Mit 1.6 Millionen Einwohnern ist der Kanton Zürich die Heimat von mehr als einem Sechstel der Schweizer Bevölkerung und erwirtschaftet über 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Entsprechend gross ist Zürichs Einfluss im Bundesrat.
Mit 20 Mitgliedern der Landesregierung stellte Zürich die meisten Bundesräte aller Kantone seit 1848. Der Bundesrat hat vor fast 174 Jahren, am 16. November 1848 seine Tätigkeit aufgenommen. Nur gerade während sechs Jahren und zehn Monaten war Zürich nicht in der Landesregierung vertreten: zwischen dem Rücktritt von Elisabeth Kopp (FDP) im Januar 1989 und dem Amtsantritt von Moritz Leuenberger (SP) im November 1995.
Mit dem Rücktritt von Finanzminister Ueli Maurer (SVP) Ende Jahr droht Zürich seinen einzigen Bundesratssitz zu verlieren. Die grössten Chancen auf Maurers Nachfolge werden zur Zeit dem Berner Nationalrat Albert Rösti attestiert.
«Es gibt keine Vorschrift, die einem Kanton eine Vertretung im Bundesrat garantiert, auch nicht dem grössten Kanton Zürich», stellt Politikwissenschafter und Historiker Claude Longchamp klar. Die Bundesverfassung schreibt lediglich vor, dass bei der Zusammensetzung des Bundesrats «Rücksicht auf die angemessene Vertretung der Landesgegenden und Sprachregionen» genommen werden müsse.
Die Bedeutung der kantonalen Herkunft als Kriterium für die Zusammensetzung des Bundesrats habe im Laufe der Geschichte des modernen Bundesstaates stark abgenommen, erläutert Longchamp. Das habe verschiedene Ursachen: «Der junge Bundesstaat war viel stärker föderalistisch organisiert und verstand sich stark als Zusammenschluss von in vielen Bereichen autonom agierenden Kantonen.» Damals habe die Machtbalance zwischen den Kantonen eine sehr wichtige Rolle gespielt bei Bundesratswahlen.
Bis zum Ersten Weltkrieg waren die drei bevölkerungsreichsten Kantone Zürich, Bern und Waadt praktisch ununterbrochen im Bundesrat vertreten: «Das waren nicht nur die grossen Kantone, sondern auch die tragenden Säulen der freisinnigen Bundesstaatsgründer.»
Im Laufe des 20. Jahrhunderts gewannen laut Longchamp andere Kriterien an Bedeutung – in erster Linie die Parteizugehörigkeit. Die Integration der Katholisch-Konservativen (heute: Mitte) im Jahr 1891, der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, heute: SVP) im Jahr 1929 und schliesslich der SP im Jahr 1943 in den Bundesrat habe eine regionalpolitische ausgewogene Zusammensetzung stark verkompliziert. «Mehr Kriterien für die Wahl bedeuteten eine eingeschränkte Auswahl an möglichen Bewerbern, worunter die Qualität litt», sagt Longchamp.
Unterdessen habe sich langsam auch in den Parteien die Erkenntnis durchgesetzt, dass allzu viele künstliche Einschränkungen bei der Kandidatenauswahl weder im Interesse des Landes noch der Parteien seien. Claude Longchamp sagt:
Auch aus Sicht der Kantone hat eine eigene Vertretung im Bundesrat an Bedeutung verloren. «Die Kantone haben ihre Einflussmöglichkeiten auf die Bundespolitik multipliziert», sagt Longchamp. Er denkt dabei insbesondere an die Konferenzen der Kantonsregierungen.
Der grösste Kanton der Schweiz wäre also auch ohne eigenen Bundesrat weiterhin einflussreich. Dennoch will man in Zürich Ueli Maurers Sitz nicht kampflos aufgeben. Der Präsident der kantonalen SVP, Domenik Ledergerber, sagt: «Der Kanton Zürich ist der Wirtschaftsmotor der Schweiz und sollte in der Landesregierung vertreten sein.» Er wolle, dass die Zürcher SVP der Findungskommission der SVP Schweiz bis zur vorgegebenen Frist am 21. Oktober eine oder mehrere «starke Kandidaturen» präsentieren könne. Informiert würde zu gegebener Zeit.
Neben den Nationalräten Gregor Rutz und Thomas Matter – sie reagierten am Montag nicht auf eine Anfrage von CH Media – steht insbesondere Regierungsrätin Natalie Rickli im Fokus. Ihr Sprecher Patrick Borer richtet aus, dass sich Rickli mit ihrer Partei bespreche und sich darüber hinaus zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter zu einer möglichen Bundesratskandidatur äussere.
Soso, tut er das, der Durchschnittsparlamentarier. Und warum hat er dann den Cassis gewählt?