Seuchen wie Cholera verbreiteten sich während Jahrhunderten über verunreinigtes Wasser. Etwa 150 Jahre ist es her, als man diese Krankheit eindämmte, in dem man das Wasser zu säubern begann. Die modernen Seuchen kommen nun auch über Partikel in der Luft, Aerosole. Bei Sars-CoV-2 ist die Ansteckung in Innenräume durch Aerosole massgebend. Die kleinen aus Flüssigkeit bestehenden Partikel der oberen und unteren Atemwege gelangen beim Sprechen, Atmen und Singen in die Luft. Atmet eine infizierte Person Aerosole aus, stösst sie mit diesen auch Viren aus. Diese bleiben lange in der Luft, verteilen sich im Raum und reichern sich an, solange die kranke Person im Raum ist.
Ist in einem geschlossenen Raum ein Superemitter oder Superspreader mit hoher Virenlast, füllt sich das Schulzimmer oder das Büro schnell mit Coronaviren-Partikeln. Beim hohen Ansteckungsgrad von Omikron ist somit eine leichte Weitergabe an gesunde Menschen möglich. Wie hoch die Ansteckungsgefahr in einem solchen Raum ist, hängt von der Raumgrösse, den Lüftungsarten und der Frage, ob überhaupt gelüftet wird, ab. «Dann spielt auch die Aktivität im Raum eine Rolle», sagt Michael Riediker, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Arbeits- und Umweltgesundheit (SCOEH). Geht es zu und her wie in einer Bibliothek, nimmt die Virenlast mit Aerosolen langsamer zu, als wenn gesungen und laut gesprochen wird.
In einem Schulzimmer kann ein infizierter Lehrer innerhalb von 20 Minuten für dicke Virenluft sorgen und damit eine ganze Schulklasse anstecken. Lüften allein genügt hier oft nicht mehr, ein fünffacher Luftwechsel drückt die Virendosis dagegen so tief runter, dass eine Ansteckung eher unwahrscheinlich ist, wie Riediker erklärt.
Nun stehen wir bereits in einer Corona-Sommerwelle. Verschärfen wird sich die Situation im Herbst, wenn es wieder kälter wird, und sich Menschen in Innenräumen wieder näher sind. Aerosol-Spezialisten rund um Michael Riediker fordern deshalb pandemiegerechte Gebäude zu erstellen. So wie man für sauberes Wasser sorgt, um Krankheiten zu verhindern, soll auch die Innenluft in Räumen so sauber und damit virenfrei wie nur möglich sein.
Riediker erklärt, wie ein pandemiegerechtes Gebäude in Zukunft aussehen soll. Der Aerosol-Spezialist Riediker sagt:
Zum Beispiel gibt es die Idee, die Raumluft mit chemischen Zusätzen zu säubern. Aktuell sind aber noch keine dieser Verfahren auf Ihre Sicherheit geprüft und bewilligt. Dann gibt es die personalisierte Lüftung. Das bedeutet, dass in Zonen an einem Arbeitsplatz punktuell auf die Person bezogen eine Lüftung installiert wird, welche diese vor Aerosolen mit Viren bewahrt. Eine weitere Möglichkeit ist die Luftreinigung mit ultraviolettem Licht.
Solche UV-Lichtsysteme sind in Spitälern schon im Einsatz, um virenbelastete Räume zu säubern. Mit UV-Licht werden die Viren in einer «Über-Kopf-Höhe» quer über den Raum zerstört. Also dort, wo kein menschlicher Körperteil ist. Eine direkte Bestrahlung kann zu Augenschäden und Sonnenbrand führen. Diese Systeme sind relativ teuer und in normalen Gebäuden noch kaum einsetzbar.
Jetzt schon kann die Raumluft gesäubert werden. Dafür braucht es einen idealen Gebäudebetrieb. Erst sei festzustellen, wie die Situation in den Räumen ist, also wie viele Menschen sich dort aufhalten oder wie der Luftwechsel ist. Daraus können Virenübertragungswerte berechnet werden, die dann Aufschluss darüber geben, wie diese Räume pandemiegerecht gestaltet werden. Wie viel unverbrauchte Luft zugeführt werden muss, zum Beispiel. Einfach nur die Fenster öffnen, macht das zwar auch, aber im Winter ist das kein taugliches Mittel.
Viel besser ist eine Kombination aus mechanischem Luftaustausch, Luftreinigern und standardisierten Tests der Innenluft mit CO2-Sensoren. Damit kann man das Risiko einer Ansteckung über Aerosole reduzieren. Zudem gibt es auch Aerosol-Sensoren, die nach Riediker gut funktionieren und zur Regelung einer Lüftung eingesetzt werden können.
«In Nicht-Pandemiezeiten hat man Gebäude so erstellt und ausgerüstet, dass der Energieverbrauch und der Luftersatz vernünftig geregelt waren», sagt Riediker. Damals hat man noch nicht daran gedacht, Aerosol-Übertragungen zu verhindern. Damit das so standardisiert wird wie die Trinkwasser-Reinigung, schlagen die Aerosol-Forscher ein dreistufiges Vorgehen vor.
Für den kommenden Winter sollen bessere mechanische Belüftungssysteme installiert werden. Wo das nicht geht, braucht es CO2-Sensoren, damit die Nutzer bei schlechter Luftqualität die Fenster öffnen können. Als Unterstützung sind auch Filtersysteme oder UV-Luftdesinfektionssysteme in den Räumen oft sehr hilfreich. Filtersysteme haben in Gebieten mit Luftschadstoffen zudem den Vorteil, dass sie den ungesunden Feinstaub aus der Luft entfernen.
Zum zweiten soll ein Nationales Forschungsprogramm «Saubere Luft für pandemiegerechte Gebäude» lanciert werden. In der dritten Phase sollen die Erkenntnisse daraus in den nächsten Jahren in die Praxis umgesetzt werden. So sollen künftige Pandemien gemildert und gleichzeitig die Ziele der Energiewende erreicht werden.
In der aktuellen Sommerwelle befinden wir uns weniger in Innenräumen. Aerosolgefahr besteht aber im ÖV. «In engen Räumen und im ÖV sollten zumindest empfindliche Personen eine Maske tragen», sagt Riediker. Am besten FFP2-Masken. Er selbst trägt eine solche auf seinen Zugfahrten. (aargauerzeitung.ch)